Talmi. Oskar Jan Tauschinski
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»Schade«, sagte er, »ich hätte Sie gern bis Hütteldorf gebracht, um mit Ihnen reden zu können. Sie sind so interessant.«
Auch das hat noch niemand gefunden, dachte ich, aber ich sagte nur: »Sie machen mir Komplimente. Leben Sie wohl!« Und ich streckte ihm meine Hand entgegen.
Wieder erfolgte der vollendete Tanzstundenhandkuß. Zuerst neigte sich der hübsche Kopf im Stierkalbnacken, und dann beugten sich die breiten Sportlerschultern tief über meine Hand. Wieder berührten die Lippen so sacht meine Haut, als gelte der Kuß einer Reliquie. Dabei fiel das etwas zu lange und zu blonde Haar nach vorn und streifte kitzelnd mein Handgelenk.
Als ich eine Minute später in meinem Zimmer stand, fühlte ich mich plötzlich so schläfrig, daß ich, ohne etwas zu essen, zu Bett ging. Ich löschte das Licht und meinte, ich könnte mir ja im Dunkeln den ganzen heutigen Abend und namentlich die merkwürdige Bekanntschaft durch den Kopf gehen lassen. Aber ich schlief sofort ein und erwachte erst beim Schrillen des Weckers.
Aufstehen, waschen, anziehen, aufräumen, Frühstück – der alltägliche Leerlauf, dem nur die Eile ein wenig Gehalt verlieh. Erst in der Straßenbahn, als ich ins Geschäft fuhr, fiel mir der junge Mann in aller Deutlichkeit ein. Das merkwürdige Mißverhältnis zwischen seinen gepflegten Umgangsformen und seiner offensichtlichen Ignoranz schien mir heute noch verwirrender als gestern. Aber soviel ich darüber in den nächsten Tagen auch nachgrübelte, ich fand keine Erklärung. Und die Episode, die sich vierzehn Tage später ereignete, war nicht gerade dazu angetan, das Rätsel zu lösen.
Es war an einem sehr sonnigen Frühlingsmorgen. Ich trat gerade aus dem Laden meiner Milchhändlerin, bei der ich Brot, Semmeln und Rahm gekauft hatte, und wollte die Tasche daheim abstellen, ehe ich ins Geschäft fuhr.
Vor dem Laden hielt das Lieferauto der Anker-Brotfabrik. Die Tür des Packraums stand offen, und ein Mann war damit beschäftigt, die leeren Semmelkörbe im Inneren zu verstauen. Da sprang der Chauffeur aus dem Wagen und kam mit einem sehr nasal betonten: »Ich küß die Hand, Gnädigste!« auf mich zu.
Es dauerte eine Sekunde, bis ich wußte, wer vor mir stand. Ich streckte wortlos die Hand aus und genoß mit einer Rührung, die mich selber befremdete, den Anblick der Handkußprozedur, die sich nun in allen Phasen wiederholte. Ich spürte die zärtliche Berührung der Lippen und die kitzelnde der allzu blonden, allzu langen Haare. Aber ehe ich etwas sagen konnte, war der Alte hinten mit seinen Semmelkörben fertig und rief etwas in unartikulierten Lauten, die sich kaum die Mühe nahmen, Worten zu ähneln. Der junge Mann warf den Kopf ärgerlich herum, wandte sich aber gleich mit entschuldigendem Lächeln an mich.
»Sie müssen mir verzeihen; das ist halt mein Dienst.«
Er sprang ins Auto. Der andere kletterte brummend hinterdrein und schlug die Tür zu. Ich sah noch, wie sich die schöne linke Hand des Chauffeurs mit der allzu kleinen Armbanduhr zu einem winkenden Gruß vom Lenkrad hob, dann fuhr das Auto davon.
Und wie du zu den Logensitzen gekommen bist, Ernstl, das habe ich erst viel später erfahren.
BRIEFWECHSEL ÜBER DEN OZEAN
Wien, November 1962
Verehrte, liebe Frau Susanne!
Unser Briefwechsel ist im Laufe der Zeit ein wenig träge geworden. Wir brauchen uns deswegen gegenseitig nicht zu entschuldigen. Es sind ja nun dreizehn Jahre, daß Sie Wien verlassen haben, Jahre, die an uns nicht spurlos vorübergegangen sind, obwohl wir beide vergleichsweise seßhaft und ruhig leben – Sie in Ihrer Werkstatt, ich an meinem Schreibtisch. Ich habe selten geschrieben, aber nie, nie gezweifelt, daß meine Briefe bei Ihnen gute Aufnahme finden würden. Doch diesmal habe ich Angst, und ich weiß eigentlich nicht recht, wie ich mein unbescheidenes Anliegen an Sie in eine möglichst bescheidene Form kleiden soll, um die Sympathie, die Sie für mich hegen, nicht auf eine allzu harte Probe zu stellen. Denn diese Sympathie ist es gerade, auf die ich bei meiner Bitte einzig baue.
