Vor Dem Fall. L. G. Castillo
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Читать онлайн книгу Vor Dem Fall - L. G. Castillo страница 14
Sanft löste Raphael sie von seiner Brust. Er blickte ihr in die Augen. »Sag es mir, Rebecca. Sag mir, was los ist.«
Sie senkte den Blick und ihre schwarzen Wimpern hoben sich auf ihren Wangen ab. Sie war so schön. Er hasste es, sie so zu sehen, aber er musste es wissen. Während des gesamten Abendessens hatte sie kein Wort gesagt. Das war für sie völlig untypisch.
»Hat Luzifer etwas zu dir gesagt?«
Es war möglich, dass Luzifer versucht hatte, von ihr Informationen über Jeremiel zu bekommen. Sie waren vor langer Zeit übereingekommen, Jeremiels Gaben und seine Herkunft geheim zu halten. Sie wollten, dass er so behandelt wurde, wie alle anderen in der Gemeinschaft auch.
»Nein. Er hat nicht mit mir gesprochen. Es ist nur… er…« Ihre Wangen färbten sich rot.
»Was ist es?« Raphael legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an. Ihre Augen begegneten seinem Blick und einen Moment lang dachte er, sie würde etwas sagen, als sie plötzlich den Atem ausstieß.
»Im Grunde ist es nichts weiter. Es ist nur… Jeremiel wird älter und ich erkenne so viel von dir in ihm und seinen Wesenszügen als Sohn eines Erzengels. Luzifer zu sehen erinnert mich an die Macht, die du hattest und die du aufgegeben hast, um mit mir zusammen zu sein und dann frage ich mich…«
»Was fragst du dich?«
»Ich frage mich, ob du es manchmal bereust.«
Raphael musterte ihr Gesicht. Er hatte das Gefühl, dass da noch mehr war, das sie ihm nicht verriet. Es sah ihr nicht ähnlich, etwas vor ihm geheim zu halten.
»Überhaupt keine. Du etwa?«
Er hielt den Atem an, als sie einen Augenblick lang zu Boden sah und zögerte.
»Nur eines tut mir leid.«
Sein Herz setzte einen Schlag aus.
»Du bereust, mich geheiratet zu haben?« Er brachte die Worte kaum heraus.
Ihre Augen blitzten ihn an. »Nein. Oh nein. Das bereue ich nicht. Ganz und gar nicht.«
Sein Herz begann wieder zu schlagen. »Was ist es dann?«
»Es ist Baka.«
»Baka?«
»Eigentlich ist es mehr Jaels als Bakas wegen. Keine Frau sollte so leiden, wie sie es durch seine Hand tut. Es vergeht kein einziger Tag, an dem ich dem Himmel nicht dafür danke, dass er dich geschickt hat und dafür, dass du mich liebst. Ohne dich wäre ich an Jaels Stelle.«
Gelegentlich begegnete er der dunkelhaarigen Frau, die Baka geheiratet hatte, nachdem Raphael Rebecca zur Frau genommen hatte. Jael und Rebecca hatten ähnliche Gesichtszüge und man hätte sie für Schwestern halten können – nur, das Jael größer war und ihre Augen schwarz anstatt haselnussfarben. Es war nicht überraschend gewesen, dass Baka Jael gewählt hatte. Was ihn überrascht hatte, war, dass er sie innerhalb weniger Tage nach Raphaels und Rebeccas Hochzeit geheiratet hatte.
»Er tut ihr doch nicht weh, oder? Er schien stolz zu sein, als er seinen Sohn vorgeführt hat.« Bakas Sohn war wenige Tage vor Jeremiel zur Welt gekommen und Baka hatte alles getan, damit jeder in der Stadt von seinem neugeborenen Sohn, Saleos, erfuhr.
