Turmschatten. Peter Grandl
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Während Götze heulend am Boden lag und sich die blutende Stirn hielt, erlebte sie die nächsten Minuten wie durch einen roten Schleier. Der Schock lähmte jegliches Gefühl.
Die beiden Täter packten den verzweifelt um Hilfe schreienden Götze und warfen ihn in den Kofferraum des Mercedes. Einer der beiden ließ ein Messer aufschnappen und hielt es Götze millimeternah vor das rechte Auge.
»Noch einen Ton und ich schneid dir den Augapfel raus.«
Götzes Wehklagen verwandelte sich in ein leises Wimmern. Es roch nach Urin, als der Kofferraumdeckel einschnappte.
Einer der beiden Angreifer zerrte Seligmann hoch, stieß sie auf den Rücksitz und setzte sich hinter das Steuer, während der zweite Mann neben ihr Platz nahm.
Langsam regte sich in ihr der Wille zum Widerstand. Sie musste sich Dinge einprägen, musste trotz der Schmerzen und des blutverklebten Auges versuchen, sich Merkmale oder Sprache der Täter zu merken.
Der Wagen sprang an, und der Mann neben ihr packte sie brutal an den Haaren, um sie nach unten zu drücken. Er selbst nahm ebenfalls eine gebückte Haltung ein. Seine schwarze Sturmmaske mit den funkelnden Augen war nur eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt. Seine Stimme flüsterte fast, und sein Atem roch nach Rauch und Bier.
»Hör genau zu, Judensau. Wir wollen nur eine klitzekleine Information von dir. Wenn du nur einen Mucks machst, wenn wir hier rausfahren, werden sie nicht mal eure Leichen finden. Hast du mich verstanden?«
Er zog stärker am Haarbüschel in seiner Hand. Erneut schoss eine Welle von Schmerz durch ihren gepeinigten Körper.
»Hast du mich verstanden?«
Seligmann nickte.
Der Fahrer des Audi war inzwischen lauter geworden und stand neben der Autotür.
»Das ist eine Sauerei! Sie haben keine Ahnung, mit wem Sie sich da anlegen. Sie geben mir auf der Stelle Ihren Namen, damit ich Sie bei Ihrem Vorgesetzten melden kann.«
Der Sicherheitsmann war zutiefst irritiert, aber die Vorschriften waren eindeutig und der Typ war ihm nicht geheuer. Auf der anderen Seite wollte er aber nicht seinen Job riskieren. Mitten in diesem Dilemma winkte er die schwarze Limousine von Frau Seligmann durch die automatisch geöffnete Schranke, ohne das Gesicht des Fahrers wahrzunehmen.
Er wollte gerade anfangen, den breitschultrigen Anzugträger zu besänftigen, da stieg dieser plötzlich in seinen Audi, legte den Rückwärtsgang ein und gab so viel Gas, dass die Reifen auf dem glatten Boden durchdrehten. Dann verschwand auch dieses Auto aus dem Zuständigkeitsbereich des Wachmannes.
Es dauerte vierundzwanzig Stunden, bis er schließlich von der Polizei zu den Vorkommnissen verhört wurde. Er war fassungslos, dass er das Opfer einer Ablenkung geworden war. Und er war ebenso fassungslos, als man ihm eine Woche später die Stelle aus betrieblichen Gründen kündigte.
Gottfried Wegener, der in der rechten Szene nur Steiner genannt wurde, hatte die Entführung der Politikerin Seligmann genauestens vorbereitet. Er war nicht nur kaltblütig und brutal, sondern ein gerissener Stratege, der Risiko und Kalkül genau abzuschätzen wusste. Er war sozusagen die »Exekutive« der rechten Szene, den die bundesweiten Kameradschaften für die schmutzigen Jobs anheuern konnten, vorausgesetzt, die Bezahlung stimmte.
Schon als kleines Kind hatte Gottfried Wegener eine nationalsozialistische Erziehung genossen. Sein Vater, ein ehemaliger Luftwaffen-Pilot, schickte ihn schon als Fünfjährigen zur Wiking Jugend, die in Nordrhein-Westfahlen unter dem Deckmantel einer demokratischen Jugendorganisation die Tradition der Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädel ungehindert fortführte. In der rechten Szene galt die »Wiking Jugend« als die herausragende Kaderschule des europäischen Rechtsextremismus und nahm eine Schlüsselstellung in einschlägigen Organisationen und Netzwerken ein.
