Ebbe und Blut. Peter Gerdes

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Ebbe und Blut - Peter Gerdes

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hält angeblich nur fünf Prozent, dabei ist er der Firmengründer und der Fachmann«, fuhr Melanie fort. »Aber Kornemann ist eben der Mann mit dem Kapital. Boelsen hätte seinerzeit nicht einmal die Patentgebühren aus eigener Tasche zahlen können.«

      »Kornemann – das ist doch dieser Tiefbau-Mensch? Der schon mit vierundzwanzig das große Geschäft geerbt hat?« Sina erinnerte sich dunkel an ein Zeitungs-Porträt. Überschrift: »Dynamik und Durchsetzungskraft«

      Melanie nickte. »Und er hat’s noch gewaltig ausgebaut. Ein echtes Energiebündel, ziemlich gefürchtet wegen seiner Rücksichtslosigkeit. Inzwischen gehört ihm noch viel mehr. Kiesgruben sowieso, jede Menge Bauerwartungsland, Reedereianteile und wer weiß was sonst noch. Na, und die halbe Bowindra außerdem.«

      Macht fünfundfünfzig Prozent, rechnete Sina automatisch: »Und der Rest?«

      »Der gehört einer gewissen Hoka-Invest. Aber wer da nun dahinter steckt, das weiß ich auch nicht.« Immerhin war das, was sie wusste, eine ganze Menge, fand Sina.

      Hunderte von Händen zuckten hoch zu Hunderten von Ohren, als eine letzte, besonders heftige Rückkopplung durch die Halle peitschte. Dann ging es endlich los. Der Diskussionsleiter, Sinas ehemaliger Physiklehrer, der sich vor lauter Aufregung vorzustellen vergaß, verkündete die erwartete Abweichung vom geplanten Ablauf: Information über die Vorfälle des Tages, Stand der Ermittlungen, danach offene Diskussion, »und dann sehen wir weiter.«

      Kein Wort von Nanno, registrierte Sina. Sie hätte gern mal gehört, was der heute so dichtete und sang. Seit der Schulzeit hatte sie ihn völlig aus den Augen verloren, noch gründlicher als Melanie Mensing. Dabei hatte sie einmal mächtig für ihn geschwärmt. Aber dass Lieder und Gedichte unter diesen Umständen wohl nicht ganz ins Programm passen würden, sah sie natürlich ein.

      Kornemann trat vor, griff sich das Mikrophon mit der Linken, ohne hinzusehen, und legte los, ohne Anrede und Begrüßung, aber zu Sinas Überraschung sehr sachlich. Seine Stimme klang tief, fest und befehlsgewohnt, unaufdringlich selbstsicher. Die Menge lauschte fast atemlos. »Laut vorläufigem Untersuchungsbericht der Polizei wurde die Tat zwischen Mitternacht und etwa fünf Uhr dreißig morgens begangen, beteiligt waren fünf bis zehn Personen, die mit mindestens zwei Pkw zum Tatort gefahren waren …«

      Sina fühlte Melanies Arm an ihrem und konnte spüren, wie sie erst erstarrte und dann stärker als gewöhnlich zu beben begann. Ihr Gesicht war wieder bleich, stellte Sina mit einem Seitenblick fest. Aber das war es ja meistens. Ihrer Schönheit tat das keinen Abbruch, eher im Gegenteil.

      Kornemann sprach jetzt von der vermutlichen Schadenshöhe, vom Stromproduktionsausfall und von der geschätzten Dauer bis zur Errichtung einer Ersatzanlage. Das Attentat selbst hatte er offenbar übersprungen.

      Vor der Bühne wurde Unmut laut. »Wor hebbt se dat denn nu maakt?«, rief jemand. Aufmunternde Zurufe ertönten. Offenbar interessierte es eine Menge Leute, wie man solch einen Rotor herunterholen konnte.

      »Details der Tat nenne ich wohlweislich nicht«, sagte Kornemann. »Ich teile ganz die Auffassung der Polizei, dass irgendwelche Sympathisanten nicht auch noch zur Nachahmung angeregt werden sollen.« Der Blick seiner dunklen Augen hatte den Zwischenrufer ausgemacht und gepackt. Lider und Gesichtszüge blieben unbewegt, lediglich die Brauen schienen sich ein wenig gesenkt zu haben. Die Rufe verstummten. Sina spürte Melanies Ellbogen. Sie hatte wieder die Arme verschränkt.

      Kornemann trat zur Seite und gab das Mikro weiter an Boelsen. Beifall brandete auf. Fast alle klatschten, auch Melanie, stellte Sina fest. Dieser Boelsen, von dem bei aller zur Schau getragenen Überkorrektheit auch ein Rest jungenhafter Ausstrahlung ausging, wirkte tatsächlich nicht unsympathisch. Sina hatte in ihrer eigenen Zeitung schon mehrmals über ihn gelesen, hatte seine Vorstellung von ökonomisch orientierter Ökologie zwar nicht unbedingt überzeugend, aber doch glaubwürdig gefunden. Klar, dass jeder, der nicht ganz und gar im anderen Lager stand, von ihm angetan war. Und auch dieses andere Lager klatschte. Wenn der Anschlag auf Boelsen ein politisch motivierter war, dann entpuppte er sich spätestens hier als Bumerang, überlegte Sina.

