Talmi. Oskar Jan Tauschinski

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Talmi - Oskar Jan Tauschinski

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bitte, nicht jetzt schon den Kopf. Sagen Sie nicht nein, ehe Sie die Sache recht bedacht haben. Überlegen Sie in Ruhe; besprechen Sie sich mit Ihrem Herrn Gemahl. Und wenn der Manuskriptauszug ankommt, lesen Sie ihn so objektiv, wie Ihnen dies möglich ist – so als wären nicht Sie es gewesen, sondern ein Ihnen unbekanntes »Fräulein Sedlak«, das damals in der Loge neben »Ernstl« (jawohl, so heißen die beiden jetzt!) gesessen ist.

      Ich erwarte Ihre Antwort erst nach der Lektüre. Ein früheres Nein kann ich gar nicht gelten lassen. Ich sehe ohnedies nicht ohne Besorgnis Ihrem Brief entgegen, denn mein Herz hängt nun schon an diesem Plan, und es wäre für mich ein empfindlicher Schmerz, wenn ich ihn aufgeben müßte.

      Leben Sie recht wohl. Grüßen Sie den lieben Mister Reginald herzlich und lassen Sie sich, liebe Frau Susanne, die Hand küssen von Ihrem sehr ergebenen

      Jan

      Montreal, Dezember 1962

      Lieber Jan!

      Ihr Brief hat mir nur so lange Freude bereitet, als ich ihn geschlossen in der Hand hielt und Ihren Namen als Absender las. Dann, als ich das Kuvert aufgerissen hatte, war’s mit der Freude vorbei.

      Nein, nein, lieber Freund, Ihr Plan ist gar nicht nach meinem Sinn. Ich wollte mich sofort hinsetzen und Ihnen geradewegs absagen; nur Ihre ausdrückliche Bitte, auf das Manuskript zu warten, hat mich davon abgehalten.

      Nun, Sie hatten recht, mich darum zu bitten, und es war psychologisch richtig, zuerst die Lektüre von mir zu verlangen. Ich habe meine eigene Geschichte wie die einer fremden Frau gelesen. Ich weiß nicht, ob es an den geänderten Namen lag – ich glaube kaum. Eher daran, daß ich mich so vollkommen geändert habe. Das alles hat nichts mehr mit mir, wie ich heute bin, zu tun. Es ist ein für allemal Vergangenheit. (Gott sei Dank!) Ich kann nicht sagen, daß ich mich dieser Vergangenheit schäme, aber wie so vieles, was man überwunden und hinter sich gebracht hat, ist sie mir ein wenig peinlich.

      Bitte, senden Sie mir keine weiteren Fortsetzungen des »Romanes«, denn ich kann damit nichts anfangen. Mich interessiert die Angelegenheit nicht. Allerdings bin ich nicht maßgebend. Mein Bedarf an Belletristik ist beschränkt. Und wenn ich schon ab und zu etwas Derartiges lese, so möchte ich lieber fremde Erlebnisse und Erkenntnisse vorgesetzt bekommen.

      Ich habe auch nicht den mindesten Ehrgeiz, literarische Lorbeeren zu ernten, abgesehen davon, daß ich gar nicht glaube, mit diesen Aufzeichnungen sei ein Erfolg zu erzielen. Wenn ich etwas leisten kann, so als Keramikerin. Es ist ohnedies nicht übertrieben viel, aber gerade darum muß ich mich auf dies eine Fach konzentrieren. Aglaia sagte immer, es sei das größte Unglück, vielerlei kleine Talente zu haben. Es hindere die Entfaltung des Talentes. Die Keramikerin »Fräulein Sedlak« ist vor dreizehn Jahren aus Wien fortgegangen, und man hat sie dort gewiß längst vergessen. In Montreal beginnt sich die Keramikerin »Mrs. Hopkins« allmählich mit ihren Arbeiten – und merkwürdigerweise auch als Lehrperson – durchzusetzen. Das bedarf meiner vollen Konzentration. Es hat ohnehin Jahre gedauert, ehe ich hier heimisch geworden bin. Aber darüber habe ich Ihnen ja oft geschrieben.

      Nur an eines habe ich mich sofort gewöhnt: an die stete Gegenwart eines geliebten Menschen. Und gerade davor hatte ich mich gefürchtet. Wieder einmal ein Beweis dafür, daß man sich keine Sorgen auf Vorrat machen soll. – Aber ich brauche Ihnen gegenüber kein Loblied auf Reginald zu singen. Sie kennen ihn ja.

      Was ich hingegen wohl oder übel tun muß, das ist, auf Ihre Fragen bezüglich des Manuskriptes antworten. Ich kann Ihnen versichern, daß ich den Augenblick verfluche, da ich die Mappe, die ich schon in den Ofen werfen wollte, im Gedanken an Sie wieder beiseite legte. Man soll eben nicht eitel sein!

