Seidenstadt-Schweigen. Ulrike Renk

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Seidenstadt-Schweigen - Ulrike Renk

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geht um Martina. Ist ein wenig kompliziert. Ich weiß auch gar nicht, ob ich das Recht habe, dich das zu fragen.«

      »Das weiß ich auch erst dann, wenn du fragst.«

      »Es ist alles nicht so ganz einfach für sie. Ich meine, wir wollten beide zusammenziehen, das war klar. Meine Wohnung war natürlich absolut indiskutabel.«

      »Ihr habt euch doch ein Haus gemietet?«

      »Ja, in Traar. Ich wollte nicht in ihr Haus ziehen. Wegen ihrem verstorbenen Mann.«

      Sabine senkte den Kopf und starrte auf ihre Hände.

      »Sie hat ihren Partner verloren. So wie du.« Nun nahm Fischer doch eine Zigarette, steckte sie an. »An ihrem Haus hängen alle ihre Erinnerungen. Dort waren sie glücklich. Ich konnte nicht dahin ziehen. Martina hatte mir angeboten alles zu ändern, zu renovieren, zu streichen. Ich konnte es trotzdem nicht. Deshalb haben wir ein neues Haus gesucht. Sie nimmt viele Möbel mit, ich keine. Das stört mich nicht.« Er zog an der Zigarette, inhalierte tief.

      »Was stört dich dann?«

      Fischer überlegte. »Stören ist das falsche Wort. Ich möchte einen Neuanfang. Ich habe mit Susanne abgeschlossen. Aber Susanne lebt noch. In Münster.«

      »Und ihr Mann lebt nur noch in ihren Erinnerungen.« Sabine nickte. »Gibst du mir eine?«

      Wortlos schob Fischer die Zigarettenschachtel über den Tisch, gab ihr Feuer.

      »Es ist schwer, Jürgen. Das weißt du.«

      »Ich kann es nur ahnen. Erkläre es mir.«

      »Ich finde es gut, dass ihr euch zusammen etwas Neues gesucht habt. So kann sein Geist euch nicht heimsuchen.« Sabine lachte leise, zog an der Zigarette, hustete. »Scheiße, ich sollte es lassen. Es schmeckt noch nicht einmal.« Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.

      »Sein Geist. Ja, das Gefühl habe ich auch. Irgendwie ist der da. Was mach ich dagegen?«

      »Klingt ein bisschen sehr esoterisch für zwei Menschen wie uns.« Wieder lachte Sabine leise. »Aber es ist so. Wenn jemand stirbt, stirbt er nie so ganz. Wir bewahren ihn in unseren Erinnerungen.« Sie holte tief Luft. »Erst wenn wir ihn vergessen, ist er wirklich tot.«

      Fischer kniff die Augen zusammen, strich mit der flachen Hand über seine Haare. Er meinte, es knistern zu hören.

      »Aber das Leben geht weiter, Jürgen. Ein Stück von einem selbst stirbt mit, ein anderes Stück lebt mit der Erinnerung weiter.«

      »Und wo ist Platz?«

      »Platz für einen anderen? Das kann ich dir nun wirklich nicht beantworten. Ich weiß es nicht. Aber ich denke, einen neuen Wohnort suchen, neu anzufangen, das ist schon der richtige Weg.«

      »Was ist mit dir, Sabine?«

      »In meinem Leben ist noch niemand aufgetaucht, der Raum brauchte.«

      »Martina hat gestern Sachen gepackt.« Jürgen schluckte, zündete sich eine weitere Zigarette an, hasste sich dafür, aber genoss den Geschmack des Nikotins. »Sie ist über Nacht nicht nach Hause gekommen. Ich meine, sie ist nicht in unser Haus in Traar gekommen, sondern in Moers geblieben. In ihrem Haus. Ihrem und dem ihres Mannes.«

      »Warum?«

      »Sie sagt, sie hätte alte Fotoalben gefunden, wäre darüber verzweifelt und schließlich eingeschlafen.«

