Der Werwolf von Hannover - Fritz Haarmann. Franziska Steinhauer
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»Onkel Fritze«, der homosexuell war, nahm auch junge Männer mit, die sich als »Puppenjungs« verdingten und ihre Dienste an bekannten Orten in der Stadt dieser besonderen Kundschaft anboten, in der Hoffnung auf schnelles Geld.
Erst, als im Mai / Juni 1924 einzelne Schädel in der Leine entdeckt wurden und die Unruhe in der Bevölkerung deutlichem Protestmurren wich, die Bürger gar in einer Aktion zu Pfingsten selbst den Fluss nach Knochen abfischten, kam Bewegung in die Ermittlungen. Der Wasserpegel der Leine wurde abgesenkt. Eine Suchaktion der Polizei förderte, neben einer Vielzahl anderer Knochen, die Oberschenkelknochen von 22 verschiedenen Menschen zutage.
Die Opfer: allesamt männlich im Alter zwischen zehn und 25 Jahren. Man begann, die Homosexuellenszene Hannovers gründlicher zu überwachen. Fünf bis sechs der bekannten Homosexuellen gerieten in engeren Verdacht und wurden fortan beschattet, darunter auch Fritz Haarmann.
Durch einen Zufall ging er der Polizei ins Netz.
Am 23. Juni 1924 wurde er festgenommen.
Knapp zwei Wochen nach seinem letzten Mord.
1. Kapitel
1918 Ende September / Fritz Haarmann
Es war ganz einfach.
Diesmal habe ich es wirklich besonders geschickt eingefädelt!
Die beiden waren arglos und ich viel schlauer als sie.
Erst hatte ich den einen angesprochen, dann schickte der mir auch noch seinen Freund vorbei. Besser hätte es kaum sein können.
Nicht wie damals, als der blöde kleine Widerling nach Hause gelaufen ist, um seinem Vater zu erzählen, dass ich ihn angesprochen hätte und mit in mein Zimmer nehmen wollte.
Bloß gut, dass ich die Sache vor Gericht noch klarstellen konnte! Alles nur ein Missverständnis. Der Junge muss da was in den falschen Hals gekriegt haben. Kommt ja gern vor in dem Alter.
Ins Gefängnis musste ich dennoch! Immer wieder! Nicht so schlimm, wie man meinen könnte. Inzwischen kenne ich mich da gut aus. Und die anderen haben mich auch gleich wiedererkannt. Stammen ja viele aus meinem Viertel. Ist wie in einer Familie, wo man ja den einen oder anderen Verwandten auch mal längere Zeit nicht zu Gesicht bekommt.
Ehrlich: Diesmal war es so einfach, unglaublich.
Er kam brav mit, tat, was ich mir von ihm wünschte. Alles.
War immer willig, gab nie Widerworte. Fragte nicht.
Natürlich ging es von seiner Seite aus nur um Geld.
Geht es fast immer, liegt an den schweren Zeiten – ist mir auch gleichgültig.
Ich zahlte. Und zwar gut. Beschenkte sie auch. Keiner, der bei mir über Nacht bleibt, muss etwa hungrig oder durstig in mein Bett kommen. Frühstück inklusive.
Er war ja nicht zum ersten Mal mit bei mir, wusste genau, was ich von ihm erwartete. Und auch ihn habe ich bei jedem Besuch gut versorgt. Ist eben so meine Art.
Und er war schön!
Alles war wunderbar.
Bis ich dann plötzlich aufgewacht bin. Wohl, weil sich etwas falsch anfühlte, sonst schlafe ich nämlich immer gut, tief und traumlos.
Der arme kleine Schatz – tot!
Blut war nicht zu sehen – aber ich spürte einen metallischen Geschmack in meinem Mund, schwer und widerlich. Als hätte ich mal wieder Nasenbluten gehabt.
Und der Anblick!
Seine zarte, bleiche Kehle … schauderhaft.
Zahneindrücke.
Zu beiden Seiten des Halses.
Alles bläulich-violett, wie bei den Lutschflecken.
Schnell deckte ich ihn zu.
Doch dann kamen mir Zweifel. Also hob ich die Decke noch einmal an, sah gründlich nach, ob ich mich vielleicht getäuscht habe.
Nein!
Mir war auf einen Schlag kotzübel.
Was konnte ihm nur zugestoßen sein?
Wie war das nur möglich, ein so junge Kerl, voller Lachen und Lebenslust – ganz plötzlich kalt und leblos? Und der Hals?
Er hatte wenige Stunden zuvor einen vollkommen gesunden Eindruck gemacht – und doch – es war nicht zu übersehen, gab nicht den geringsten Zweifel, er war tot.
Ich sprang entgeistert aus dem Bett.
Von allein war ihm das nicht passiert! Unmöglich! Unvorstellbar!
Konnte es sein? Ich war schuld? Hatte etwa ich ihn getötet? Ich? Im Rausch, sexueller Gier?
Ausgeschlossen!
So etwas war ja noch nie vorgekommen!
Lautlos hastete ich zur Tür.
Überprüfte die wahrscheinlichste Variante: Es war jemand hereingekommen, während wir geschlafen hatten! Ganz bestimmt!
Abgesperrt!
Von innen. Der Schlüssel im Schloss.
Mir war schwindelig, ich musste mich an die Wand lehnen. Abwarten, bis die Welt anhalten wollte.
Wir waren also allein geblieben – die ganze Zeit!
Ich! Meine Schuld!
Wie ich es auch hin- und herwendete, es sah so aus, als hätte ich ihn umgebracht.
Das Unbegreifliche meiner Tat erreichte nur langsam mein Denken, das nichts davon wissen wollte und nicht erinnerte, wie all das geschehen sein sollte. Wie auch?
Die Stimme meiner Mutter bohrend in meinem Kopf »Fritz, sag mir, wo ist der Junge? Los, sag es mir! Wo ist dein Junge?« Unscharfe Erinnerungen. War es möglich? Dieser ist nicht der Erste?
Doch, behauptete ich mich gegen die Stimme, so etwas gab es noch nicht.
Aber wenn ich ehrlich war, konnte ich das nicht mit letzter Sicherheit sagen.
Mein Körper zitterte, als ich das Leichtgewicht aus dem Bett hob und auf den Boden legte. Tränen rannen über mein Gesicht – nein – die Wahrheit ist, ich weinte bitterlich wie ein geprügeltes Kind.
Und wusste, dass etwas geschehen musste!
Hier auf dem Boden zwischen Bett und Tisch konnte er schließlich nicht liegen bleiben. Sein Körper