Der Werwolf von Hannover - Fritz Haarmann. Franziska Steinhauer
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»Oder Menschenfleisch. Dann verputzt du zum Abendessen einen der verschwundenen Jünglinge und trägst so dazu bei, dass man ihn nie finden wird.« Der Pirat lachte scharf auf, als er in lauter entsetzte Gesichter sah.
»Du denkst ja wirklich völlig pervers!«, beschwerte sich Hans Meister.
»Na, nun mal ehrlich: Wenn bei mir mal Fleisch auf dem Teller oder in der Suppe ist, dann quatscht das nicht mehr! Woher soll ich dann wissen, wes Fleisch da zwischen den Möhrenstückchen schwimmt?«, gab Gustav grinsend zurück.
»Gut. Es reicht jetzt!«, beendete Richard das unappetitliche und durchaus beängstigende Gespräch.
»Habt ihr das auch gehört?«, schaltete sich Ahab ein. »Hannover ist inzwischen zu der Stadt für Diebe, Hehler, Einbrecher und anderes zwielichtiges oder lichtscheues Gesindel avanciert. Am Ende zieht dir hier einer mit dem Totschläger über den Scheitel, nur weil er neue Schuhe braucht, und deine so schön sauber sind.« Richard warf Ahab einen dankbaren Blick zu und stieg bereitwillig in das neue Thema ein.
»Du übertreibst mal wieder maßlos!«
»Wir kommen jedenfalls morgen auf Seite 1 damit raus, dass die Menschen sich sorgen. Spielende Kinder finden bei uns normalerweise keine blanken Schädel beim Toben an der Leine«, stellte Richard klar.
Der Pirat schmunzelte. »Nun, so ganz blank sollen sie auch gar nicht gewesen sein …«
7. Kapitel
1924 im Juni
Ludwig stapelte auf dem Bett, was er brauchen würde.
Packte nur ein, was er für notwendig hielt.
Viel war es nicht.
Sie planten eine Zweiwochentour – und sicher gäbe es unterwegs die eine oder andere Gelegenheit, Wäsche zu waschen.
Plötzlich stand seine Mutter in der Tür.
Sie lächelte verlegen, hielt die Hände hinter dem Rücken verborgen.
»Nun, Mutter? Was kann ich für Sie tun?«, fragte der Sohn und huschte einen zarten Kuss auf ihre Wange.
»Ach Ludwig – wie wird mir die Zeit lang werden ohne dich. Niemand hier, der sich am Abend zu mir setzt und sich mit mir unterhält – oder wohlig mit mir schweigt.«
»Ach! Wir sind nach so kurzer Zeit wieder zurück, da fällt Ihnen gar nicht auf, dass ich weg bin.« Tröstend strich Ludwig, der die Mutter um anderthalb Köpfe überragte, über ihre faltige Wange.
»Sieh mal«, freute sich die Mutter und zog hervor, was sie bisher versteckt gehalten hatte. »Ich dachte, falls du irgendwo ausgehen möchtest. Da brauchst du doch was Anständiges!« Mit erwartungsvoller Miene sah sie ihn an.
Ludwig war im ersten Moment sprachlos. Als er sich gefangen hatte, keuchte er: »Aber das sollten Sie nicht!«, und schlüpfte schon voller Begeisterung in Weste und Jacke, strich mit den Fingern über den angenehm weichen Stoff. »Ist das schön! Das muss Sie ja ein Vermögen gekostet haben! Und so schnell fertig! Vielen Dank!« Stürmisch umarmte er die Mutter.
»So gefällt dir der Anzug! Da bin ich sehr froh. Eigentlich solltest du ihn zum Studienbeginn bekommen, aber ich denke, du könntest schon früher Bedarf haben.« Lächelnd reichte sie ihm auch die Hose und verließ das Zimmer.
Rasch schlüpfte Ludwig hinein.
Präsentierte sich dann in der Küche.
»Prachtbursche!«, kommentierte der Vater zufrieden. Und steckte für beide Männer eine Zigarre an. »Die Weibsleute werden dir nur so nachstellen. Komm mit!«
Das Gespräch unter Männern fand draußen im Garten auf einer Bank statt.
Ludwig unterdrückte ein Grinsen, als er dem alten Arzt zuhörte, der ihn über gute Umgangsformen aufzuklären versuchte.
»Die jungen Damen, weißt du. Wenn sie zu nett sind, ist Vorsicht geboten. Früher gab es Dirnen ja nur in der Stadt, aber heutzutage können sie überall arglosen Männern auflauern. Und diese Frauen, die tragen Krankheiten in sich, die man am Ende gar nicht mehr ablegen kann und die selbst die nachfolgenden Generationen noch treffen.«
Ludwig versprach, vorsichtig zu sein.
Er sah zur Sonne auf, nahm einen kräftigen Zug an der Zigarre und freute sich auf die unbeobachtete Zeit mit Theo.
Theo selbst ordnete ebenfalls sein Gepäck.
Mit Ludwig war bereits abgesprochen, wie viel unbedingt gebraucht würde. Zufrieden betrachtete er die schmale Auslage auf dem Tisch. Das würde problemlos Platz in Tornister und Fahrradkorb finden.
Als es klopfte, sah er überrascht auf.
»Vater! Sie sollten doch nicht die enge Stiege heraufkommen. Das tut Ihrem Rücken nicht gut.«
»Das lass mal meine Sorge sein. Der Rücken wird sich fügen müssen. Er wird mir helfen, in den kommenden Tagen für zwei zu arbeiten!«, knurrte der Schreiner.
»Ja«, antwortete Theo kleinlaut. »Ich weiß, es wird Ihnen nicht leichtfallen. Aber wenn wir zurück sind, können Sie sich schonen. So viele Aufträge stehen nicht im Buch, vielleicht kann der eine oder andere Kunde ja auch noch warten.«
»Es war ja kein Vorwurf! Ich gönne dir den Ausflug mit dem Freund. Mit Ludwig hast du einen guten Jungen zur Seite, der keine Dummheiten planen wird. Hoffe ich jedenfalls«, setzte er dann hinzu und keckerte wie ein wütendes Eichhörnchen.
»Ludwig ist kein Wirrkopf – war er nie. Er will studieren!«
»Theodor, ich möchte, dass du dies hier annimmst!« Damit zog der Vater ein kleines Paket hervor, das er vor der Tür abgestellt hatte. »Ich dachte, vielleicht kannst du es brauchen!«
Mit bebenden Fingern zog der Sohn die Verschnürung auf. Starrte auf den Anzug, den er ausgepackt hatte.
»Vater! Der muss Sie viel Geld gekostet haben! Er … ist wunderbar!«
»So probiere ihn an. Im Leben eines jungen Mannes kann es unverhofft zu Situationen kommen, in denen er einen guten Anzug brauchen kann.«
Flugs zog Theo sich um.
»Perfekt! Der Werner hat ihn mit Liebe für dich geschneidert. Und das sieht man ihm auch an. Hier!« Er warf dem überraschten jungen Mann einen Wollschal zu. »Den hat deine Mutter gestrickt, Stulpen auch. Passt alles genau zum Anzug. Eigentlich solltest du das bekommen, wenn du als Nachfolger den Betrieb übernimmst. Aber deine Mutter … naja. Anfang Juni kann es manchmal noch sehr frisch sein.«
Theos Augen brannten.
Jetzt bloß nicht heulen!, ermahnte er sich, bloß nicht!
Nachts, als alles ganz still