Vor Dem Fall. L. G. Castillo

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Vor Dem Fall - L. G. Castillo Gefallener Engel

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Ich wusste nicht, wo sie herkamen. Jedes Mal, wenn ich mit dir zusammen war, hatte ich ein Déjà-vu und habe es einfach immer verdrängt.«

      »Du hast es nicht gewusst«, antwortete er und ergriff ihre Hand. »Hey, das habe ich auch nicht.«

      »Naomi.« Rebecca kam durch das Zimmer auf sie zu. Lash rückte beiseite, um ihr Platz zu machen und sie setzte sich zwischen sie. »Ich habe diese Begebenheit nicht mit dir geteilt, damit du dich schlecht fühlst. Ich wollte, dass du verstehst, dass ich immer da war, gewartet und nach dir Ausschau gehalten habe.«

      »Warum?«

      »Das ist Teil unserer Familiengeschichte.«

      »Unsere Geschichte ist nicht leicht zu erzählen«, warf Raphael ein. »Wir alle« – er machte eine Handbewegung, die alle im Raum miteinbezog – »haben das, was sich vor langer Zeit ereignet hat, unterschiedlich erlebt. Wenn wir alle teilen, woran wir uns erinnern, können wir leichter verstehen, was damals geschehen ist. Soll ich anfangen?«

      »Okay«, antwortete Naomi und die anderen nickten.

      »Alles begann, als Raguel – Verzeihung, ich meine Rachel – und ich zu einer Mission in die Stadt Ai geschickt wurden.«

      »Grundgütiger«, sagte Rachel. »Das ist so lange her. An diese Zeit habe ich schon Ewigkeiten nicht mehr zurückgedacht. Das war damals, als ich für Obadiah meinen Namen geändert habe.«

      »Ich dachte, du hättest deinen Namen geändert, weil Jeremy anfing, dich Ragout-Spaghettisoße zu nennen«, warf Lash ein.

      »So habe ich sie nicht genannt«, wehrte Jeremy ab. »Moment mal – hab ich doch.«

      »Ein Klassiker.« Uri grinste und sie schlugen die Fäuste aneinander.

      Rachel funkelte Uri an und er würgte ein Lachen hinunter, das er schnell in ein Hüsteln umwandelte.

      »Tut mir leid, mein Schatz. Ich versuche nur, die Stimmung etwas aufzulockern. Ich denke nicht gern daran zurück, wie ich damals war… wie ich dich vor all diesen Jahren behandelt habe.«

      »Ich weiß. Für mich ist das auch schwer, aber wir haben es überlebt.« Sie küsste ihn zärtlich auf die Wange, bevor sie sich wieder an Naomi wandte. »Also, wo war ich stehen geblieben?«

      »Du hast von einem Mann gesprochen, der Obadiah hieß«, half Naomi ihr.

      »Ach, richtig. Obadiah. Ich kann mich an diese Zeit noch gut erinnern. Es war das erste Mal, dass ich einen Menschen berührte.«

      2

1400 V. CHR

      »Bist du sicher, Raphael?«, fragte Raguel.

      Der Erzengel Raphael musterte die Ansammlung von Zelten am Fuße des Hügels. Tränen schimmerten in seinen Augen, als sein Blick über die Menschen glitt, die sich draußen vor den Toren der Stadt häuslich niedergelassen hatten. Sie waren Ausgestoßene, die von allen wegen einer Krankheit gemieden wurden, für die sie nichts konnten. Ob jung oder alt, Mann oder Frau, arm oder reich – das war für die Menschen in Ai unwichtig. Sobald die Geschwüre am Körper auftauchten, wurde der betroffene Mensch aus dem Schutz der Stadt verstoßen. In ihren Augen hatte sich Gott von den von Krankheit Geplagten abgewandt, also sollten sie es auch tun.

