Ebbe und Blut. Peter Gerdes

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Ebbe und Blut - Peter Gerdes

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schüttelte den Kopf. »Alles etablierte Leute, die meisten sind doch Geschäftsleute oder Beamte.« Die führenden Windkraft-Gegner hatte er in den letzten Jahren bei den verschiedensten Anlässen getroffen und kennen gelernt. Jetzt ließ er ihre Gesichter Revue passieren. Ausgeschlossen. »Die setzen doch nicht so einfach ihre Existenz aufs Spiel.«

      »Das kapierst du nicht.« Kornemanns Urteil klang unanfechtbar und vernichtend, und Boelsen, der schon seit über fünfzehn Jahren in Leer wohnte, kam sich für einen Moment wieder so fremd vor wie damals, ganz zu Anfang. »Überleg lieber, wer so was überhaupt kann. Ein paar Grundkenntnisse der Physik braucht man ja wohl dazu, oder?«

      »Weiß nicht.« Was ganz ist, muss kaputt, was hoch ist, muss runter, was sich dreht, muss gestoppt werden – die Grundregeln des Demolierens stellte Boelsen sich nicht sonderlich anspruchsvoll vor. »Frag doch mal, wer an so ein Leinenschießgerät herankommen könnte, so ein Ding, wie heißt das eigentlich genau?«

      »Keinen Schimmer.« Kornemann schüttelte unwillig den Kopf. »Aber gesehen habe ich so etwas schon. Die Dinger gibt’s auf den Seenotrettungskreuzern, aber auch auf Schleppern. Die geben so ihre Schleppleinen rüber. Dünne Leine zum anderen Schiff schießen, dickere Leine nachholen, und dann so weiter, bis die Trosse kommt.«

      »Bei der Marine machen die das auch.« Boelsen erinnerte sich an einen Werbefilm: Zerstörer und Versorger üben Materialübergabe auf See. »Quellen gibt es also. Und jetzt? Alle Soldaten und Seeleute filzen?«

      Flapsigkeit ließ sich Kornemann nur gefallen, wenn er den Ton selbst vorgab. Sogar Boelsen hatte sich an diese Regel zu halten. Dass er sie gerade gebrochen hatte, ohne es zu wollen, ließ ihn schlagartig erkennen, wie verstört er war. Erschrocken blinzelnd beobachtete er Kornemann aus den Augenwinkeln, aber der reagierte gar nicht.

      »Vergiss die Jäger nicht«, sagte er stattdessen.

      »Was hat denn das jetzt mit der Jagd zu tun?«, fragte Boel­sen, lebhaft und für den Augenblick erleichtert.

      »Jäger interessieren sich grundsätzlich für alles, was schießt. Kannst ja mal einen Jäger nach Signalwaffen fragen, oder meinetwegen nach einem Leinenschießgerät. Wetten, die kennen sich aus? Und die kommen an alles heran.«

      Kornemann war Jäger, das wusste jeder. »Einer von deinen Grünröcken also? Ich dachte, ihr wärt so eine verschworene Gemeinschaft.« Wieder hätte sich Boelsen am liebsten auf die Zunge gebissen.

      Kornemann schaute geradeaus. »Sind wir auch, aber in punkto Windkraft gibt es einen Riss. Quer durch.«

      Der Menschenring um den schlanken Torso hatte sich inzwischen aufgelöst, die Menge flanierte jetzt ziellos, wie auf einem Rummelplatz. An den Rändern war schon eine deutliche Absetzbewegung zu erkennen.

      Kornemann schlug Boelsen kurz mit dem Handrücken an die Brust. »Ich ruf dich an«, sagte er. Dann marschierte er los und war nach wenigen Schritten im Gewimmel untergetaucht.

      7

      Auch Eilert Iwwerks verlor Kornemann schnell aus den Augen. Als er zurückblickte, war Reinhold Boel­­sen ebenfalls nirgends mehr zu entdecken. Also wandte er sich wieder seinem eigenen Gefolge zu.

      Zwölf waren es diesmal, lauter Männer, die ihn von beiden Seiten bedrängten. Iwwerks strich sich über die graue Bartkrause und zupfte am Reißverschluss seiner Lammfelljacke, bis sein dunkelblaues Fischerhemd gut zu sehen war. Wieder hatte er den Spruch vom Menschenfischer Simon Petrus auf der Zungenspitze, diesmal aber verkniff er ihn sich. Die Leute erwarteten etwas anderes von ihm, eine Entscheidungshilfe, eine Bewertung. Und er wollte die Leute nicht enttäuschen.