»Nein, aber das heißt nicht, dass sie nicht leidet. In diesem Haus gibt es keine Liebe, zumindest nicht für sie. Er liebt nur, was sie ihm und seinem Status in der Stadt bringen kann. Man hat mir erzählt, dass sie wieder schwanger ist. Ich bete darum, dass sie ihm mehr Söhne schenkt. Es ist der einzige Anlass, zu dem er zumindest so tut, als liebte er sie.«
»Das ist es also, was dir leid tut. Du bereust nicht, dass du einen gefallenen Engel geheiratet hast? Oder dass deine eigene Familie dich meidet?«
Sie sah ihm tief in die Augen. »Du hast mich in mehr als einer Hinsicht gerettet, Raphael. Mein Vater…« Sie schluckte schwer. »Mein Vater war wütend – und zu Recht, denn ich habe ihn vor der ganzen Stadt bloßgestellt, als er die Vereinbarung brechen musste, die er getroffen hatte, um mich mit Baka zu verheiraten. Mein Vater hat seine Verpflichtungen. Ich… ich verstehe das.«
Er wischte eine Träne beiseite, die ihr über die Wange lief. Dathan, Rebeccas Vater, war der Gouverneur von Ai und bekannt für seine Liebe zu Goldmünzen. Wie jemand wie er eine Tochter haben konnte, die so rein und lieblich war wie Rebecca entzog sich seinem Verständnis. Nichtsdestotrotz liebte sie ihren Vater. »Ich könnte zu Dathan gehen und ihn um Vergebung bitten.«
»Nein, bitte tu das nicht. Mein Vater hat seine Wahl getroffen und ich die meine.«
Sie streckte die Hand aus und legte sie an seine Wange. »Du bist jetzt meine Familie. Du hast mir einen Sohn geschenkt, der in seiner Wesensart und Güte ist wie du. Wenn ich das alles noch einmal entscheiden müsste, würde ich es wieder tun. Es gibt nur eine Sache, um die ich dich bitten möchte.«
»Alles. Worum auch immer du mich bittest, ich werde es dir gewähren.«
»Versprich mir, dass du über Jeremiel wachen wirst, wenn ich… nicht mehr bin.«
Bei ihren Worten stockte ihm der Atem. Es war eine stumme Übereinkunft zwischen ihnen, dass sie nie über den Tod sprachen. Das war etwas, das ihm zu unerträglich war, um auch nur daran zu denken. Er wusste, dass sie eines Tages sterben würde und wenn sie es täte, würde sie in den Teil des Himmels gelangen, den nur Menschen erreichen konnten – die Erzengel lebten anderswo mit den Seraphim und Schutzengeln.
»Rebecca«, krächzte er. »Von solchen Dingen darfst du nicht sprechen. Du hast noch Jahre, Jahrzehnte, bevor… es so weit ist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das müssen wir, Raphael. Bitte. Es würde mich so sehr trösten, zu wissen, dass Jeremiel bei dir sein wird. Das wird er doch, oder?«
»Ich weiß es nicht.« Das Einzige, was er wusste, war, dass Jeremiel ungewöhnlich große Kräfte und ein überdurchschnittliches Hör- und Sehvermögen besaß. Er wusste nicht, ob ein Halbengel zu sein mit Unsterblichkeit einherging.
»Kannst du… gibt es jemanden, den du fragen kannst?«
Raphael seufzte, als er an Gabrielle dachte. Wenn es jemanden gab, der Michael davon überzeugen konnte, seinen Halbengel-Sohn mit den anderen Engeln leben zu lassen, dann wäre sie es.
»Ja. So jemanden gibt es.« Er schloss sie in die Arme. »Ich verspreche, dass, wenn die Zeit kommt, ich für ihn bitten werde – und für dich.«
»Nein, tu das nicht. Ich bin es nicht wert. Jeremiel ist einer von euch. Versprich es mir nur für ihn.«
»Ich verspreche es.«
»Mehr will ich gar nicht.« Sie beugte sich vor und presste ihre warmen Lippen auf die seinen.
Raphael zog sie in die Arme. Ihr Duft erfüllte seine Sinne und er vergaß alles, was mit dem Tod, Luzifer und Baka zu tun hatte. Da war nur sie bei ihm. Sie waren zusammen. Und in der warmen Abendluft mit nur den Sternen als Zeugen zeigte er ihr, wie sehr er sie liebte.
7
Nachdem Rebecca Raphael und ihren Sohn zum Abschied geküsst hatte, ging sie durch das Haus und suchte zusammen, was sie für ihren täglichen Ausflug zur Wasserquelle von Ai brauchte. Summend verließ sie das Haus, einen Wasserkrug auf