Ebbe und Blut. Peter Gerdes

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Ebbe und Blut - Peter Gerdes

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mochte es, wenn auf diese Art über seine Bedürfnisse gesprochen wurde. Immerhin war seine Behinderung Fakt, und sein Alltag war an Bedingungen geknüpft.

      »Die Tür nach drinnen wird natürlich dichtgemacht«, fügte der Kapitän hinzu. Daran hatte Nanno schon gar nicht mehr gedacht.

      Die Zimmer schienen nach dem Ikea-Katalog möbliert zu sein. Alles in allem aber gut zu ertragen. Dort, neben der niedrigen Couch, konnte er seine Musikinstrumente aufhängen: Gitarre, Mandoline, Mandoloncello. Die Hängeschränke in der kleinen Küche, in die sein Stuhl gerade gut hineinpasste, waren natürlich unerreichbar, aber mit den unteren Stauräumen würde er leicht auskommen. Und es gab eine kleine Spülmaschine.

      »Was soll’s denn kosten?«

      Thoben zuckte die Achseln. »Zweihundert?«

      Das war fast geschenkt, selbst wenn man bedachte, dass dies hier ein Fehndorf war und nicht die Innenstadt von Leer.

      »Ich muss da nicht von leben«, sagte Thoben.

      Scharfer Beobachter, dachte Nanno und nickte: »Alles klar von mir aus.« Er drückte die ausgestreckte Hand des Kapitäns und verkniff sich die Frage nach einem Mietvertrag, weil er sie unpassend fand.

      Hinter dem Haus war eine großzügige Terrasse mit Sonnenschirmständer, abgedecktem Grill und dem unvermeidlichen Windschutz. Straße und Haus lagen etwa drei Meter höher als der Garten und der Hammrich dahinter. Nanno genoss den Ausblick.

      »Wie weit geht denn Ihr Grundstück?«, fragte er, als ihm auffiel, dass es keinen Zaun gab.

      »Bis da hinter dem Schuppen«, sagte Thoben.

      Das war allerdings gewaltig. Dieser Wellblechschuppen im Nissenhütten-Stil, halbrohrförmig und an die vierzig Meter lang, war bestimmt zweihundertfünfzig Meter entfernt.

      »Was ist denn da drin? Ackergeräte?«, fragte Nanno.

      »Och, alter Kram.« Thoben winkte ab. Dann ging er in Richtung Auffahrt, Nanno folgte. Die Vollgummireifen schmatzten leise auf den feuchten Waschbetonplatten.

      »Früher hatten wir ja noch viel mehr Land«, erzählte der Kapitän, als er neben Nannos Golf Position bezogen hatte, wohlüberlegte anderthalb Schritt von der Fahrertür entfernt. »Ich stamme ja aus einer reinen Bauernfamilie. Witzig, was? Aber das ist ja nun lange vorbei.«

      Nanno lächelte, während er seinen Rollstuhl zur Beifahrertür lenkte. »Viele Leute denken, sie tun mir einen Gefallen, wenn sie beim Parken auf meiner Fahrerseite besonders viel Abstand halten«, sagte er. »Dabei brauche ich den Platz auf der anderen Seite. Sonst könnte das ja mit dem Stuhl gar nicht klappen.«

      Er hatte die rechte Tür geöffnet, den Rollstuhl neben den Beifahrersitz rangiert und die Räder blockiert. Jetzt stemmte er seinen Körper hoch, setzte sich auf die linke Seitenlehne des Stuhls, stützte den linken Arm auf den Autositz, drückte und schwang sich hinein. Nanno war jung, kräftig, schlank und geübt, daher hatte das Manöver eine gewisse Eleganz. Seine schlaffen dünnen Beine zog er mit den Händen nach, einzeln und vorsichtig. Es war unglaublich, wie schnell man sich an diesen leblosen Anhängseln verletzen konnte. Dann rutschte er weiter zur Mitte und bugsierte die Beine in den Fußraum auf der Fahrerseite. Als er saß, beugte er sich zurück, löste die Sitzsperren des Rollstuhls, klappte ihn zusammen, zog ihn hinein und stellte ihn vor den Beifahrersitz.

      Der Kapitän klopfte zum Abschied aufs Dach: »Dann man bis morgen!«

      Nanno grüßte mit dem Kopf zurück. Seine Hände brauchte er zum Fahren. Bis zur Durchgangsstraße ging es ein paar hundert Meter geradeaus. Im Radio begannen gerade die Elf-Uhr-Nachrichten. Immer noch nichts Neues über das Windrad-Attentat, nur das übliche Geschwätz von ein paar schrecklich empörten Politikern. Nanno schüttelte den Kopf. Als er an der Ecke kurz anhielt, sah er im Rückspiegel, dass auch Thoben in seinen Wagen stieg.