      Iwwerks wusste genau, dass er in Wirklichkeit kein Volkstribun war, aber er hasste diesen Gedanken, weil er es so sehr liebte, in dieser Rolle geliebt zu werden. Er liebte das große Wort und beherrschte es, er wusste genau, was mehrheitsfähig war und wann Opposition mit Sympathie belohnt wurde. Eigentlich war Iwwerks keinen Deut anders als die vielen, die niemandem Böses, Gutes aber vor allem sich selbst wollten. Das aber förderte seine Popularität eher noch, denn alles andere hätten seine Bewunderer als unnormal empfunden.

      Bewunderung in großem Maßstab war seine Droge, und wie viele Abhängige war auch er eher zufällig darauf gestoßen. In den sechziger Jahren war er, der damals noch junge Greetsieler Fischer, gegen die Pläne der Holländer, ungeklärte Abwässer in den Dollart zu leiten, Sturm gelaufen. Alle seine Kollegen hatten um ihre Fänge gefürchtet, er hatte den Mund aufgemacht: »Duum drup op de Smeerpijp!« Umweltschutz aus ökonomischen Gründen – das war etwas Neues gewesen, das hatte ihm plötzlich Beifall aus den verschiedensten Ecken von linksökologisch bis nationalistisch eingebracht. Eine Ur-Erfahrung.

      »Fischer schmiedet Koalition quer durch alle Lager«, hatte eine Zeitung getitelt. Das war seitdem sein Markenzeichen. Das und sein Fischerhemd.

      Eigentlich war er längst kein Fischer mehr. Seine beiden Kutter fuhren mit angeheuerten Besatzungen, und sie fischten auch nicht richtig, sondern fuhren Hobbyangler zu den Fischgründen. Das war zuverlässig einträglich, zumal die Kuttergäste überwiegend in seinen eigenen Pensionen und Hotels geworben wurden. Iwwerks hatte geerbt, Land vor allem, hatte gut dosiert verkauft und klug investiert. Sehr klug sogar. Sein Sinn für das Angesagte erstreckte sich eben auch aufs Geschäft. Kaum jemand wusste, wie reich er inzwischen wirklich war.

      Aber jetzt wurde es Zeit. Seine Korona wollte etwas hören. Der Schwarm bestand aus Zufallsguckern und war doch typisch: Jagdfreunde vom Hegering, weitläufige Nachbarn, Gastwirte, Umweltschützer. Die meisten erklärte Windkraftgegner, die Iwwerks auf ihrer Seite wussten. Schließlich hatte er als pflichtbewusster Fremdenverkehrsgewerbler doch oft genug gegen den Verbrauch der einmaligen Küstenlandschaft gewettert, und bei mancher Protestaktion hatte er in der vordersten Reihe gestanden. Dort, wo man nicht übersehen wird.

      Kontrovers war nicht die Stoßrichtung dieser neuen Aktion, kontrovers war der Sabotageakt selbst. Fünf der zwölf Männer sprachen sich offen und vehement dafür aus, fünf andere, die weit bedächtiger auftraten, eher dagegen. Nur die Buurmann-Brüder, zwei junge Landwirte aus Cirkwehrum, wetterten lauthals gegen »diesen Schweinkram«. In Cirkwehrum war ein großer Windpark in Planung, und die Buurmanns hatten Land an der richtigen Stelle. Jeder wusste das. Die Aussicht auf persönlichen Profit war eben ein Argument wie jedes andere auch.

      »Ich will euch mal was sagen.« Iwwerks brauchte seine Stimme kaum zu heben, die Diskussion war sofort wie abgeschnitten. Gewöhnlich genoss er diesen Moment, in dem alle Blicke erwartungsvoll auf ihm ruhten, genoss die Vorfreude auf seine Droge, den kleinen Rest prickelnder Unsicherheit, ob er wohl wieder den Punkt treffen würde. Diesmal aber war es anders. Ganz anders. Und er musste höllisch aufpassen, dass keinem das auffiel.

      »Ihr wisst, wie ich zu diesen Windmühlen stehe«, sagte er. »Und ihr wisst auch, wie wütend ich auf die Politiker bin, die uns immer mehr davon hinstellen. Ich kann jeden verstehen, der sich darüber aufregt. Und ich kann auch jeden verstehen, der seinen Ratsvertretern, die so was beschließen, ’ne Fuhre Mist vor die Tür kippt.« Jetzt erhob er seine Stimme, rief in das aufbrandende Gelächter hinein: »Aber das hier ist was anderes. Hier stecken Werte drin, Investitionen, da hängen Arbeitsplätze dran. Das kann man doch nicht einfach in Klump hauen.«

      Augen wurden aufgerissen, Münder zum Protest geöffnet. Schnell sprach er weiter: »Wenn einer mit so was durchkommt, dann ist das, als ob ein Deich bricht. Und dann muss manch einer von uns damit rechnen, dass ihm der Laden angesteckt wird.«

      Das saß. Viele Pensionsbetreiber, egal ob haupt- oder nebenberuflich, hatten ihre Gebäude in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgestockt und erweitert, ohne

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