      Er wandte sich seiner zierlichen Begleiterin zu. »Ja. Ich bin sicher. Wir wurden ausgesandt, um ihnen Trost zu spenden. Wie sollen sie ohne eine Berührung Trost finden?«

      Ihre braunen Augen weiteten sich bei seinen Worten. »Michael wäre böse, wenn er es herausfände.«

      Raphael lächelte. »Dann werden wir es ihm nicht erzählen, einverstanden? Sie wurden aus ihren Häusern verbannt und von ihren Familien verstoßen. Sie haben genug gelitten.«

      »Sie haben Angst. Diese Leute haben alle Anzeichen von Lepra und wurden für unrein erklärt.«

      Raphael runzelte die Stirn. »Sie sind immer noch Seine Kinder. Sie verdienen allen Trost, den wir ihnen spenden können.« Er blickte auf sie herab. »Es mag uns nicht erlaubt sein, ihre Körper zu heilen, aber wir können ihre Seelen heilen. Schon die Berührung einer liebenden Hand kann ein gebrochenes Herz heilen.«

      Sie sah auf ihre Hände hinab. »Ich habe noch nie einen Menschen berührt. Wie fühlt es sich an?«

      »Warm, lebendig. Es ist anders als jedes andere Gefühl, das ich erlebt habe. Der Höchste hat ein wundervolles Wesen geschaffen.«

      »Das Gefühl kenne ich.« Ihr Blick verlor sich in der Ferne und an ihrem Gesichtsausdruck konnte Raphael ablesen, dass sie an Uriel dachte, den himmlischen Erzengel des Todes. Wenn Gabrielle ihm nicht von Raguels wachsenden Gefühlen für Uriel erzählt hätte, hätte er es nie erraten. Er war nicht jemand, dem solche Kleinigkeiten auffielen. Dankenswerterweise hatte Gabrielle Raguel mit ihm auf seine irdische Mission geschickt in der Hoffnung, dass sie so etwas Abstand zu Uriel bekäme. Obwohl Gutes tief im Herzen Uriels schlummerte, hatte er in letzter Zeit einen feinen Grat zwischen dem Guten und dem Unmoralischen beschritten, ähnlich wie Luzifer.

      Luzifer war sein guter Freund und wurde von allen im Himmel geachtet. Allerdings hatte sich Raphael in letzter Zeit unwohl gefühlt angesichts einiger Vorschläge, die Luzifer ihm gegenüber geäußert hatte. Über die Jahre hatte sich Luzifer mit einigen Gefolgsleuten umringt – oder Freunden, wie er es vorzog sie zu nennen. Er sprach davon, dass Gott die Menschen mehr liebte als seine Engel. Er behauptete, dass die Engel über die Menschen herrschen sollten, anstatt ihnen zu dienen. Einmal hatte er sogar vorgeschlagen, dass die Engel die Menschen durch Vermehrung verdrängen sollten, indem sie sich menschliche Frauen nehmen sollten, um eine Masterrasse zu erschaffen, die besser wäre, als die von Gott geschaffene.

      Raphael schauderte bei diesem Gedanken. Wenn Luzifer seine neidische Seite zeigte, sah Raphael, wie das Böse in seinem Freund Wurzeln schlug.

      Er sah zu Raguel und bemerkte den sanften Ausdruck auf ihrem Gesicht. Besorgt runzelte er die Stirn. Ihre Liebe zu Uriel würde sie auf die Probe stellen, wenn er den Pfad des Unmoralischen wählte. Wie die Menschen hatten auch alle Engel den freien Willen erhalten. Er sorgte sich um sie. Ihre einzige Rettung war die Tatsache, dass der eigennützige Uriel ihre Gefühle nicht zu erwidern schien – er war zu sehr von sich selbst eingenommen.

      »Weißt du, wie man die Gestalt wechselt?«

      Er ergriff ihre Hand, um ihr helfen zu können, wenn das nötig sein sollte. Es kam selten vor, dass Engel auf die Erde geschickt wurden. Meist war ihre Arbeit darauf begrenzt, vom Himmel aus über Menschen zu wachen. Wenn Engel ausgeschickt wurden, nahmen sie fast nie menschliche Gestalt an. Er selbst hatte das erst einmal getan… mit der Erlaubnis des Erzengels Michael.

      »Nein. Ist es schwer?«

      »Überhaupt nicht. Zuerst musst du deine Flügel in deinen Körper klappen.«

      »Das geht?«

      »Es gibt vieles, was wir tun können. Dir ist nicht bewusst, welche Gaben wir im Vergleich zu den Menschen haben.«

      »Na ja, ich habe nie wirklich mit ihnen zu tun gehabt – es ist mein erster Auftrag auf der Erde«, erklärte sie, während sie ihre Schultern vor- und zurückbewegte. Ihre Stirn war gerunzelt, als sie versuchte, zu erspüren, wie sie ihre Flügel zusammenfalten konnte.

      Er seufzte. »Leider ist es möglich, dass es nur eines von vielen weiteren Malen ist, die noch kommen. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, in der Engel vielleicht ein- oder

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