Das Auge der Medusa. Johanna T. Hellmich
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Читать онлайн книгу Das Auge der Medusa - Johanna T. Hellmich страница 4
Mit einem Knall landete die Bürste auf ihrem Waschbecken. Medusa biss sich schuldbewusst auf die Lippe. Sie hasste jede Erinnerung an diese beiden Menschen, die sie zur Welt gebracht hatten. Ihre Eltern hatten einen Blick auf diese seltsame Kreatur mit ihrem unheimlichen dritten Auge geworfen und hatten nichts mehr von ihr wissen wollen. Maya, die Schwester ihrer Mutter, hatte ihr nie erzählt, wie alt Medusa war, als ihre Eltern sie allein in ihrer Wiege liegen gelassen hatten und aus dem Haus, vielleicht sogar gleich aus dem Land geflohen waren. Medusa wusste nur, dass Maya sie zu sich genommen hatte. Keiner von ihnen hatte je die Narbe auf ihrer Stirn angesprochen. Medusa hatte sich davor gehütet, ihr Auge vor ihrer Tante zu öffnen. Ryo E?don und Helen Aetós hatten ihre eigene Tochter verloren und allein zurückgelassen, weil sie den Anblick dieses Monsters, das sie geboren hatten, nicht länger ertragen konnten.
Medusa spritzte sich eine Handvoll eiskaltes Wasser ins Gesicht. Es gab keinen Grund, plötzlich alte Wunden wieder aufzureißen. Der Albtraum musste sie mehr mitgenommen haben, als sie gedacht hatte. Genervt und entschlossen, keinen zweiten Gedanken an ihre leiblichen Eltern zu verschwenden, putzte sie sich energisch die Zähne. Als sie ausspuckte, sah sie rote Flecken inmitten der weißen Zahnpasta. Sie trocknete sich das Gesicht ab, bevor sie ihr Nachthemd auszog und in die Dusche stieg. Das kalte Wasser weckte sie endgültig auf. Sie stieg erst wieder ins Trockene, als sie von oben bis unten zitterte. Manchmal tat es ganz gut, seine Gedanken einzufrieren.
Sie trocknete sich ab und stellte resigniert fest, dass auch dieses Handtuch schon mehr Löcher hatte, als sie tolerieren wollte. Sie hatte sich ihre eigene Wohnung anders vorgestellt, doch sie würde sich nicht beschweren. Sie hatte ein Dach über dem Kopf und genug zu essen im Haus. Ihr knurrender Magen erinnerte sie daran, dass es Zeit fürs Frühstück war.
Sobald sie aus dem Bad trat, das löchrige Handtuch um sich geschlungen, machten sich die Erinnerungen an die letzte Nacht erneut breit in ihrem Kopf. Jemand musste etwas unternehmen. Sie musste jemanden finden, der sich um diesen Sektenanführer kümmerte und ihn daran hinderte, eine alte Gottheit zu beschwören. Plötzlich wusste sie mit Gewissheit, dass sonst das Böse gewinnen würde. Während sie in Gedanken versunken ihren knarrenden Kleiderschrank nach etwas Tragbarem durchsuchte, schlich eine Katze unter Medusas Bett hervor. Ihr Fell war fast komplett schwarz, nur ihre Schwanzspitze war weiß. Diese war hoch erhoben, als die Katze schnurrend um Medusas Beine strich.
„Dir auch einen guten Morgen, Medea.“
Medusa zog ein nur wenig zerknittertes T-Shirt aus einem Wäschehaufen und hielt es vor sich, bevor sie sich hinunter beugte, um Medea hinter den Ohren zu kraulen. Die Katze schnurrte laut als Antwort.
„Du wirst nicht glauben, was für eine verrückte Nacht ich hatte.“ Medusa zog sich das Queen-Wappen-T-Shirt an und warf das Handtuch achtlos auf den Boden, wo Medea sich sofort darauf stürzte. „Anscheinend hat unser Freund Charly diesen Sektenführer in der wachen Welt gesehen, deshalb hat er jetzt jede Nacht diese Albträume. Dieser Typ … Ach, ich kann ihn ja nicht die ganze Zeit Sektenführer nennen, oder? Ich sage, wir geben ihm einen Namen, was meinst du, Medea?“
Medea schien sich für das Problem nicht zu interessieren. Medusa zog an dem Bein einer schwarzen Hose, um sie unter einem Stapel herauszuziehen, und zog sie an, bevor sie genervt feststellte, dass sie vergessen hatte, Socken anzuziehen. Mit einem verärgerten Stirnrunzeln hob sie zwei ungleiche Exemplare vom Boden auf und zog sie ohne weiteren Kommentar an. Mit einem energischen Sprung drehte sie sich zu ihrer Katze um, die erschrocken von ihrem Handtuch-Bett aufsprang.
„Ich hab’s! Ich werde ihn ab jetzt einfach Alfred nennen. Dieser Name wirkt so ungefährlich.“
Ohne auf eine Reaktion zu warten, machte Medusa sich auf den Weg in die Küche, Medea folgte ihr. Das Erste, was sie tat, war die Futterschüssel ihrer Katze zu füllen und das Wasser zu wechseln. Danach ignorierte Medea sie. Medusa musste schmunzeln, sie konnte die Katze verstehen. Sie würde auch lieber einfach alles um sich ignorieren und den ganzen Tag nur schlafen, trinken und fressen.