      »Kann ich verstehen.«

      »Ich nicht. Hilf mir.«

      »Du verstehst es nicht?«

      »Irgendwie schon. Aber war dann unser Entschluss zusammenzuziehen falsch? Ich kann doch nicht gegen einen toten Mann ankämpfen. Susanne ist keine Konkurrenz für Martina. Susanne hat tausend Fehler und will mich nicht mehr. Martinas Mann ist tot. Er hatte keine Fehler, er hat sie nicht willentlich verlassen, er ist gestorben. Sie liebt ihn immer noch.«

      »Vermutlich.« Sabine war froh, dass der Kaffee gebracht wurde. Sie nippte an dem heißen Getränk.

      Fischer sah sie fragend an.

      »Na ja.« Sabine rutschte unruhig auf dem Stuhl herum. »Sie will doch dich, will mit dir zusammen sein, zusammenziehen.«

      »Ja.« Jürgen senkte den Kopf.

      »Es ist nicht so einfach.«

      »Das habe ich nie angenommen, Sabine.«

      »Er ist noch da, in ihren Erinnerungen und vermutlich liebt sie ihn noch. Vielleicht hasst sie ihn auch.«

      »Hasst?« Fischer schien das Wort auszuspucken.

      »Ja. Natürlich. Ich hasse Martin.« Sabine schluckte hart.

      »Manchmal. Er ist tot und ich muss weiterleben. Sicherlich denkt man an die schönen Dinge. Klar. Aber auch an die Streitigkeiten, die Wut. Man kann nichts mehr klären. Ich kann ihn nichts mehr fragen, er kann mir keine Antworten geben. Wenn du wolltest, könntest du Susanne anrufen und sie fragen. ›Warum hast du dich damals so und so verhalten?‹ Ich kann das nicht mehr und Martina auch nicht.«

      »Du hast schlechte Erinnerungen an Martin?«

      Sabine nickte. »Manchmal hab ich mehr schlechte Erinnerungen als gute. Und ich bin wütend auf ihn. Und fühle mich verlassen, entsetzt, allein. Aber es hilft nicht. Er kommt nicht zurück, niemals. Ich muss damit abschließen, aber es ist verdammt schwer.«

      »Hast du mal überlegt umzuziehen?«

      »Jeden Tag, den Gott schafft.« Sabine stockte, lächelte Fischer dann an. »Martina hat die richtige Entscheidung getroffen, aber sie braucht Zeit. Gib sie ihr.«

      »Natürlich gebe ich ihr alle Zeit der Welt. Ich will es nur richtig machen. Weißt du, sie redet nicht darüber. Und ihre Gedanken kann ich nicht lesen. Ich hoffe, du bist mir nicht böse, weil ich dich gefragt habe.«

      »Es wird schon werden. Ich glaub an euch.«

      Fischer hoffte inständig, dass sie Recht haben würde.

      13. Kapitel

      Dezember 1939

      Am 6. Oktober standen die Truppen bei Brest-Litowsk. Fritz verbrachte jede freie Minute vor dem Volksempfänger. An der Wand in seiner Stube hatte er eine große Landkarte gepinnt, auf der er den Frontverlauf mit Stecknadeln und Fähnchen festhielt. Als am 18. September die polnische Regierung floh, sah er seine Chancen schwinden, noch an die Front zu kommen.

      Der Polenfeldzug wurde Ende Oktober für beendet erklärt. Fritz konzentrierte sich auf seine Ausbildung. Marschieren, Schießen, staatsbürgerlichen Unterricht, Truppenkunde. Am meisten genoss er die Stunden auf dem Panzerspähwagen.

      »Soll ich dich abfragen?« Adolf und Fritz saßen sich in ihrer Stube am Tisch gegenüber, über die Bücher gebeugt.

      »Ja, gerne.« Fritz schlug sein Buch zu, lehnte sich zurück.

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