Schwan und Drache. Das Reich des Drachen. Natalie Yacobson
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Читать онлайн книгу Schwan und Drache. Das Reich des Drachen - Natalie Yacobson страница 6
Rose brachte etwa ein Drittel ihrer Garderobe mit. Aber selbst ihre Kleidung konnte nicht mit dem Chic dieser Umgebung mithalten. Rose wollte den Kamm aus ihrer Reisetasche ziehen, fand aber stattdessen einen Kranz aus Vergissmeinnicht, der einen wunderbaren Duft ausstrahlte. Für einen Moment war das Mädchen vor Überraschung taub. Immerhin hat sie letzte Nacht einen getrockneten Kranz mit zerknitterten Blütenblättern in diese Tasche gesteckt, und jetzt sind die Blumen frischer. Tautropfen waren schwer auf den winzigen blauen Bechern. Das Geschenk des Trolls gewann sein ursprüngliches Aussehen zurück und gewann über eine lange Nacht neue Kraft. Vergissmeinnicht brauchten weder Nahrung noch Wasser, aber gleichzeitig strahlten sie greifbare Energie aus und bildeten eine Schutzbarriere um ihren Besitzer. Durch den Willen des Spenders wurden sie Talisman.
Rose legte den magischen Gegenstand auf den Tisch und ging zum Fenster. Von hier aus hatte man einen tollen Blick auf den Park. Die Trauzeuginnen spielten Musik in der Eichengasse. Abends unterhalten sie die Gäste mit Flöten und Harfen. Wasser gluckste im Brunnen. Aus großer Höhe erschienen die Triebe von Petunien und Gladiolen als Palette heller Farben. Von Zeit zu Zeit gingen Pfauen über das Gras und ließen ihre bunten, gemusterten Schwänze los.
«Der Herbst kommt», flüsterte Rose und sprach die Luft an.
Das Mädchen drückte sein Gesicht gegen das Glas in dem unbewussten Wunsch, näher an die Perlmuttschmetterlinge heranzukommen, die von Blume zu Blume flattern. In Träume versunken schloss sie die Augen und hörte ein schreckliches, verstörendes Flüstern direkt über ihrem Ohr.
«Hab keine Angst», sagte eine leise, herzliche Stimme, «das Schrecklichste wird nur im Winter kommen.»
«Was?» Rose wurde munter. Sie erkannte, dass sie nicht mehr allein war, dass sich jemand auf der anderen Seite des Fensters befand. Dieser jemand spricht mit ihr. Die Prinzessin öffnete die Augen. Ihre Lippen teilten sich überrascht, aber sie konnte kein Wort sagen. Hinter dem Glas schwebte dieselbe flexible, gewundene Schlange. Nicht einmal eine Schlange, sondern ein Miniaturdrache. Seine Augen funkelten in allen Farben des Regenbogens. Die Flügel glitzerten und hinter ihnen streckte sich augenblicklich die dunkle Himmelskugel. Rose wartete darauf, dass der Eindringling in ihrer bezaubernden, melodiösen Stimme etwas anderes sagte, aber er schwieg.
Rose drückte ihre heiße Stirn gegen das Glas. Sie wollte ihre mysteriöse Bekanntschaft nach etwas fragen, aber ihre Zunge gehorchte ihr nicht. Sie streckte die Hand nach den goldenen Schuppen aus und berührte nur die Glastrennwand. Unvernünftige Tränen erstickten die Prinzessin. Sie sah, wie weißer Rauch die funkelnde Silhouette umhüllte und die Schlange selbst langsam aus dem Blickfeld entkam und in ihre magische Welt zurückkehrte.
Vor dem Fenster war wieder eine wunderbare Landschaft. Schmetterlinge füllten den Garten. Gelbes Zitronengras schmiegt sich an die Fensterbank. Und die geflügelte Schlange war weg. Rose erstarrte wie eine Schaufensterpuppe. Ein schmerzendes Gefühl der Einsamkeit entstand in ihrem Herzen.
Sobald es dunkel wurde, schwang die Tür zum Raum geräuschlos auf. Zuerst schien es Rose, dass die Gestalt, die auf der Schwelle erschien, von einer schwarzen Wolke umgeben war und es ihren Füßen in lächerlichen, purpurroten Schuhen nicht erlaubte, den Boden zu berühren.
Die Vision verschwand sofort. Mara betrat den Raum mit einem hartnäckigen, arroganten Gang. Ein mit Satinblumen und Perlen besticktes Kleid konnte die spitzen Gesichtszüge nicht aufhellen. Im Gegenteil, künstlerische Mode fügte ihren Mängeln eine abstoßende Arroganz hinzu. Der Wunsch, vor allen an der Spitze zu bleiben, ist für die Herrin dieses Palastes zu einer Art Wahnsinn geworden.
