Turmschatten. Peter Grandl

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Turmschatten - Peter Grandl

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und beschloss, dem Gespräch im Nebenraum über eine Abhörvorrichtung zu folgen. Das war zwar ohne Einverständnis des Gesprächsleiters illegal, aber das juckte Murat Demir nicht.

      Marie Stresemann musterte den kahlköpfigen Mann, der lässig nach hinten gelehnt an einem hellgrauen Tisch saß, der schon bessere Tage gesehen hatte. Brandflecken und Kratzer markierten vor allem die Besucherseite des Tisches, an der Karl Rieger saß. Er trug eine Kombination aus Lederjacke, Jeans und Springerstiefeln. Eigentlich ein attraktiver Kerl, dachte Marie, wären da nicht die abrasierten Haare und seine menschenverachtende Gesinnung. Sie empfand Abscheu für ihn und seine Geschichte, wollte sich dies aber auf keinen Fall anmerken lassen. Ihr Ziel war es schließlich, ihn zu resozialisieren, ihn wieder zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft werden zu lassen.

      Marie brachte mit drei großen Schritten den grauen Tisch zwischen sich und ihren Besucher, dann setzte sie ein künstliches Lächeln auf und stellte sich vor.

      »Hallo, Herr Rieger. Mein Name ist Marie Stresemann. Ich bin Ihre Bewährungshelferin.«

      Dabei schob sie ihm ihre Visitenkarte zu, und streckte ihm freundschaftlich die Hand entgegen, doch Rieger missachtete die Geste und behielt seine Hände in den Hosentaschen. Er hatte nicht erwartet, dass ihm eine Frau zugeteilt wurde, noch dazu eine junge Frau. Seine Überraschung konnte er nicht verbergen.

      »Sie?«

      »Wo liegt das Problem?«

      »Kein Problem, kein Problem, echt nicht.«

      Marie legte die Akte auf den Tisch, zog ihre Jacke aus und nahm gegenüber von Karl Rieger Platz. Während sie in der Akte blätterte, sagte sie: »Geben Sie mir bitte Ihren Ausweis.«

      Karl atmete tief durch, richtete sich leicht auf und brachte aus der Jackeninnentasche einen schwarzen, abgegriffenen Geldbeutel hervor, den leicht verbogene, silberne SS-Runen mit einem Totenkopf zierten.

      Marie hatte das gesuchte Formular in der Akte gefunden und sah auf. Ihr Blick fiel auf den Geldbeutel. Unweigerlich schoss ihr der Paragraf 86 des Strafgesetzbuches durch den Kopf: »Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer im Inland Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation verwendet oder verbreitet.«

      Karl schnippte seinen Personalausweis über den Tisch, der auf ihrer Akte landete, sich dort überschlug und beinahe vom Tisch geflogen wäre, hätte ihn Marie nicht mit einer raschen Handbewegung aufgefangen.

      Karl grinste sie an, wurde aber etwas verlegen, als ihr Blick streng auf dem SS-Abzeichen ruhte.

      »Sorry, hatte ich ganz vergessen.« Er legte die Hand darüber. »Ist ein Geschenk gewesen. Kommt nicht wieder vor.«

      »Ja, kommt nicht wieder vor, denn Sie geben mir augenblicklich dieses abscheuliche Ding, oder unser Treffen ist beendet.«

      Ihr Blick blieb dabei kalt und hart.

      »Ist nicht Ihr Ernst, oder?«

      Karl hielt dem Blick stand.

      Marie wartete ein paar Sekunden, dann beendete sie den unsichtbaren Kampf, schloss die Akte mit einem lauten Knall und machte Anstalten zu gehen.

      »Hey! Was wird das? Ist doch nur ein Stück Metall.«

      Langsam stand sie auf und nahm ihre Jacke von der Lehne.

      »Ich pack das Ding weg, kommen Sie …«

      Marie schlüpfte in ihre Lederjacke, ohne einen Ton zu sagen.