Gottfried liebte die paramilitärischen Übungen mit seinen Altersgenossen, das Marschieren, Exerzieren und das Leben auf den Zeltplätzen in den Schulferien. Für ihn brach eine Welt zusammen, als 1994 der Bundesinnenminister die Wiking Jugend als nationalsozialistische Organisation einstufte und verbot. Zu diesem Zeitpunkt war sie die größte neonazistische Jugendorganisation Europas gewesen.
Aufgrund verschiedener Delikte wurde Gottfried schließlich zu sechs Jahren Haft verurteilt, kam aber schon nach knapp drei Jahren wegen guter Führung und »günstiger Sozialprognose« wieder auf freien Fuß. Dann verschwand er spurlos vom Radar des BND.
Gottfried Wegener lenkte den schwarzen Mercedes an den Stadtrand in ein stillgelegtes Kieswerk. Für die Fahrt hatte er seine Sturmmaske gegen ein Toupet und eine dicke Hornbrille mit Fensterglas getauscht, um auf keiner Überwachungskamera verwertbare Aufnahmen zu hinterlassen. Nach seinen Berechnungen hatte er mindestens zwei Stunden Zeit, bis die Fahndung nach Seligmann einsetzen würde.
Sein Kamerad Udo Rennicke presste Seligmann immer noch den Kopf auf die Ledersitze, richtete sich nun aber langsam auf, nachdem Gottfried den Motor abgestellt hatte. Draußen war es finsterste Nacht, und der Herbstwind hatte sich zu einem regelrechten Orkan entwickelt. Regen, Blätter und kleinere Äste peitschten gegen den Wagen und zeichneten sich im Lichtkegel der Scheinwerfer ab, die eine unwirtliche Gegend aus Kiesbergen und Gestrüpp beleuchteten. Aber dann erloschen auch sie, und trotz der wild pfeifenden Böen des Sturms war nun deutlich Seligmanns gepresster Atmen zu hören. Sie hyperventilierte, ihr Puls raste, und die Schmerzen in ihrem Gesicht hatten kein definierbares Zentrum mehr. Der Schmerz war einfach überall. Aus dem Kofferraum kam ein leises Wimmern. Götze schien am Leben, aber wie lange noch? Ihre Gedanken kreisten panisch um einen möglichen Rettungseinsatz. Wann würde man sie als vermisst melden? Sie arbeitete oft lange, ihr Mann würde wahrscheinlich ins Bett gehen, ohne auch nur den geringsten Verdacht zu schöpfen. Eine Fahndung würde also nicht vor morgen früh beginnen. Was immer diese brutalen Verbrecher mit ihnen vor hatten, sie konnten sich Zeit damit lassen.
Plötzlich wurde Seligmann an den Haaren hochgerissen. Das verletzte Auge war gänzlich zugeschwollen und mit einer dicken Blutkruste bedeckt. Mit dem anderen Auge konnte sie in der Dunkelheit nur schemenhaft die Köpfe der beiden Entführer erkennen. Gottfried hatte wieder seine Sturmhaube übergestreift, knipste die Innenbeleuchtung an und drehte sich zu seiner Gefangenen um, während Rennicke sie mit dem linken Arm umfasste und seine rechte Hand unter ihrem Kleid auf ihren Oberschenkel legte. Die Sturmmasken zeigten zwar nur die Augen ihrer Entführer, aber Seligmann konnte förmlich spüren, wie der Mann neben ihr sadistisch grinste.
Seligmann hatte keine Kraft mehr, hatte jeden Widerstand aufgegeben. Der schwarze Mercedes, gepeitscht von düsteren Naturgewalten, war zur gottverlassenen Folterkammer geworden.
»Was … Was wollen Sie?«, stammelte sie leise.
Die raue Hand des Mannes wanderte langsam unter dem Rock zwischen ihre Schenkel. Verzweifelt packte sie mit beiden Händen die kräftig behaarte Hand, um ihn aufzuhalten. Da hörte sie deutlich ein Klicken neben ihrem Gesicht und ein Klappmesser blitzte in der linken Hand des Mannes auf.
»Ganz schön wild, die Kleine. Wenn du nicht artig bist, verpass ich dir ein Gesicht wie Scarface.«
»Mach dir die Finger nicht schmutzig an dieser jüdischen Schlampe«, sagte der Entführer vor ihr.
»Meinst du, diese jüdischen Weiber haben auch eine Muschi?«
Seligmann wimmerte und flehte den Mann verzweifelt an. »Bitte, bitte. Tun Sie das nicht …«
Der