Der Einzelgänger- Seine Aufzucht und Pflege. Andrea Ross

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Der Einzelgänger- Seine Aufzucht und Pflege - Andrea Ross

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Sie mal, wer es wohl schaffte, diesen paradiesischen Teutonengrill innerhalb kürzester Zeit zu sprengen? Richtig. Pattis Auftritt kann unter Berücksichtigung seines Alters von gerade mal fünf Tagen wohl als spektakulär bezeichnet werden.

      So zwei bis drei Minuten benötigte er für seine Orientierung. Wie er mit seiner blickdichten Sonnenbrille so dalag, schien er zu überlegen, warum man ihm eigentlich die Augen verbunden hatte. Er strampelte ein bisschen, wirkte ganz entspannt. Bis er das erste Geräusch von der Nachbarin zu seiner Linken vernahm. Klein Ann-Kathrin gab ein zartes »Brrr – g!« von sich.

      Patsch! Pattis linke Rückhand klatschte ihr quer über die Nase. Zufall? »Quatsch, das kann er nicht absichtlich gemacht haben!«, dachte ich mir amüsiert.

      Wenige Sekunden später dasselbe Bild zur Rechten: Jetzt meinte das nur drei Tage alte Mäxchen, herzhaft gähnen zu dürfen. Bis ihn die Rechte meines Sohnes stattdessen zum Weinen brachte.

      Ich holte die Schwester aus dem Wickelzimmer. Fragte, ob es denn wirklich eine gute Idee wäre, Patti zwischen die anderen Kinder zu platzieren? Die winkte nur fröhlich ab. »Ach, das Kind gewöhnt sich schon daran! Gehen Sie ruhig in Ihr Zimmer, ich kümmere mich drum!«

      Leicht beunruhigt zog ich ab, wollte wenigstens die ungewohnte Ruhe in meinem Zimmer genießen und mich ein bisschen erholen. Sonst würde ich womöglich unmittelbar nach der Krankenhaus-Entlassung entkräftet von den Füßen kippen, dachte ich mir. Doch kaum war ich weggedämmert, tippte mir besagte Schwester auf die Schulter.

      »Tut mir furchtbar leid, Sie stören zu müssen. Aber ich darf mir drüben unter der Höhensonne etwas einfallen lassen! Die drei anderen Kinder schreien jetzt alle wie am Spieß, und Ihr Sohn scheint mir der Grund dafür zu sein!« Sie legte mir Patti mit vorwurfsvollem Blick in den Arm und verschwand eiligen Schrittes.

      Zum Schluss wurde mein Söhnchen erneut zu den anderen in den Glaskasten gelegt. Aber mit Sicherheitsabstand. Man hatte links und rechts je ein zusammengerolltes Handtuch als Puffer angebracht, damit endlich Ruhe auf der Station einkehrt.

      Und siehe da – es funktionierte! Mein Unruhestifter Patti hatte seine Privatsphäre erkämpft und wirkte hochzufrieden. Bis die Kollegin von Schwester Anne nach dem Schichtwechsel den bösen Fehler beging, die Handtücher zu entfernen.

      Was soll ich sagen? Die Schwester zuckte nur genervt mit den Schultern, übergab mir den kleinen Randalierer und meinte: »Na, Ihrer scheint mir aber ein rechter Einzelgänger zu werden! Ich denke, es ist jetzt genug mit dem Sonnen. Sie dürfen ihn morgen mit nach Hause nehmen.«

      Dem Tonfall nach zu schließen, hätte sie wohl lieber gesagt: »Da, nimm dein sozialunverträgliches Bündel mit und verschwinde!«

      So oder ähnlich beginnt es, das sonderbare Leben eines echten Einzelgängers.

      

       Kleinkind mal anders

      Das erste Betreten eines Kindergartens ist wohl für so ziemlich alle Kleinkinder ein wahnsinnig aufregendes Ereignis. Lauter neue Eindrücke, die vielen Kinder und dazu bergeweise unbekanntes Spielzeug – da ist man schnell überfordert.

      Die empfindlicheren unter den Kindern klammern sich da schon mal hartnäckig ans Bein der Mutter und weigern sich, auch nur einen zweiten Blick auf die Szenerie zu riskieren. Der Auslöser hierfür ist wohl eine diffuse Angst vor dem Unbekannten. »Was ist, wenn Mama mich hier alleine lässt? Hilfe …!«

      Auf den ersten Blick könnte man also glauben, Einzelgänger-Kinder würden sich von anderen Altersgenossen nicht wesentlich unterscheiden. Auch sie weigern sich beharrlich, unbefangen in die Spiel-Gruppe hineinzugehen. Nur eben aus einer vollkommen anderen Motivation heraus.

