Internationaler Buchmarkt. Corinna Norrick-Rühl

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Internationaler Buchmarkt - Corinna Norrick-Rühl BRAMANNBasics

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einigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen: Zu Beginn des Jahres 2018 stand vollkommen überraschend ein englischsprachiges Sachbuch in den deutschen Bestsellerlisten – Fire and Fury. Inside the Trump White House. Das Enthüllungsbuch des US-amerikanischen Journalisten Michael Wolff (US-amerikanischer Verlag: Henry Holt) erreichte schon in der englischsprachigen Originalausgabe tausende deutsche Leser – und das, obwohl die deutsche Erstausgabe als rasanter Schnellschuss zeitgleich von sieben Übersetzern angefertigt wurde und nur wenige Wochen später unter dem Titel Feuer und Zorn (Rowohlt Verlag) erschienen ist. Am Ende des Jahres 2018 stand auch ein Ausnahmebuch in der Bestsellerliste – und das gleich in drei Ausgaben: Becoming von der ehemaligen First Lady der USA, Michelle Obama, stand in der deutschen Übersetzung (Goldmann Verlag), in der britischen (Viking Verlag) und in der US-amerikanischen Originalausgabe (Crown Verlag) parallel in den Top 10 der Spiegel-Bestsellerliste. Bei diesem Buch war der Erfolg schon vorausgesagt worden, sodass sechs Übersetzer dafür sorgen konnten, dass die deutschsprachige Ausgabe rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft vorlag.

      Diese zwei Beispiele zeigen eindrücklich: Die Grenzen zwischen den nationalen Buchmärkten verschwimmen zusehends. Umso wichtiger ist es, dass die deutschsprachige Buchforschung über den Tellerrand schaut und die Gegebenheiten auf dem internationalen Buchmarkt einordnen kann. Die traditionell in Studiengängen ›rund ums Buch‹ – anglophon häufig historisch geprägt und unter #book history zusammengefasst – vorgebrachte nationale Perspektivierung greift häufig zu kurz. Doch auch jenseits solcher eindrücklicher Fallbeispiele sind die Akteure und Institutionen im Buchmarkt immer internationaler aufgestellt und die Produktpalette gleicht sich in verschiedenen Märkten an. Sichtbar wird dies auch an den ganz großen Bestsellern im Bereich der Unterhaltungsliteratur wie Girl on a Train (2015) oder Gone Girl (2012), wo Titel mittlerweile gerne gar nicht ins Deutsche übertragen, sondern zur Erhöhung der Wiedererkennbarkeit und im Sinne der Einheitlichkeit im Original belassen werden. Im Prinzip kann dies als eine Folge der Globalisierungstendenzen in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur gedeutet werden. Scott Lash und Celia Lury sprechen seit gut einem Jahrzehnt – Theodor Adornos (1903–69) Begriff verwendend – von einer #globalen Kulturindustrie. Im Fokus dieses Bandes steht das Kulturprodukt Buch, das neben Fernsehserien, Popmusik und Mode ebenfalls als kulturelles Exportprodukt global wirkt. Zudem haben sich die Fremdsprachenkenntnisse der Leser über die letzten Jahrzehnte derart verbessert, dass die englischsprachige Lektüre offensichtlich eine gute Option für viele Buchkäufer geworden ist.

      Dennoch: Nur wenige englischsprachige Titel schaffen es, im deutschen Buchhandel hohe Absatzzahlen zu erreichen. Im Zuge des Harry Potter-Phänomens hatten einige englischsprachige Bände die deutsche Bestsellerliste gekapert, weil die Leser die Übersetzungen nicht abwarten wollten. Auch bei (wenigen) anderen All-Age-Titeln (also Buchtiteln, die sowohl von Teenagern, jungen Erwachsenen und Erwachsenen rezipiert werden) wie der Biss-Reihe (Autorin: Stephenie Meyer) oder der Panem-Reihe (Autorin: Suzanne Collins) war dieser Ausnahmezustand erreicht worden. Zu beobachten ist dieser Trend außer in Deutschland vor allem in europäischen Ländern, in denen das Englischniveau besonders hoch ist, etwa in den Niederlanden oder in Skandinavien.

      Als Einstieg können schlaglichtartig andere Beispiele für die Internationalisierungstendenzen im Buchmarkt angeführt werden. Traditionell und etwas vereinfacht lässt sich Buchforschung in die Bereiche Produktion, Distribution und Rezeption untergliedern, weswegen hier jeweils ein Beispiel zu den drei Bereichen genannt werden soll.