Sie nahm sich eine Schüssel aus dem Regal und füllte sie mit Müsli und Milch. Mit der Schale in der Hand setzte sie sich auf die Anrichte und griff nach einem Löffel aus der Schublade, in der Besteck für höchstens vier Personen lag. Medusa ließ ihre Beine baumeln und betrachtete die weiße Schwanzspitze ihrer Katze, die sich hypnotisierend hin und her bewegte. Mit einem tiefen Seufzer begann sie ihr eigenes Frühstück zu löffeln. Sie hatte Zeit, um zu trödeln. Sie war früh aufgewacht und hatte erst um neun Uhr eine Verabredung mit Clara und ihren Uni-Freunden. Bis dahin musste sie sich überlegen, was sie Clara erzählen wollte. Schließlich ist es ihre Freundin gewesen, die vorgeschlagen hatte, afrikanische Traumwurzeln zu verwenden, um ein besseres Bild von dem Träumer zu bekommen und mehr Kontrolle über diesen wiederkehrenden Albtraum, dem Medusa nicht zu entkommen schien.
Clara war die Einzige, die über Medusas Fähigkeiten Bescheid wusste. Genau genommen, war sie die einzig Normale, der Medusa ihr Geheimnis anvertraut hatte. Medusa hatte schon bald herausgefunden, dass sie nicht allein war mit ihren Kräften. In ihrem dritten Jahr in der Schule hatte ein Junge den Wasserhahn in ihrem Klassenraum zum Explodieren gebracht. Er war von einem Mann mit Glatze und grauem Anzug abgeholt worden, angeblich ein Transport in ein Krankenhaus für begabte Kinder. Medusa hatte schnell gelernt, ihre Kräfte nicht in der Öffentlichkeit zu verwenden.
Ein junger Professor an ihrer zweiten Schule, Herr Klein, hatte ihre Fähigkeiten dennoch erkannt und sie zu seiner eigenen kleinen Lerngruppe für Begabte eingeladen. Dort hatte er ihnen beigebracht, mit ihren Talenten, wie er sie nannte, verantwortlich umzugehen. Er selbst konnte Begabte und ihre Auren sehen und hatte deshalb die Aufgabe übernommen, so vielen von ihnen zu helfen, wie er nur konnte. Erst später erfuhr Medusa, dass Klein für ein Unternehmen arbeitete, das sich darauf spezialisierte, Begabte ausfindig zu machen, zu trainieren und für sich arbeiten zu lassen. Die Gem Corporation. Das erklärte zumindest, woher dieser einfache Unterstufenlehrer so viel wusste. Er erzählte ihnen von Magie, dass jeder Mensch sie besaß, sie jedoch nur alle paar Jahrhunderte und bloß unter den richtigen Bedingungen aktiviert wurde. Er hatte sie „Glückskinder“ genannt. Er hatte ihnen von der offiziellen Klassifizierung erzählt, von Rubinen, Saphiren, Smaragden und Diamanten. Doch Klein konnte ihnen nicht sagen, wer diese Kategorien entworfen hatte, wer bestimmte, in welche man fiel. Er hatte Medusa einen Smaragd genannt, ihre Magie würde sich auf den Geist, den Verstand und auf Emotionen konzentrieren. Er hatte ihr Einzelunterricht gegeben und wollte ihr beibringen, andere Begabte mit ihrem dritten Auge aufzuspüren, doch sie hatte es nie geschafft. Als ein Mädchen während einer Sportstunde plötzlich tot umfiel, führten alle Wege bald zu Klein. Als die Elternvertretung und das Direktorat von seinem kleinen Club und den Privatstunden erfuhren, konnte er nur noch verschwinden und untertauchen. Medusa und die anderen Kinder wurden befragt und zu Psychologen geschickt, doch keiner verlor ein Wort über das, was in diesem Club vor sich ging, sie hatten alle zu viel Angst. Keiner von ihnen sah Professor Klein jemals wieder.
„Miiaaaaoooo!“
„Du hattest genug, Medea.“
Medusa sah auf ihr eigenes Frühstück. Ihr war der Appetit vergangen. Sie hatte noch eine gute halbe Stunde Zeit, bevor sie sich auf den Weg machen musste. Sie überwand sich, das Müsli hinunterzuschlingen, in ihrem Haus wurde kein Essen weggeworfen! Dann stapelte sie das Geschirr geübt in die Abwaschwanne, darum würde sie sich später kümmern. Ihre Wohnung war relativ klein, ein schmaler Gang führte vom Eingang in das Wohnzimmer, an dessen Nordseite sich die Küchenzeile befand. Eine Tür führte in eine kleine Abstellkammer, in der Medeas Katzenklo stand. Eine zweite Tür führte in das Schlafzimmer, das gerade groß genug für eine Person war, und in das Medusa nun trat. Von dort gab es eine weitere Tür, die in das kleine Badezimmer führte.
Medea strich um Medusas Beine, als diese sich an ihren Schreibtisch setzte, den sie gelegentlich