Mara schüttelte einen roten Haarschopf, das Stirnband funkelte mit den kleinsten Smaragden und milderte die helle Rötung ihres Haares.
Rose musste begeisterte Grüße und Komplimente hören. Kein einziges Wort von Mara war aufrichtig. Die feuerhaarige Cousine konnte sich mit Reichtum rühmen, aber nicht mit Ehrlichkeit. Aber sie schüttete kühn Höflichkeiten aus. Ihre zusammengekniffenen braunen Augen wanderten neben dem Sofa in der Steinnische und dem ausgepackten Gepäck.
«Ich bin froh, dass du gesund und munter hierher gekommen bist», sagte Mara und zog jedes Wort heraus. Ihr Geschwätz ähnelte jetzt einem Refrain einer faszinierenden Ballade.
«Sie wissen, dass mehrere Dörfer niedergebrannt sind. Und um die verbrannte Erde setzte sich ein giftiger Nebel ab. Die Fauna verschwendet auf Geheiß des Drachen. Die Zwerge verstecken sich unter der Erde. Die Elfen haben mehr Glück, sie haben Löcher. Aber die Bauern sind zum Untergang verurteilt.»
Mara machte eine Pause und schenkte ihrem Begleiter ein schlaues Lächeln.
«Du hast hier nichts zu befürchten, meine Liebe», fuhr sie fort. «Für diejenigen, die sich innerhalb der Mauern meines Schlosses befinden, garantiere ich vollständige Sicherheit.
Mara ging zu den gestapelten Sachen in der Ecke und stieß den Deckel einer massiven schmiedeeisernen Truhe auf. Rose bemerkte nicht einmal, wie es zusammen mit ihren eigenen Sachen gebracht wurde. Die schwere, verkupferte Truhe war ihr völlig unbekannt.
«Ich möchte dir ein Geschenk geben», verkündete Mara und zog ein funkelndes Ballkleid aus der kupfernen Leere. Das Glitzern der fließenden Materie blendete die Augen. Rose fuhr mit der Hand über die üppige Kaskade von Brokatröcken und wich sofort zurück, als hätte sie sich die Finger gehäutet. Ein seltsamer Zufall traf sie. Das Kleid war golden. Nach der Geschichte der Bäuerin konnte nur der Anblick von Gold Übelkeit und Angst verursachen, und die Erinnerung an eine fliegende Schlange wurde mit geheimer und magischer Dunkelheit identifiziert. Was für ein unaufhaltsames Schicksal könnte Glieder in einer Kette seltsamer und aufregender Ereignisse verbinden?
Rose wandte ihren Blick ihrer Cousine zu. Jetzt sah Mara aus wie eine blasse Motte. Ohne den roten Zopf aus Haaren, der mit einem Perlenfaden verflochten ist, wäre diese arrogante Frau nicht schöner als die Verstorbene. Selbst in ihrem schweren, rauchigen Outfit sah sie splitterdünn aus. Lange, zähe Hände ergriffen das Geschenk wie ein tödliches Amulett. Das Kleidungsstück wurde von einem Kopfschmuck im gleichen Stil begleitet.
«Du sollst das heute Abend zum Ball tragen», sagte Mara mit gedämpfter Stimme. Sie reichte Rosa ein Kleid und ging zum Ausgang.
«Um fünf vor zwölf warten wir im Spiegelsaal auf dich», erklärte sie in einem unbestreitbaren Tonfall. Mara blieb an der Tür stehen. Das Licht der Lampe fiel auf ihr Gesicht und zeichnete dünne Wangenknochen. Eine tödlich blasse Stirn war mit einem Ausschlag von Sommersprossen bedeckt, und sein Mund verzog sich zu einem eifrigen, grausamen Grinsen. Im nächsten Moment schlüpfte die Cousine wie ein ätherischer Geist aus dem Raum.
Die Tür schlug mit solcher Kraft hinter ihr zu, dass die Scharniere knarrten und stöhnten. Jede Wand in diesem Gebäude ähnelte einem lebenden Fabelwesen. Jeder Fensterflügel hier hatte Augen, die den Neuankömmling genau beobachteten. Aber sobald man sich umdrehte und die Wände wieder zu Stein wurden und die in ihnen lebenden Geister ihren Ankläger unmerklich auslachten.
Rose stand mitten im Raum und umklammerte ein Geschenk. Schatten flackerten und walzten um sie herum. Goldbrokat verbrannte ihre Finger. Die verzauberten Schlafzimmerwände flüsterten untereinander.
Scharfe Lichtstrahlen tanzten über die polierte Tischplatte. Aber der Kranz lag nicht mehr auf dem Tisch. Zusammen mit ihm verschwand die jenseitige Kraft auf Befehl des Trolls, der sich in Blumen versteckte und die Prinzessin beschützte.
Als Mitternacht näher