Revolution und Heimarbeit. Frank Witzel

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Revolution und Heimarbeit - Frank Witzel

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Stelle nicht nachgefragt. Es sei wie mit dem Recorder. Er habe gedacht, wenn bei dem Recorder Kopfhörer dabei seien, brauche er sich nicht auch noch um Kopfhörer zu kümmern. Aber hätte er sich nur um Kopfhörer gekümmert, denn dann sei er in Arlington gesessen, angewiesen auf diese Dinger, die ihn bei jeder Benutzung daran erinnerten, daß irgendetwas aus den Proportionen geraten sei, entweder seine zu großen Ohren oder eben diese zu kleinen Stöpsel, die ihm immer wieder herausgerutscht seien, so daß er nochmal und nochmal die Aufnahme habe unterbrechen müssen, um alles neu zu justieren, wobei einem, wenn man nicht von einem Ziel oder einem Wahn oder einer Verpflichtung, was alles auf dasselbe herauslaufe im Endeffekt, abgelenkt sei, allein ein solch unbedeutendes Detail schon zu denken geben sollte.

      Normalerweise achte man nicht auf unbedeutende Details, weil man einer großen Idee nachlaufe, aber auch eine große Idee setze sich nur aus unbedeutenden Details zusammen, und wenn man auf diese Details nicht achte, dann habe man sich über kurz oder lang verfahren und komme weder vor noch zurück. Wenn man immer nur mit großen Ideen herumlaufe, oder sich wahlweise von Leuten einspannen lasse, die mit großen Ideen herumliefen, dann ende alles früher oder später in einem Desaster. Es liefen nämlich nicht allein wurschtige Leute herum, die als Erstbeste anderen in ihren Verhältnissen verketteten Menschen Ratschläge geben, sondern es liefen auch genügend Leute mit einer großen Idee herum, die auf nichts anderes aus seien, als andere Menschen für ihre Idee einzuspannen. Eine Idee habe ja das Gute und fast Unüberwindbare, daß man sich nach Belieben hinter dieser Idee verstecken könne, und daß man dabei immer so tun könne, als ginge es allein um die Idee. Und weil man sich so gut hinter Ideen verstecken könne, hätten diese Ideen auch bald entsprechende Bürokomplexe und Aufsichtsräte, hinter denen ein Verstecken dann noch bequemer sei. Je mehr etwas aufgeblasen werde, desto besser könne man sich dahinter verstecken. Natürlich genüge umgekehrt immer weniger, dieses bis zum Zerreißen Aufgespannte zum Platzen zu bringen.

      Dieses Zerplatzen habe seine Ursache in dem von ihm schon zuvor benannten transhorizontalen Wertesystem, welches das Metaphysische, und damit die Idee und das Verstecken hinter dieser Idee, erst ermögliche. Denn wenn es auf der einen Seite darum gehe, den Horizont mit aufgeblasenen Bürokomplexen zuzubauen, so gehe es auf der anderen Seite darum, gerade diesen metaphysischen Horizont, den man sich mitsamt den auf ihm befindlichen Bürokomplexen selbst errichtet habe, zu überwinden. Wenn bei einer solchen Überwindung jedoch eine Idee und die aus dieser Idee entstandenen Bürokomplexe zerplatzten, so sei dies lediglich ein Zeichen der Selbstregulierung des Marktes und nicht weiter tragisch. Der Horizont verlagere sich quasi ein Stück nach hinten, und die dort errichteten Bürokomplexe seien noch prächtiger und spiegelten sich mit ihren Glaskuppeln zauberhaft in der untergehenden Sonne.

      Man könne natürlich versuchen, auf Kleinigkeiten zu achten und sich vor Ideen zu hüten und Leuten, die mit Ideen hausieren gingen, genauso wie vor wurschtigen Leuten, doch oft seien die mit den Ideen und die Wurschtigen nicht zu unterscheiden, weshalb man sich am besten überhaupt in acht nehmen solle, wenn jemand das Wort an einen richte, denn wenn jemand das Wort an einen richte, dann habe er garantiert etwas vor, und ehe man sich versehe, überweise man Unsummen auf Konten, nur um an einer Idee und dem Versteckspiel um diese Idee Anteil zu haben. Und dies alles habe seinen Ursprung allein in der Angst, daß einem ein anderer zuvorkommen könne. Schon kaufe man sich einen Recorder und ein Rückflugticket und betreibe damit eine Art Vorfinanzierung, obwohl er sich schon vor Jahren geschworen habe, keine Art von Vorfinanzierung mehr zu betreiben. Da mache man sich immer über die Leute lustig, die auf irgendwelche suspekten Konten Unsummen Geld überwiesen, um dann eine Heimarbeit vermittelt zu bekommen, dabei mache man es selbst nicht viel anders. Was um alles in der Welt aber solle heute noch Heimarbeit sein? Wer brauche denn noch jemanden, der etwas für ihn in Heimarbeit erledige? Was könne das sein? Adressen schreiben? Karteikarten sortieren? Das seien Märchen, die sich aus den fünfziger Jahren gehalten hätten und weiter nichts. Begriffe hielten sich nun einmal im allgemeinen länger als das, was hinter den Begriffen stehe.