Vielleicht werden Sie sich schon denken, worauf dies alles hinauswill. Nein – Sie denken ja heute, nach so vielen Jahren, gar nicht mehr an Ihr altes Tagebuch. Ich weiß, es hat seinen Wert für Sie verloren. Es ist eine Schlangenhaut, aus der Sie längst geglitten sind – Sie Beneidenswerte! Aber wir Literaten leben von solchen abgelegten Schlangenhäuten, die dann, von unserer Vorstellungsgabe neu geformt, mit unseren persönlichen Meinungen und Anschauungen lebenswahr ausgestopft, als unser Werk in die Welt hinausgehen.
Als ich vor Jahren Ihre Aufzeichnungen zum erstenmal zur Hand nahm, habe ich sie nicht als Rohstoff betrachtet, sondern – eingedenk der Freundschaft, die uns verbindet – so gelesen, wie man die Memoiren eines Freundes liest: mit Anteilnahme und herzlichem Mitempfinden. Mein warmes Interesse galt damals nur Ihnen und Ihrem Schicksal. Die Autorin dieser Blätter war mir allein wichtig. Freilich hatte sich meine Neugier während des Lesens allmählich auch auf die geschilderten Personen und namentlich auf den Helden ausgedehnt, denn der anfechtbare und doch menschlich begreifliche Charakter dieses Mannes und sein – trotz aller Bewegtheit – trauriges Schicksal haben etwas sehr Anschauliches, sehr Typisches an sich. So wurde schon bei der seinerzeitigen Lektüre der Wunsch in mir wach, den Stoff irgendwie zu verwerten. Das Ihnen gegebene Versprechen der vollkommenen Diskretion ließ diesen Wunsch jedoch damals nicht reif werden. Ich packte die Mappe fest ein und ließ sie in der untersten Schreibtischlade verschwinden, anstatt sie zu vernichten, wie ich es Ihnen versprochen hatte. Können Sie mir diesen Wortbruch verzeihen? Bedenken Sie: Das Vertrauen in die Lebenskraft des geschriebenen Wortes und, was damit Hand in Hand geht, die Ehrfurcht vor Manuskripten sind eine Berufskrankheit des Literaten.
Ab und zu, beim Aufräumen, fand ich das Päckchen in der Lade, schämte mich ein bißchen, nahm mir vor, es zu verbrennen – und schob es dann wieder zuunterst hinein mit der Entschuldigung: Ich muß es noch einmal lesen! Aber es gab immer etwas Wichtigeres – oder besser gesagt: etwas Vordringlicheres zu erledigen.
Doch jetzt habe ich es wieder gelesen, und diesmal war der Gedanke an die literarische Verwertung des Stoffes nicht mehr fortzuscheuchen!
Ich habe bei dem genauen Studium Ihrer Aufzeichnungen festgestellt, daß ich meinerseits gar nicht viel dazutun müßte. Ja, liebe, verehrte Susanne, Ihr Manuskript ist beinahe druckreif, obgleich es nur für Sie und nicht für die Öffentlichkeit geschrieben worden ist. – Oder vielleicht gerade darum! Es würde genügen, einige Kürzungen vorzunehmen, aber auch da nicht viele, weil ja gerade das, was Sie sich so nebenbei gedacht haben und was Ihnen (verzeihen Sie das Wort, das bei einer so klugen und so bewußt lebenden Frau, wie Sie es sind, fast wie Kritik klingen könnte!) unkontrolliert aus der Feder geflossen ist, am packendsten und am unmittelbarsten erscheint. Außerdem müßte man natürlich einzelne äußere Umstände ändern, nach denen vielleicht dieser oder jener Leser die Personen Ihres Lebensromans erkennen könnte. Alles andere ist überpersönlich, geht weit über das Private hinaus und ist mithin für die Literatur interessant.
Nun bin ich dabei, aus Ihrer Niederschrift die ersten beiden Romankapitel herauszuschälen, und sende sie Ihnen dieser Tage, sobald ich fertig bin.
Mit diesem Brief aber wollte ich nicht länger zögern, denn vielleicht ist es besser, wenn Sie vorbereitet sind.
Überlegen Sie, liebe Freundin, ob Sie nicht doch geneigt wären, Ihr strenges Verbot zurückzuziehen. Ich glaube fest, daß Sie mit Ihrem Buch Erfolg haben werden, und es würde mich ehrlich freuen, wenn ich Ihnen zu diesem Erfolg verhelfen könnte. Sie brauchen Ihr Inkognito nicht zu lüften. Wir geben das Buch unter einem Pseudonym heraus, so daß niemand auch nur ahnen kann, wer die Autorin ist. Damit ist dann auch