Revolution und Heimarbeit. Frank Witzel

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Revolution und Heimarbeit - Frank Witzel страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
Revolution und Heimarbeit - Frank Witzel

Скачать книгу

sie haben es geschafft.

      Während Tannys Vater einen auf Herr Ingenieur machte, mit weißem Kragen und Wohnung mit Aircondition, obwohl er in China selbst kein großes Licht war, mußte Tannys Mutter unten mitgraben. Ihr Vater, also Tannys Großvater, war wegen irgendeiner Kleinigkeit verhaftet worden. Keine Ahnung, was das war. Vielleicht hatte er einen schlechten Witz erzählt oder irgendwas gemacht, was den roten Khmer nicht gefallen hat, ohne Erlaubnis Gurken angebaut oder keine Baugenehmigung für seinen Hühnerstall eingeholt, was weiß ich. Wenn solche Regierungen erst einmal schlecht drauf sind, dann kannst du machen, was du willst. Das ist dann wie beim Militär, wenn sie dich da erst einmal auf dem Kieker haben, da bleibt dir am Ende nichts anderes mehr übrig als dir selbst den Kopf wegzupusten. Oder eben einem anderen den Kopf wegzupusten. Dann erst lassen sie dich in Ruhe. Sie stecken dich in eine Einzelzelle und schauen alle halbe Stunde durch ein Guckloch zu dir rein, um zu sehen, ob du schon am Fensterkreuz hängst oder ein paar Gabeln verschluckt hast, um hops zu gehen. Aber wozu noch hopsgehen, wenn du endlich deine Ruhe hast? Ich würde es ohnehin ganz anders anstellen. An Waffen kommt man dort doch mit Leichtigkeit, und wenn ich mich erstmal in einer Baracke verschanzt hätte, da könnten die da draußen lange warten.

      Tannys Opa hatte allem Anschein nach keinen blassen Schimmer über das, was in seinem Land und da draußen im Dschungel vor sich ging. Dabei war der noch nicht mal besonders alt. Opas sind nur in Filmen alt. Im wirklichen Leben sind sie gerade mal fünfzig und kümmern sich einen Dreck um dich. Was kommst du immer zu mir? Beschwer dich bei deiner Mutter, wenn du nicht genug Taschengeld bekommst. Meinst du, ich hab einen Dukatenscheißer bei mir in der Garage stehen? Und jetzt raus, ich hab zu tun. Danke, Opa. Dabei wären ihm die paar Kröten wesentlich billiger gekommen als zwei zerkratzte Seitentüren an seiner liebevoll aufpolierten Nuckelpinne. Aber egal. Tannys Opa war also auch nicht alt, konnte sich aber nicht richtig wehren. Anstatt sich in seinem Hühnerstall zu verbarrikadieren, marschierte er einfach ins Gefängnis. Wahrscheinlich hoffte er, daß sie ihn laufen lassen, wenn er keine Schwierigkeiten macht. Das ist ein Fehlschluß, den viele draufhaben. Ich bin ganz ruhig, dann tut man mir nichts. Weißt du, wann sie dir wirklich nichts tun? Dann, wenn du ständig deine Klappe aufreißt und überall gleich herumschreist. Da sind sie nämlich froh, wenn sie dich in Ruhe lassen dürfen, das kannst du mir glauben. Das ist vielleicht nicht ganz die feine und angenehme Art, wie man Freunde gewinnt und Menschen beeinflußt, aber es wirkt.

      Tannys Opa saß nicht mal zwei Wochen ab. Dann war er nämlich tot. Sie konnten ihn noch nicht mal mehr raus nach Kompong Chhang schicken. Und das wurmte die irgendwie. Diese ganzen Militärdiktaturen, die haben schließlich auch was vor mit den Leuten. So krank deren Hirne auch sein mögen, irgendetwas planen die immer. Und wenn dann einfach einer zu früh abtritt, ich meine bevor er seinen Zweck erfüllt hat, das sehen die gar nicht gern. Also gingen sie zur Familie von Tannys Mutter oder zu dem, was noch von der Familie übrig war. Wenn die erst einmal eine Adresse haben, dann kommen die jede Woche vorbei. Egal, was du machst oder nicht machst. Sie haben die Adresse, also schaun sie mal nach. Und dann mußte Tannys Mutter ran, weil sie die einzige war, der man zutraute, überhaupt noch eine Schaufel halten zu können. Ihre Geschwister waren noch zu klein. Was nicht heißt, daß da keine Kinder mitgemacht hätten. Aber nicht ganz kleine Kinder, die gleich umfallen oder den anderen zwischen den Beinen herumlaufen und schreien. Achtzehn Stunden am Tag mußten die unter Tage schaufeln. Zweimal am Tag gab es eine Schale Reiswasser.

      Was um alles in der Welt ist Reiswasser? habe ich Tanny ganz naiv gefragt.

      Wie Reiswasser? Das Wasser, in dem Reis gekocht wird.

      Das, was man normalerweise wegschüttet?

      Ja, aber man muß es nicht wegschütten. Man kann auch eine Suppe daraus machen. Reiswasser ist nahrhaft.

