Der Werwolf von Hannover - Fritz Haarmann. Franziska Steinhauer
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Später, wenn sie etwas älter sind, lässt das schnell nach.
Der arme kleine Kerl.
In einem Stück war er nicht aus dem Zimmer zu bringen. Das Risiko war viel zu groß, dass es jemandem in der Nachbarschaft auffallen könnte. Viel zu auffällig. Und wenn man mich mit einem toten Kind über der Schulter anträfe, wäre ich schließlich um eine kluge Antwort verlegen.
Kleinteilig müsste es gehen.
Wahrscheinlich vier oder fünf Gänge, überschlug ich mit Blick auf den Jungen. Das sollte reichen, um ihn in kleinen Portionen abzuwerfen.
Ich schluchzte noch immer.
So ein hübscher Junge!
Eine Schande!
Vorsichtig breitete ich meine Decke über ihn und schob ihn so weit unters Bett, wie es nur möglich war. Bei einem flüchtigen Blick über die Einrichtung konnte einem der Leichnam entgehen.
Dann zog ich mich an. Verließ das Zimmer. Beschloss, zunächst bei meiner Schwester unterzukriechen, Emma Burschel. Bei ihr könnte ich in Ruhe planen, wie ich nun vorgehen würde.
Schlafen konnte ich nicht mehr in dem Zimmer, über seinem Körper.
Nein! Ausgeschlossen!
Denken auch nicht, wenn ich wusste, dass er mir dabei zuhört.
2. Kapitel
1924 im Juni
Theodor Lamm war unzufrieden.
Mehr als das, wenn er es genau bedachte. Heißer Zorn traf seine Gefühlslage besser.
Der letzte Sommer in Freiheit, so empfand er es wenigstens, lag nun vor ihm, nur noch ein paar Wochen und er musste den Betrieb seines Vaters übernehmen.
Gerade jetzt nicht eben eine verlockende Aussicht.
Nachkriegszeit. Besatzungszeit. Unsicherheiten und Unwägbarkeiten.
Wer hatte schon genug Geld, um sich neue Möbel schreinern zu lassen? Im Moment kauften die Leute am liebsten gar nichts – und die Dinge des täglichen Bedarfs erstanden sie auf dem Schleichmarkt.
Theodor seufzte schwer.
Er war das einzige Kind, hatte schlicht keine andere Wahl. Dabei wäre er so viel lieber Schauspieler geworden. Talent war bei ihm ohne Frage vorhanden! »Nach der Schreinerlehre«, hatte der Vater versprochen. Dann! Er bekäme die Möglichkeit sich auszuprobieren. Wenigstens für einige Zeit.
Und nun?
Nichts! Der Vater erlitt im Februar einen schweren Sturz und arbeiten war eine schier unlösbare Herausforderung. An manchen Tagen schaffte er es nicht einmal, die Werkstatt zu erreichen. So entschied sich, er, der Sohn, habe den Betrieb zu retten. Jetzt und sofort!
Was für eine bittere Enttäuschung! All seine Pläne – nur noch Makulatur.
Immerhin gelang es ihm, dem Vater ein paar Wochen Ferien abzutrotzen.
Ab kommendem Montag.
Doch was konnte er in der freien Zeit unternehmen?
Unschlüssig spazierte er an der Leine entlang, die hier an dicht bewachsenem Ufer vorbeizog. Ein idyllischer, geheimer Ort für Verliebte.
Damit war es allerdings erst mal vorbei.
»Seine Sabine« poussierte mit einem anderen, hatte ihn wissen lassen, sie wolle ihn nicht mehr treffen.
Natürlich sollte er eigentlich wütend auf sie sein.
Vielleicht sie sogar hassen.
Aber wenn er ehrlich zu sich war, tat es einfach nur verflixt weh!
Wie wunderbar hätten die zwei freien Wochen mit ihr an seiner Seite sein können!
Er seufzte sehnsuchtsvoll.
Rieb ein wenig Feuchtigkeit aus den brennenden Augen. Blinzelte vorwurfsvoll in die Sonne, als sei sie schuld an den Tränen gewesen.
»Theo!«, rief ihn plötzlich jemand an. »Na, das ist ja eine Überraschung! Was für ein Zufall!« Ein junger Mann sprang sportlich von seinem Rad und rannte die letzten Meter auf ihn zu.
Theo kniff die Augen zusammen.
»Ludwig? Bist du das wirklich?«, jubelte er dann glücklich und nahm den Freund aus Schultagen fest in die Arme. Klopfte ihm auf den Rücken. »Mensch Ludwig! Was tust du denn hier? Deine Mutter hat meiner erzählt, du wärst in Göttingen an der Universität!«
»Stimmt ja, immerhin fast. Ich beginne dort mit dem Medizinstudium. Aber bis dahin ist noch ein bisschen Zeit.« Das Strahlen war aus seinen Zügen wie ausradiert, als er hinzusetzte: »Das Ende der Freiheit ist nah. Das Studium soll straff und hart sein, danach muss ich in der Praxis meines Vaters mitarbeiten, sie später ganz übernehmen.«
»Oh, dann wirst du unser neuer Hausarzt!«
»Gut möglich! Wenn ich euch als junger Arzt frisch von der Uni vertrauenswürdig genug bin!«, freute sich der junge Mann sichtlich über das Zusammentreffen. »Und du? Was machst du?«
Nun verdüsterte sich Theos Miene schlagartig.
»Ach, es ist halt, wie es ist«, fiel die Antwort traurig und etwas kryptisch aus.
»Und das heißt?« Ludwig ließ nicht locker, strich sich das seitlich gescheitelte Haar nach hinten.
»Na, ich bin fertig mit der Lehre. Geselle. Das Meisterstück entsteht gerade. Und nun soll ich Vaters Tischlerei und Schreinerbetrieb übernehmen«, maulte der Freund, und seine dunklen Augen bekamen einen finsteren Schimmer.
»Das ist doch das Schlechteste nicht!«, tröstete Ludwig. »Handwerker finden auch in schweren Zeiten wie diesen ihr Auskommen. Oder stimmt das nicht?«
Die jungen Männer setzten sich an den Rand des Weges. Das Rad lehnte geduldig an einem Busch.
»Der Boden des Handwerks ist nur dann golden, wenn die Kunden auch was ausgeben können. Und im Moment sieht es damit wahrlich nicht gut aus. Es wird schon weitergehen. Irgendwie.« Er schwieg. Ludwig wartete ruhig ab. Als Theo weitersprach, klang seine Stimme seltsam belegt. »Dabei wollte ich doch Schauspieler werden! Ein richtig guter! Möglich, dass ich berühmt geworden wäre. Einer, von dem man auf den Straßen spricht. Talent sei genug vorhanden, hat man mir gesagt. Lichtspielhäuser oder Theater, ich könne es überall schaffen! Tja. Nun ist es vorbei – ausgeträumt!«
Ludwig sah den Freund nachdenklich an.
»Manches erweist sich erst mit der Zeit, Theo. Du kannst auch ein wirklich guter Schreiner und Tischler sein, von dem man mit Hochachtung spricht. Wer weiß, möglich, dass du einen Stuhl oder eine Couch entwirfst, die weltweit für Aufsehen sorgen. Später wird es vielleicht Bücher über deine überaus