Turmschatten. Peter Grandl
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Читать онлайн книгу Turmschatten - Peter Grandl страница 17
»Wir brauchen einen Job für Sie. In Ihren Akten steht, Sie haben Abitur und danach sechs Semester Geschichte studiert. Während der Zeit haben Sie Ihr Geld als Taxifahrer verdient. Wäre das nichts für den Anfang?«
»Kein Problem, aber ich fahre keine Türken, Homos und Juden. Den Gestank bekommt man so schwer aus dem Wagen«, provozierte er und grinste ihr ins Gesicht.
Das reichte. Marie war kurz davor, aus der Haut zu fahren. Eine saftige Ohrfeige war das Mindeste, wonach ihr der Sinn stand. Aber sie hatte sich im Griff, wollte nicht schon beim allerersten Gespräch versagen und legte sich eine passende Antwort zurecht, als die Tür zum Besprechungsraum aufgerissen wurde.
Murat Demir stürzte sich wie ein Berserker auf Karl Rieger, riss ihn mit seinen kräftigen Pranken vom Stuhl hoch und presste ihn an die Wand. Das alles ging so schnell, dass Marie nicht die geringste Chance hatte einzugreifen.
»Jetzt hör mir mal ganz genau zu, du braunes Stück Scheiße«, schrie Murat dem Neonazi ins Gesicht, dem der Schreck in die Knochen gefahren war. »Noch eine solche Bemerkung und …«
Marie sprang auf und eilte um den Tisch herum.
»Hören Sie auf! Hören Sie sofort auf damit!«
Aber Murat ignorierte sie.
»… und ich schwöre dir, du bekommst direkt ein Blaulichttaxi von hier zurück in den Knast.«
»Lassen Sie ihn auf der Stelle los. Auf der Stelle!«, schrie sie Murat an.
Endlich ließ Murat von Karl ab, blieb aber ganz nah vor ihm stehen und starrte ihm in die Augen. Karl hatte sich mittlerweile gefasst.
»Rüzgâr eken fırtına biçer«, sagte Rieger ganz ruhig.
Noch bevor Murat etwas erwidern konnte, schob sich Marie zwischen die beiden Kontrahenten und drückte sie auseinander.
»Schluss jetzt!« Sie wandte sich Murat zu. »Sie verlassen auf der Stelle diesen Raum.«
Doch Murat war noch nicht fertig mit Karl Rieger.
»Du hältst dich wohl für ganz schlau, aber von jetzt an häng ich dir wie eine Klette am Arsch. Hörst du …«
Für eine so zierliche Frau hatte Marie Stresemann erstaunlich viel Kraft und schob Murat Demir langsam auf die offene Tür zu.
Murat hob dabei beide Hände, als würde er sich ergeben, während er rückwärts auf den Gang hinausgedrängt wurde.
»Ich gehe. Ich gehe ja schon. Ich bin ganz ruhig, alles okay. Alles okay, aber Sie sollten diesem Nazi klarmachen, wer hier die Hosen anhat.«
Die beiden waren inzwischen im Flur angekommen. Maries Ton war ruhiger geworden.
»Sie sind mir ein großes Vorbild. Toll, wie Sie das eben gemacht haben, wirklich. Ich wünschte, ich hätte Ihre Erfahrung. Ganz große Klasse!«, sagte sie sarkastisch, und ihre Augen funkelten wütend.
»Ich warte hier!«, beharrte Murat.
»Nein, tun Sie nicht. Sie gehen jetzt in Ihr Büro, oder ich melde den Vorfall der Dienststelle.«
Murat hatte genug Menschenkenntnis, um festzustellen, dass es sich dabei nicht um eine leere Drohung handelte.
Trotzdem wollte er noch ein letztes Mal an ihre Vernunft appellieren.
»Sie machen das falsch, Sie …« Doch weiter kam er nicht.
Mit einem lauten Knall schloss sich die Tür vor seiner Nase.
Murat überlegte, ob er erneut in den Nebenraum gehen und das Gespräch verfolgen sollte, aber er entschied sich dagegen. Sollte sie sich doch die Zähne an diesem Kerl ausbeißen. Er würde sie jedenfalls nicht im Krankenhaus besuchen. Fluchend machte er sich auf den Weg in sein Büro.
»Setzen sie sich!«, forderte Marie Rieger auf, der dabei war, sein schwarzes Hemd in die Hose zu stopfen, und Marie ignorierte.
Sie nahm wieder Platz und wartete geduldig, bis Rieger fertig war. Mit freundlicherem Ton bat sie ihn erneut, sich hinzusetzen. Diesmal reagierte er. Sein Blick war jetzt weit weniger arrogant, sein süffisantes Lächeln verschwunden. Vielleicht hatte Murats Aktion ja dazu beigetragen, dass das Gespräch von nun an besser verlief.
»Was haben Sie zu ihm gesagt?«
»Was meinen Sie?«
»Sie haben türkisch mit ihm gesprochen. Sie sprechen türkisch?«
»Ein paar Brocken. Habe ich im Knast gelernt. Hilft dir, wenn du nicht jeden Tag eins in die Fresse kriegen willst.«
»Also, was haben Sie zu ihm gesagt?«
»Ist ein türkisches Sprichwort.«
»Und weiter?«
»Auf Deutsch heißt es: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.«
Marie hatte eher mit einer Beleidigung gerechnet.
»Erklären Sie mir, wie ein so intelligenter junger Mann wie Sie eine so menschenverachtende Ideologie annehmen konnte.«
Gott, was für ein Anfängerfehler.
»Vergessen Sie die Frage!«
Doch zu spät. Eine solche Vorlage ließ sich Rieger nicht entgehen: »Nein, nein. Die Frage ist gut. Sie müssen nur den Blickwinkel wechseln. Aus meiner Sicht sind nur die arischen Völker Menschen. Wie also kann meine Ideologie menschenverachtend sein?«
Das saß! Für einen Augenblick hatte sie sich falschen Hoffnungen hingegeben. Wie naiv sie doch war. Vielleicht hatte Murat recht, vielleicht war sie noch nicht reif für einen solchen Fall.
Sie schüttelte den Kopf und winkte ab, um deutlich zu machen, dass sie sich auf keine Diskussion einlassen wollte. Hilfesuchend hielt sie sich an der Akte fest und versuchte, von nun an das erlernte Protokoll einzuhalten: Familie. Die Familie war wichtig für eine erfolgreiche Eingliederung. Sie konnte einem nicht nur eine soziale, sondern, laut ihren Akten, in Riegers Fall auch eine finanzielle Stütze sein.
»Lassen Sie uns über Ihre Familie reden. Hier steht, Sie haben keine Geschwister und Ihre Eltern leben nach wie vor in Anklam, Mecklenburg-Vorpommern. Haben Sie noch Kontakt zu ihnen?«
»Ich habe keine Eltern mehr. Meine Familie ist die Bewegung«, erwiderte Karl sachlich.
»Hier steht außerdem, Sie hätten während ihres Gefängnisaufenthalts mehrmals Besuch gehabt von dem dreizehnjährigen Gymnasiasten Thomas Worch. In welchem Verhältnis stehen Sie zu diesem Jungen?«
Die Erwähnung von Thomas’ Namen machte Karl Rieger unruhig.
»Das geht Sie nicht das Geringste an.«
Marie witterte eine Chance, Karl Rieger aus der Reserve zu locken.
»Doch, tut es sehr wohl. Jeder Ihrer sozialen Kontakte muss von mir