      Boelsen schilderte das Attentat knapp und undramatisch. »Der Schrotschuss traf das linke hintere Seitenfenster meines Wagens, meine Verletzungen rühren ausschließlich von den Glassplittern her.« Fehlgegangener Mordanschlag, gezielte Warnung oder verirrter Schuss eines Jägers – Boelsen ließ es offen, sparte sich jede Schuldzuweisung und kassierte damit weitere Pluspunkte auf der Gegenseite.

      Diesen Kredit löste er sofort ein, indem er ein Plädoyer für die Windkraft anschloss: »Der heutige Tag hat wieder einmal gezeigt, wie viel Überzeugungsarbeit noch zu leisten ist. Wir werden uns nicht irremachen lassen, wir werden unseren Weg weitergehen, weil wir wissen, wohin er führt, und weil wir wissen, dass wir genau dorthin wollen.«

      Niemand unterbrach ihn, niemand pfiff, der Schlussapplaus war fast so laut wie die Begrüßung. Clever, dachte Sina.

      Acht Personen hatten inzwischen an den zusammengeschobenen Resopaltischen hinten auf dem knapp achtzig Zentimeter hohen Podium Platz genommen, sieben Männer und eine Frau. Niemand rührte sich, als Boelsen sich umschaute und die Hand mit dem Mikrophon anbietend zur Seite reckte. Kornemann fuhr herum, ungehalten von einem Augenblick zum anderen. Fordernd zuckte seine linke Hand hoch. Da gab sich Iwwerks einen Ruck.

      Er hatte sich gestylt wie immer zu solchen Anlässen. Die Bartkrause hatte er sorgfältig nach vorn gekämmt, die Elbseglermütze aufbehalten; das dunkelblaue Fischerhemd mit den dünnen weißen Streifen spannte sich leicht über seinem Bauch. Zur schwarzen Manchesterhose trug er seine neuen, hinten geschlossenen Clogs, in denen er sich noch nicht ganz sicher fühlte. Daher fiel sein Gang noch seemännisch-rollender aus als gewöhnlich.

      »Was hat der denn vor? Ein Shanty singen?«, entfuhr es Sina, als Iwwerks zum Mikro griff. Mehrere der Umstehenden drehten sich nach ihr um und lachten. Melanie lachte nicht.

      Der Radau brach auf der rechten Flanke los, kaum dass Iwwerks den Mund geöffnet hatte. »Hol doch dien Muul, du Dööskopp!«, ertönte eine heisere, aber überraschend laute Männerstimme. Die weiteren Zurufe waren nicht mehr zu verstehen, sie flossen ineinander wie Bronzebäche, die zusammen eine Glocke erzeugten. Eine aus Gebrüll, die Iwwerks’ Worte vollständig zudeckte. Sina stellte sich auf die Zehenspitzen und sah geballte Fäuste, geschwungen von Männern, die ganz ähnlich, wenn auch nicht so perfekt ausstaffiert waren wie der verhinderte Redner.

      »Die Guntsieter Fischer!« Melanie schrie ihr direkt ins Ohr. In der Halle wurde es immer lauter; einige stimmten in den Fischer-Chor ein, andere brüllten dagegen an. Die Spaltung, die Boelsen so geschickt übertüncht hatte, war schlagartig wieder da.

      »Was haben die denn gegen den?«, schrie Sina zurück.

      »Die ostfriesischen Fischer hatten alle zusammen gegen die Emsvertiefung geklagt. Dann hat die Werft, die als Einzige von der Vertiefung profitiert, den Guntsietern neue Kutter versprochen, und da haben die ihre Klage zurückgezogen.« Melanie stützte sich auf Sinas Schulter. Mehr und mehr geriet die Menge in Bewegung. Es knuffte und schubste von allen Seiten. »Iwwerks war stinksauer und hat mächtig auf die anderen geschimpft. Die haben geantwortet, er sei ja gar kein Fischer mehr, sie aber müssten schließlich vom Fischfang leben, also solle Iwwerks sich da raushalten. Und dann hat Iwwerks sie in einem Interview als Verräter bezeichnet. Vor ein paar Tagen erst.«

      Klar, dachte Sina. Die Fischer haben nur auf die nächste Chance gewartet, um sich Iwwerks öffentlich vorzuknöpfen. Und haben voll ins Wesennest gestochen.

      Das Getöse nahm immer noch zu. Irgendwo schrillte eine Trillerpfeife, gleich darauf stimmten andere ein. Offenbar waren nicht nur die

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