      Zum Beispiel der Begriff Revolution, dieser Begriff hielte sich auch, obwohl es das, was hinter diesem Begriff stehe, schon längst nicht mehr gebe. Unter dem Begriff Revolution verberge sich heute entweder Wurschtigkeit, Ausbeutung oder Heimarbeit. Gleichzeitig habe man entsprechende Bilder aus dem bolivianischen Dschungel im Kopf. Und mit diesen Bildern im Kopf betreibe man dann seine Wurschtigkeit, Ausbeutung oder Heimarbeit. Es sei bestimmt lohnend, einmal zu untersuchen, ob mit dem Auftauchen des Begriffs Revolution nicht das Ende der Revolution eingeläutet worden sei und Wurschtigkeit, Ausbeutung und Heimarbeit ihren Anfang genommen hätten. Es würde ihn wundern, wenn es anders sei. Aber wenn man über Revolution spreche, tauchten Wurschtigkeit, Ausbeutung und Heimarbeit niemals auf. Manchmal tauche der Begriff der Ausbeutung auf, dann etwa, wenn eine Revolution fehlgeschlagen sei, aber auch dieser Begriff komme aus dem abgefingerten Fundus der Diskussionsrunden und habe keinen anderen Sinn und Zweck als den Mantel des Vergessens über Wurschtigkeit und Heimarbeit zu legen. Mit Diskussionsrunden und Arbeitskreisen zum Thema Wurschtigkeit und Heimarbeit komme man unter Umständen, wenn man sich nicht verzettele und die eigene Nase immer wieder auf diese beiden Begriffe stoße, auf einen neuen Begriff der Revolution und vielleicht sogar darauf, was tatsächlich zu revolutionieren sei. Dann könne man seine Bilder vom bolivianischen Dschungel ad acta legen, denn solange das Bild der Revolution immer ein Bild der Entfernung sei, solange erhalte die Revolution ihren Wert allein durch das Zurücklegen dieser Entfernung. Dann reise man mit einem Mal mit einem Bus durch Bolivien und betrachte sich die Orte der Revolution. Oder man fahre in andere Länder Süd- oder Mittelamerikas, was einem völligen Eingeständnis des Scheiterns jeglicher Revolution gleichkomme. Weil die Bilder der Revolution vom bolivianischen Dschungel langsam und zu recht ihre Kraft einbüßten, da sich hinter diesen Bildern nur noch Wurschtigkeit, Ausbeutung und Heimarbeit versteckten, fahre man dorthin, um die Bilder vor Ort abzugleichen und zu meinen, jetzt wisse man endlich wieder, was Revolution sei und worum es bei einer Revolution gehe, obwohl man mit einer solchen Reise nichts anderes mache, als das Scheitern der Revolution zu zementieren, denn eine Revolution, die sich außerhalb befinde, eine Revolution, zu der man erst hinreisen müsse, das sei keine Revolution, sondern schlicht und einfach Imperialismus. Revolutionsimperialismus. Zu Hause versteckten sich Wurschtigkeit, Ausbeutung und Heimarbeit hinter der Revolution, und weil man genau das nicht ertrage, reise man zu den Stätten der Revolution, die man mit derselben Ehrfurcht betrachte wie früher die alten Säulen auf der Via Appia. Dies aber heiße nichts anderes, als die Revolution zur touristischen Kategorie zu entbeinen, die in den azurblauen Bänden der Reisebüros neben dem Frühstücksbuffet und der Treckingtour firmiere. Da fräßen die Kinder die Revolution dann gleich zum Frühstück. Zu Hause gebärde man sich wie wild, schreibe über seine Erlebnisse im bolivianischen Dschungel und jage das Geschriebene mit Verve über einen der Sender, die einem die Reise zu den schönsten Stätten der Weltrevolution mitfinanziert hätten.

      Man könne überhaupt machen, was man wolle, sich auf den Kopf stellen und zuhause nur CDs laufen lassen, auf denen bolivianische Revolutionäre bolivianische Revolutionslieder sängen, es helfe nichts, es sei nichts weiter als der Kolonialismus der Väter, den man sich daheim aus den Poren schwitze. Und so wie sich der Kolonialismus der Väter mit der Industrialisierung verbunden habe, so habe sich die Revolution mit der Heimarbeit verbunden. Die Heimarbeit nämlich sei ein Märchen, das sich aus derselben Zeit gehalten habe wie die Revolution. Es sei ein Märchen, das sich gehalten habe, um Leute auszunehmen. Alles, was man nicht mehr gebrauchen könne, alles, was schon seit Jahrzehnten überholt sei, das könne man noch einmal unter dem Begriff Heimarbeit verkaufen, und so sei es eben mit der Revolution.

      Er wolle an einem letzten Beispiel, bevor er sein erstes Dokument präsentiere, noch einmal den Begriff der Heimarbeit, und damit gleichzeitig den Begriff der Revolution verdeutlichen. Vor dreißig Jahren habe es etwas gegeben, das Prägemaschine geheißen habe. Diese Maschine sei etwa handtellergroß gewesen und keineswegs billig. Wenn er es sich recht überlege, habe diese Prägemaschine wie ein Revolver ausgesehen, zumindest so ähnlich wie ein Revolver. Dort, wo man bei einem Revolver die Munition hineintue, habe man bei der Prägemaschine einen zusammengerollten Plastikstreifen hineingeschoben. Dort, wo beim Revolver also die Trommel gewesen sei, habe sich bei der Prägemaschine der zusammengerollte Plastikstreifen befunden, und über

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