      6

      Mittlerweile war der Plattenweg an beiden Enden abgesperrt, trotzdem herrschte eine Völkerwanderung wie sonst nur am Emsdeich bei den Passagen der tiefgehenden Kreuzfahrt-Riesen aus Papenburg. Da pflegten viele Gaffer nach einer Katastrophe zu lechzen, hier war sie bereits eingetreten. Natürlich kam niemand durch das bewachte Weidetor, trotzdem standen die Menschen zu Hunderten um den kahlen, schlanken Stumpf und den sachte wippenden Rotor herum. Trampelpfade im dünnen Schnee der Nachbarweiden wiesen Nachzüglern den Weg zu den Löchern im Stacheldraht. Jetzt am Mittag war der Zustrom noch einmal angeschwollen. Dennoch versuchte niemand, in den sauber abgezirkelten Kreis vorzudringen, in dessen Zentrum die Spurensicherung gerade zusammenpackte. Die Leute, die dem Sog eines imposanten Unglücks nachgaben, hatten ein sicheres Gespür dafür, bei welcher Distanz mit Abwehrmaßnahmen zu rechnen war. So blieb das Gleichgewicht gewahrt, Polizei und Publikum schienen sich nicht umeinander zu kümmern.

      Reinhold Boelsen stapfte eine Zickzacklinie nach der anderen in den auch hier schon längst zertrampelten Schnee. Die Hände hielt er hinter dem kerzengeraden Rücken verschränkt, den Blick seitlich an seine demolierte B-340 K geheftet. Seine schwarzen Halbschuhe waren durchnässt, sein heller, viel zu dünner Trenchcoat knatterte ihm um die Beine. Der beherrschende Ausdruck in seinem langen, durch die breite Stirn und das spitze Kinn dreieckig wirkenden Gesicht war Verständnislosigkeit. Aufgerissene Augen und ein gelegentliches Kopfschütteln zeugten von Lücken in seiner sonst so verlässlichen Selbstkontrolle.

      Er bemerkte Kornemann erst, als der ihm in den Weg trat. Einen Moment lang standen sie Brust an Brust, Korne­mann musste zu dem deutlich längeren und mit seinen siebenunddreißig Jahren auch deutlich jüngeren Ingenieur und Geschäftsführer aufschauen. Das passt ihm nicht, aber es macht ihm auch nichts aus, dachte Boelsen automatisch. Dann hob er die Konfrontation auf, indem er einen halben Schritt zurücktrat und sich dem Stumpf zuwandte. Jetzt standen sie Seite an Seite.

      »Haben sie dir das Ding gezeigt?«, fragte Kornemann.

      Boelsen nickte. »Nylonbändsel und Kette. Welle blockiert und mit der Schwungmasse des eigenen Rotors gesprengt. Clever.« Er klemmte seine eiskalten Hände in die Achselhöhlen. »Wäre beim 345er aber schon nicht mehr gegangen, wegen der neuen Verkleidung. Dieser ringförmige Abweiser – da hätte sich der ganze Krempel höchstens außen drumgewickelt. Vermutlich aber wäre die Wurfleine gleich abgerutscht. So gesehen, haben die Burschen Glück gehabt.«

      Kornemann schnaubte durch die Nase. »Von wegen Wurfleine. Das Ding ist da hochgeschossen worden, ganz professionell. Und so ein Abweiser hätte die Mühle auch nicht gerettet. Sowie die Kette am Flügel hängt, ist doch eine Unwucht da, und der ganze Apparat ist im Handumdrehen Schrott.« Er stellte den Kragen seines Ledermantels hoch und stopfte die Enden des Schals hinein. Natürlich trägt er Handschuhe, dachte Boelsen. Und natürlich hat er Recht. Er kombiniert ja immer logisch. Und immer verdammt schnell.

      Die Polizei rückte ab, die Einsatzleiter verabschiedeten sich per Handschlag, zuerst und beflissen bei Kornemann, dann, eher flüchtig und mit Kondolenzmiene, bei Boelsen.

      »Dass die was finden, darauf brauchen wir nicht zu warten«, sagte Kornemann, ohne Rücksicht darauf, wie weit der Wind seine Worte trug. »Müssen wir schon selbst sehen, dass wir zu was kommen. Die sollen das jedenfalls kein zweites Mal machen.«

      »Kennst du denn jemanden, der zu so etwas imstande wäre?«

      Kornemanns Blick ließ Boelsens Ohren glühen. »Wo lebst du denn, Menschenskind? Die Leute hier sind nicht zimperlich, das müsstest du doch auch schon mitgekriegt haben. Wenn’s ums Prinzip geht, dann gilt Gewalt gegen Sachen hierzulande nicht viel, ganz egal, ob

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