      • In Bezug auf die Produktion ist die Verlagswelt seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert zunehmend globalisiert: mit multinational aufgestellten Medienriesen wie den in Deutschland ansässigen Konzernen Bertelsmann oder Holtzbrinck – die beide aus dem Printbereich stammen – oder mit der US-amerikanischen News Corp, die vom Zeitungsmarkt über den Film- und Fernsehsektor in den Buchmarkt vorgestoßen ist. Solche transnational media conglomerates (TMCs) über schreiten in ihrer täglichen Arbeit die Grenzen der traditionellen Medien – selbstverständlich nationale Grenzen.

      The global expansion of the book itself demands new modelling to capture, among many variables, international labour division and imperial and economic systems based on multinational, highly capitalized global publishing conglomerates.

       James Raven1

      • In Bezug auf die Distribution fällt sofort der Online-Buchhandel mit Amazon (mit europäischem Sitz in Luxemburg) in einer zunehmenden Monopolstellung ins Auge; Amazon hatte Anfang 2018 neben den USA und Deutschland (amazon.de versorgt auch Österreich und die Schweiz) Ableger in Großbritannien, Frankreich, Kanada, Italien, Spanien, den Niederlanden, Australien, Brasilien, Japan, China, Indien und Mexiko und damit auf vier Kontinenten.

      • Bei der Rezeption sind zum Beispiel die – meist in den USA ansässigen – sozialen Medien zu nennen, die alte Rezeptionsmuster neu interpretieren und damit den Kauf- und Leseprozess sowie auch die anschließende Buchkommunikation über nationale Grenzen hinweg erheblich beeinflussen, etwa über Bookstagram/Instagram, Goodreads und andere Portale.

      Demgegenüber steht die Tradition der herkömmlichen Buch- und Verlagsforschung, die mit Blick auf das 19. und 20. Jahrhundert stark in nationalen Kontexten verankert ist – ganz im Gegensatz zu der buchhistorischen Forschung zur Frühen Neuzeit, in der nationale Grenzen ohnehin noch keine Rolle spielten, sondern die Märkte sich fast ausschließlich über Sprache (Latein oder Umgangssprache) und Zielgruppe (Lesen für Wissenschaft oder für den Alltag) definierten. Andererseits argumentierte etwa der Politikwissenschaftler Benedict Anderson (1936-2015) in einem vielbeachteten Konzept, dass der Buchdruck gerade in Verbindung mit dem westlichen Kapitalismus und der Umgangssprache (Zusammengefasst als print capitalism) ein wichtiger Katalysator für die Entstehung von nationalen Gemeinschaften war.

      Speakers of the huge variety of Frenches, Englishes, or Spanishes, who might find it difficult or even impossible to understand one another in conversation, became capable of comprehending one another via print and paper. […] These fellow-readers, to whom they were connected to print, formed, in their secular, particular, visible invisibility, the embryo of the nationally imagined community.

       Benedict Anderson2

      In seinem Werk Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism (Originalausgabe 1983; deutsche Erstausgabe 1988: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts) diskutiert Anderson die Erfindung des Buchdrucks in Zusammenhang mit dem aufkommenden Kapitalismus in der Frühen Neuzeit. Die Entscheidung der Drucker-Verleger und später der Verleger, in der Volkssprache anstatt weiterhin in Latein zu publizieren, sei wirtschaftlich motiviert gewesen (mehr potentielle Leser). Die gedruckten Werke in der jeweiligen Volkssprache hätten auf drei Weisen zu der Formierung von vorgestellten Gemeinschaften beigetragen: erstens mit der Etablierung von sichtbaren Sprachgemeinschaften außerhalb des Lateinischen – also unterhalb der Elite. Zweitens durch die Fixierung einer bestimmten Form der Schriftsprache und damit der schrittweisen Standardisierung bestimmter Sprach- und Schreibvarianten. Drittens und letztens durch Fortschreibung und Unterstreichung von Machtgefügen und Hierarchien: Hochdeutsch, royales Englisch, usw. wurden als die Sprachvarianten der Mächtigen gewählt und Dialekte dadurch aufgewertet oder abgewertet, je nach Nähe zum Standard.

      In den letzten Jahren wurde zunehmend in Bezug auf book history – besonders im angelsächsischen Raum – reflektiert, ob es überhaupt gewinnbringend ist, Büchern nationale Grenzen zuzuweisen (»Did books have national boundaries?« Joan Kelly-Gadol). Die Rede ist zunehmend von #global book history. Nationalgrenzen sind schließlich wandelbar und menschengemacht, also zu einem gewissen Grad artifiziell. Sydney Shep fragt, ob nicht lieber von global books die Rede sein sollte, die in materieller sowie immaterieller

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