      Also, in Gottes Namen, versuchen Sie’s mit dem Tagebuch, wenn Sie es dringend wollen. Aber keinesfalls unter meiner Firma! Ich zeichne für Ihr Fiasko nicht verantwortlich und will gar nichts damit zu tun haben. Die Konsequenzen Ihres Leichtsinns müssen Sie selber tragen.

      Eines noch: Ich kann mich heute nicht so genau an alles erinnern, was ich geschrieben habe. Möglicherweise sind Stellen darin, die wirklich nur für mich bestimmt waren und die eigentlich sogar Sie nicht hätten lesen dürfen. Ich bitte Sie daher nochmals um Diskretion – wenn auch jetzt nicht mehr für mich, sondern für die weibliche Erzählerin Ihres Romans, die Sie dankenswerterweise Sedlak genannt haben.

      Ich erteile Ihnen meine Einwilligung schweren Herzens, aber ich habe nicht das Recht, sie Ihnen zu verweigern, nachdem ich das Tagebuch nun einmal aus den Händen gegeben habe. Ich wünsche Ihnen Erfolg mit Ihrer Arbeit. Reginald kann jetzt von seinem Mikroskop nicht fort, um diesem Brief von sich aus einige Zeilen hinzuzufügen. Er läßt Sie herzlich grüßen, was ich in seinem und meinem Namen hiemit tue.

      Ihre alte Freundin

      Susanne H.

      DER ERSTE AUFTRAG

       (Susannens Aufzeichnungen vom 17. März 1945)

      Heute sind wir wieder fünf Stunden von unserer Geschäftszeit im Keller gesessen. Eigentlich ist mir nur das Frieren daran lästig. Die Angst und Aufregung der anderen kann ich nicht teilen. Es war ja von vornherein damit zu rechnen, daß es so kommen wird. Außerdem sind es die einzigen Stunden, in denen ich sicher bin, nicht beobachtet zu werden. Jeder ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

      Wenn nur Margot nicht so viel und so unbedacht schnattern wollte! Das geht die ganze Zeit: hinauf auf die Gasse, hinunter in den Keller und wieder hinauf …

      »Ach Frau Sedlakchen, nu haben se uns wieder überflochen! Und alle sind se zu uns, nach dem siebenten Bezirk. Sie werden sehen, heute passiert noch was. Ich hab so ’n komisches Jefühl in mir!«

      »Aber Margot, so setzen Sie sich doch endlich hin und geben Sie Ruhe.«

      »Nee, nee – jetzt ist’s wieder ganz still oben, hören Sie? Ich geh’ wieder mal kucken. In dem ollen Keller kriecht man sowieso bloß kalte Füße.«

      Hinauf auf die Gasse, hinunter in den Keller …

      »Frau Sedlakchen, nu is’ so weit. In unserer Richtung brennt’s. Ich bin eben mal auf dem Dachboden jewesen, mit der Angela und mit der Mizzi von der Parfümerie. Man sieht deutlich Rauch. Es kann nich weit von uns sein. So recht nahe vom Flakturm. Daß die Biester och ausjerechnet vor unser Haus dat alberne Zeuch haben hinbauen müssen!«

      Margot hat recht; der Flakturm ist auch für mich eine ständige Beunruhigung, denn der wird früher oder später bestimmt zum Bombenziel. Aber »die Biester« und ähnliche Offenheiten aus ihrem Mund sind doch immer wieder unnötige Gefährdungen. Man weiß, daß sie jetzt bei mir wohnt und daß ihr Enthusiasmus vor zwei Jahren, als sie bei uns als Hilfsmanipulantin eintrat, noch unerschütterlich schien. Grund genug für die Franzi, deren Mann Gestapobeamter ist, die jähe Wandlung in Margots Weltanschauung meinem Einfluß zuzuschreiben, nicht bedenkend, daß eine junge Stalingradwitwe auch ohne meine Bekanntschaft alle Veranlassung hätte, verbittert zu sein. – (Arme Margot! Wenn sie wüßte, daß ich sie als Witwe bezeichne! Sie hofft ja immer noch auf ein Wiedersehen mit ihrem Ferdl.)

      Übrigens sind ihre Prophezeiungen unseres Ruins für heute noch nicht zur Wirklichkeit geworden. Die Eingangstür ist allerdings aus den Angeln gehoben und geborsten obendrein. Alle Gang- und Küchenscheiben sind kaputt; aber vorne in den Zimmern ist so gut wie nichts passiert. Nur der Staub liegt dick wie ein grauer Samtbelag auf allen Gegenständen.

      Das Gröbste haben wir fortgekehrt und mit Hilfe

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