      Je mehr die Mutter betont, wie schön und toll es doch hier sei – »Und schau mal, die vielen Kinder!« – desto skeptischer gerät sein Blick.

      Was soll an der Gesellschaft von vielen Kindern schön sein? Es ist laut, und andauernd wird man beim ruhigen Spielen gestört! Nein, danke! Der Miniatur-Einzelgänger hat in atemberaubender Geschwindigkeit analysiert, dass so ein öder Kindergarten für ihn nichts ist, und auch niemals sein wird. Basta.

      Nachdem der Delinquent mit viel Geduld, Tränen und Protest schließlich zum ersten Mal im Kindergarten abgeliefert werden konnte, gibt es mitnichten Grund zur Entwarnung. Von Anfang an wird er immer ein wenig abseits stehen, muss zum Mitmachen erst mühevoll animiert werden. Egal, worum es gerade geht.

      Falls man großes Glück hat, findet der angehende Eremit einen ähnlich strukturierten Leidensgenossen. Dann hängt er praktisch nur noch mit diesem zusammen, wobei aber meist jeder für sich alleine spielt. Gelegentlich kann man sich kurzzeitig auf etwas Gemeinsames einlassen; aber eigentlich nur dann, wenn für ein bestimmtes Spiel zwingend zwei Personen vonnöten sind.

      Wann immer ich meinen Sohn vom Kindergarten abholen wollte, musste ich ihn zuerst suchen gehen. Den täglichen Standard-Spruch der Kindergärtnerin kannte ich schon zur Genüge:

      »Also, wo der Patti sich gerade aufhält, das weiß ich nicht! Keine Angst, ich bin sicher, dass er sich noch auf dem Gelände befindet. Vorhin war er da hinten im Gebüsch. Aber jetzt?« Suchend blickte sie sich um, zuckte ratlos mit den Schultern.

      Meistens, und das ist jetzt keine Übertreibung, fand ich meinen Sohn tatsächlich separat auf irgendeinem Baum, im Gebüsch oder in der Kuschelecke, welche eigentlich bloß zum Schlafen gedacht war. Dort spielte er friedlich vor sich hin und wirkte in seine eigene Welt versunken.

      Dennoch hatte er sich nach einiger Zeit endlich mit einem Jungen angefreundet – falls man das überhaupt so nennen darf! Doch fand dieser anscheinend viel weniger extreme Bub manchmal nicht die ausgewogene Mischung aus Nähe und notwendiger Distanz, auf die Einzelgänger so großen Wert legen. Was dazu führte, dass es ab und an erbitterte Raufereien gab. »Ich weiß auch nicht!«, gab die Kindergarten-Tante ratlos zu. »Ihr Sohn ist nicht aggressiv, überhaupt nicht! Aber er ist häufig in Konflikte verwickelt, ohne jemals mit der Streiterei angefangen zu haben.«

      Da hat sie vollkommen richtig beobachtet. Lässt man einen Einzelgänger trotz mehrerer Appelle nicht in Frieden, dann wird er sauer. Ist man nicht geübt darin, die ersten Anzeichen zu deuten, kann man diese allzu leicht übersehen. Dann trifft einen der scheinbar jäh auflodernde Zorn völlig unerwartet. Insofern verwunderte mich die Beobachtung der Erzieherin nicht im Geringsten.

      Von gelegentlichen Unebenheiten im zwischenmenschlichen Umgang abgesehen, sind Einzelgänger-Kinder für Erzieher und Lehrer aber ein Traum. Man hört und sieht sie nicht, weil sie sich stundenlang alleine beschäftigen können.

      Anleitung und Support sind eher unerwünscht, selten wollen oder brauchen sie etwas von Dritten. Aber wenn doch, dann erwarten sie wie selbstverständlich, dass ihre Umwelt ihnen den jeweiligen Wunsch oder das Bedürfnis möglichst von den Augen abliest. Ein Anliegen selber zum Ausdruck bringen zu müssen, das erscheint dem Einzelgänger als unangemessene Belästigung. Da schließt er gern von sich auf andere.

      Ebenso ungern lassen Einzelgänger sich allerdings in ihre Rituale oder Gewohnheiten hinein reden. Sie neigen eher dazu, sich im Falle von Unstimmigkeiten einfach vom Schauplatz des Geschehens zu entfernen. Schon weil sie äußerst harmoniesüchtig sind. Danach machen sie einfach im selben Stil weiter, als hätte nie jemand etwas kritisiert.

      Klar – wer sich die meiste Zeit über mit sich selber beschäftigt, wird selten Uneinigkeit ausgesetzt sein. Er lernt als Folge davon

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