      »Okay, okay! Sie wollen das Scheißding, Sie kriegen es. Hier!«

      Wütend riss er die Plakette vom Geldbeutel und schleuderte sie über den Tisch. Diesmal hinderte Marie das Teil nicht daran, auf den Boden zu scheppern, wo es unbeachtet liegenblieb.

      Langsam zog sie ihre Lederjacke wieder aus und setzte sich.

      »Es gibt ein paar Grundregeln hier und eine ist: Sie werden keine Straftaten mehr begehen. Die offene Zurschaustellung von Hakenkreuzen und SS-Abzeichen ist aber eine Straftat.«

      Karl stand ruckartig auf und zog wütend seine Jacke aus, so dass Marie es kurz mit der Angst zu tun bekam und unweigerlich an ihren im Koma liegenden Vorgänger denken musste.

      »Was für ein Scheiß. Und was ist damit?«

      Er warf seine Jacke auf den Boden und reckte ihr mit geballten Fäusten seine beiden Unterarme hin, auf denen die SS-Runen und die Zahl 88 tätowiert war – 88 für »HH«.

      »Soll ich mir die Haut abziehen lassen, bloß weil Sie ein Problem damit haben?«

      Maries Puls war deutlich schneller geworden, aber sie versuchte nach außen weiterhin ganz ruhig zu wirken.

      »Setzen Sie sich!«

      Karl schluckte seine Wut hinunter, biss die Zähne aufeinander und grinste sie wieder an. Dann setzte er sich und verschränkte die Hände, indem er sich nach vorne beugte und sich auf die Unterarme lehnte. Es hatte fast den Anschein, als würde er beten.

      Marie klappte die Akte wieder auf und verglich den Ausweis mit den Daten in der Mappe.

      »Stresemann, ist das jiddisch?«, durchbrach Karl die Stille. Irritiert sah sie ihn an.

      »Wie bitte?«

      »Ist doch eine ganz simple Frage, oder. Ist das jiddisch? Ihr Nachname?«

      »Am besten Sie googeln, ich weiß es nicht«, log Marie und versuchte, sich wieder der Akte zuzuwenden, aber Karl ließ nicht locker.

      »Sie wissen nicht, ob Sie jüdisch sind?«

      Wieder blickte sie nach oben.

      »Sie werden es nicht glauben, aber nicht alle Menschen machen um ihre Abstammung so ein Aufhebens wie Sie und Ihre sogenannten Kameraden.«

      Sie hatte den letzten Zahlenabgleich endlich beendet, schob ihm den Ausweis wieder zu und machte mit einem Stift noch eine Notiz, dann stellte sie klar: »Herr Rieger, ich bin nicht Ihre Sozialhelferin oder Ihre Kummertante. Mein Job ist es, Sie mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Mein Job ist es außerdem zu beurteilen, ob das möglich ist. Das geht nicht ohne Ihre Hilfe. Wenn wir beide also versagen, weist man mir nur einen neuen Fall zu, Sie aber wandern wieder ins Gefängnis. War das deutlich genug für Sie?«

      Karl nickte, nahm seinen Ausweis und die Visitenkarte, die immer noch vor ihm lag, und verstaute beides in seinem lädierten Geldbeutel.

      »Sie müssen tun, was Sie tun müssen. Und ich muss tun, was ich tun muss.«

      Marie Stresemann klopfte nervös mit ihrem Stift auf die Tischplatte.

      »Zunächst müssen Sie sich vor allem von Ihren rechten Kameraden fern halten. Bereits der fernmündliche Kontakt …«

      Karl lachte abfällig. »Der was?«

      »Ein Telefonat. Bereits ein Telefonat mit Zugehörigen zur rechtsradikalen Szene wäre ein schwerer Verstoß gegen Ihre Bewährungsauflagen und …«

      »Ich

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