      Nahrhaft? Ich fragte mich, ob sie etwa ernsthaft diese durchgeknallten Kungfuheinis verteidigen wollte, und wurde beinahe sauer. Aber es war ein Mißverständnis. Tanny wollte, glaube ich, nur ihre Kultur verteidigen. Das wäre in etwa so, wie wenn mir jemand erzählen würde, daß amerikanische Soldaten in irgendeinem Land, in dem sie stationiert sind, Milky Ways oder Snickers oder Three Musketeers oder Forever Yours oder was weiß ich auf verminte Felder geworfen hätten, um die Kinder anzulocken, die dann auf ihre ganz persönliche Art die Bomben entschärfen, na ja, und ich würde nur sagen, aber Milky Way schmeckt doch wirklich nicht schlecht und Three Musketeers auch nicht. So war das mit der Bemerkung über das Reiswasser von Tanny, denke ich. Ansonsten kann sie da doch nicht wirklich irgendwas dran finden, bei aller Heimatliebe oder was das sein mag.

      Ich hatte vorher überhaupt keine Ahnung, was sich da abgespielt hat. Wer abzuhauen versuchte, der wurde totgeprügelt. Wenn du vor Erschöpfung eingeschlafen bist: totgeprügelt. Wenn du krank wurdest und nicht mehr weiterarbeiten konntest: totgeprügelt. Selbst wenn du nur ein Wort zu jemandem gesagt hast: totgeprügelt. Wirklich nicht sehr einfallsreich. Eher hirnlos. Aber daß dieser Garry Jesus Glitter mal darüber ein Wort im Fernsehen verliert, das kannst du vergessen. Daß überhaupt mal jemand ein Wort darüber verliert. Na ja, was rege ich mich auf.

      Es ist natürlich Quatsch, da von Liebe zu reden. Ich meine jetzt Tannys Mutter und den Chinesen. Obwohl mir das schon manchmal zu schaffen macht. Meistens dann, wenn ich ohnehin ziemlich fertig bin und durchhänge. Wenn wir nichts Richtiges im Haus haben oder ich den ganzen Tag allein rumhängen muß, weil Tanny von irgendeiner Probe nicht heimkommt. Da fällt mir das schon ein. Natürlich ist mir Tannys Mutter egal, um die geht es nicht. Aber ich denke dann, wenn man das so mitkriegt vielleicht, wenn man sogar aus so einem Verhältnis entstanden ist, wer weiß, kann doch sein, daß das abfärbt. Die Liebe einfach so einzusetzen. Obwohl es ja nicht Liebe war. Darum ging es auch gar nicht. Es ging darum, das nackte Leben zu retten und um nichts anderes. Und was weiß ich denn, was sich meine Alten gedacht haben, ich meine, warum die zusammengekommen sind und mich, ihren einzigen Sohn, gezeugt haben. Und bei mir und Tanny liegt der Fall sowieso vollkommen anders.

      Besonders in den letzten Monaten lag der Fall vollkommen anders. Da brachte sie nämlich das Geld heim. Da hätte man eher mir so was unterstellen können, ich meine, berechnend zu sein oder eben wegen Geld bei ihr zu wohnen. Das sind nur so Ideen, die dir dann doch manchmal kommen, wenn es gerade nichts zu tun gibt und du nur Zuhause rumhängst und dir dann noch diesen Müll anschauen mußt. Obwohl ich es genauso gemacht hätte an ihrer Stelle, ich meine jetzt Tannys Mutter. Deinen Vater haben sie um die Ecke gebracht, deine kleinen Geschwister können nur drauf warten, daß sie auch ran müssen, und dann läufst du völlig kaputt am Abend zu irgendeiner Baracke, wenn’s sowas dort überhaupt gab, wahrscheinlich eher nicht, aber du läufst irgendwohin, um dich hinzulegen, und da stehen dann die feinen Pinkel mit den weißen Kragen. Wenn du da merkst, daß da einer ein Auge auf dich geworfen hat: besser gleich zugreifen und was draus machen.

      Kurz vor Weihnachten ’78 hat Tannys Mutter dort angefangen zu arbeiten. Da gab es von den 50.000 Arbeitern, die da vor zwei Jahren begonnen hatten, noch knapp 3000. Das darf man sich also nicht zu einfach vorstellen. Für so etwas brauchst du Mut. Du mußt alles auf eine Karte setzen. Wenn sie dich totprügeln, weil du nur irgendein Wort gesagt hast, was passiert dann erst, wenn du dich an einen Weißkragen ranmachst? Außerdem weißt du nicht, an wen du da gerätst. Der nimmt dich mal kurz ran und dann verpfeift er dich, weil ihm das am wenigsten Arbeit macht.

      Aber Tannys Mutter war geschickt. Sie hatte ein gutes Auge, und vor allem, glaube ich zumindest, hatte sie die richtige Mischung drauf. Du kannst nicht die Initiative ergreifen, nicht als absoluter Underdog, der sich da übermüdet und stinkend aus der Grube schleppt, aber du kannst ihm umgekehrt auch nicht ganz allein die Initiative überlassen, sonst überwiegen da am Ende doch nur die Bedenken. Aber ein Blick. Ein Blinzeln. Manchmal entscheidet ein Blinzeln über Leben und Tod, das kennt man doch schon aus dem Verkehrsfunk.

      Dann kam Neujahr und der Ingenieur nahm sie mit sich in sein Appartement oder seine Baracke, und sie schliefen miteinander und zeugten wahrscheinlich gleich dort beim ersten Mal Tanny. Dann, am 4. Januar, und da hatte Tannys Mutter wahrscheinlich wirklich Schwein,

Скачать книгу