Die große Pause. Bastian Bielendorfer

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Die große Pause - Bastian Bielendorfer

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im Zentrum der Stadt, der Rhein fließt als braune Suppe mit Hochwasser dahin, am Fenster fliegen ein paar Möwen vorbei, die sich wohl selbst wundern, warum sie nicht im Watt der Nordsee rumpicken dürfen, sondern die Rheinpromenaden vollkacken müssen. Eigentlich ist alles wie immer.

      Doch uneigentlich ist nichts wie immer.

      Im Fernsehen wird selbst auf RTL2, wo man sonst legasthenischen Sonnenbank-Abonnenten bei der Paarung an Traumstränden zuschauen muss, über nichts anderes mehr berichtet als über die Corona-Krise.

      Nur Schwiegermutter scheint von dem Ganzen irgendwie unberührt.

      Sie putzt weiterhin unsere Wohnung, als würde sie einen Tatort reinigen. Schon morgens, wenn ich aus dem Badezimmer schlappe, steht sie auf einer Trittleiter mit dem Kopf in der Dunstabzugshaube und reibt mit einem Spülschwamm das alte Fett aus den Fugen.

      Es ist ein bisschen so, als wären die Heinzelmännchen bei uns eingezogen: Man geht schlafen, und am nächsten Morgen ist die Wohnung aufgeräumt.

      Während ich meinen Ingwertee aufbrühe, steht sie neben mir am Herd, brät Apfelpfannkuchen und wippt mit der Hüfte zu den Bee Gees, die auf WDR 4 eine Hymne an die Discozeit jodeln.

      „Ach das war sooo schööön damals, als wir jung waren! Zu dem Song haben wir geknutscht. Ich mochte von den Bee Gees am liebsten den mit der hohen Stimme!“, flötet sie und macht einen Ausfallschritt auf dem Küchenfußboden. Dass alle Bee Gees hohe Stimmen hatten und diese Einordnung in etwa so präzise ist, wie „Ich mochte den in der Schlaghose“ oder „den mit der lustigen Frisur“ spare ich mir.

      Ich stupse sie mit meiner Hüfte als Tanzaufforderung an, treffe aber aufgrund des Größenunterschieds zwischen uns (Schwiegermutter misst gerade mal 1,50 Meter) fast ihre Schulter und schleudere sie ein Stück vom Herd weg. Zum Glück fängt sie noch die Pfanne mit dem Pfannkuchen ab, die schon im Begriff war, in die Spüle zu fliegen.

      „Was macht ihr denn da?“, fragt Nadja, die den Lärm gehört hat.

      „Nichts“, antworten Schwiegermutter und ich so synchron, dass es eindeutig als Lüge erkennbar ist.

      Unsere Corona-bedingte Zwangswohngemeinschaft fühlt sich ganz gut an. Noch. Mal schauen, wie es wird, wenn Schwiegermutter fertig damit ist, unsere Wohnung phantomzurenovieren.

      Wir haben Glück, denn wir sind alle gesund, Corona spielt sich im Moment da draußen vor dem Fenster ab und schaut nur über den Bildschirm in unsere Wohnung. Trotzdem ist der Zustand völlig unwirklich. Wann ich das nächste Mal auf einer Bühne stehen werde, steht derzeit in den Sternen. Mein sehr schnelles, sehr unstetes Leben als viel reisender Bühnengaukler, der 150 Tage im Jahr unterwegs ist, wurde so plötzlich gestoppt, als hätte jemand das Bungee-Seil gegen eine Eisenkette ausgetauscht. Ich mache jetzt „Home Office“, was auch immer das bei einem Komiker heißen soll.

      Heute musste ich für Nadja Abschminkpads einkaufen gehen – denn sie habe im Gegensatz zu mir einen echten Job und würde nicht nur Home Office spielen, sagt sie. Da musste sogar unser Mops Otto lachen. Und Schwiegermutter sowieso.

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      ZUMBA FÜR DIE WELT

      Das Wetter kühlt merklich ab. Nachdem tagelang fast sommerliche Temperaturen herrschten, schiebt jetzt ein kalter Nordwind die Passanten durch die Straßen.

      Es ist der erste Tag der Kontaktsperre, die nun auch für Köln ausgerufen wurde. Die Regierung hat angekündigt, am Wochenende ein „Auge“ auf die Aktivitäten der Bürger zu haben. Man wird zu „Social Distancing“ aufgerufen.

      Allein der Begriff „Social Distancing“. Klingt wie ein Tanzkursangebot neben Zumba und Jazzdance.

       Now a jump to the left, put the hand on your hips and stay away from all other dancers.

      Wie das Auge, das die Regierung auf uns werfen will, aussieht, ist nicht klar. Vielleicht fliegt Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Ein-Frau-Gyrocopter Stadtgebiete ab und wirft Verwarnungen über Menschenansammlungen ab. Vielleicht drehen sie das Hubble-Teleskop vom All zum Globus.

      Letztlich ist der Hausarrest bereits so spürbar, als wäre er bereits verhängt.

      Meine Schwiegermutter faltet Wäsche, weil sie das beruhigt, sagt sie.

      Eine bewundernswerte Eigenschaft, wie ich finde. Würden mich Haushaltstätigkeiten beruhigen, sähe unsere Wohnung nicht aus wie moderne Kunst.

      Bei mir herrscht immer Chaos. Mein Schreibtisch sieht aus, als hätte man mit einer Bazooka in einen Schreibwarenladen gefeuert: Der Kleiderschrank hat ein Eigenleben und frisst täglich T-Shirts und Socken, und im Mülleimer liegt seit gefühlt einem Jahrzehnt ein Stapel AOL-CDs. Marie Kondo würde nicht mal ein Seil finden, um sich damit aufzuhängen.

      Ich bin mit Otto draußen, und es ist merklich ruhiger auf den Straßen als an einem normalen Samstag. Aus den Fenstern beobachten uns die Nachbarn, ein Juristenpaar mit Mundschutz. Sie werfen mir Blicke zu, als hätte ich mit diesem Spaziergang den Untergang der Menschheit selbstständig in Gang gesetzt.

      Auch der sonst sehr nette Nachbar mit dem grazilen Windhund schaut mit zusammengekniffenen Augen unter der Schiebermütze hervor und grüßt schmallippig.

      Ich fühle mich wie Bruce Willis in „12 Monkeys“, wo er eingepackt in einen Gummianzug durch eine ausgestorbene, leere Welt stapft.

      Die News verkünden, die Restaurantkette Vapiano sei pleite.

      Das klingt fast etwas höhnisch. Als wäre diese Mischung aus Mensa und Billigitaliener nicht vorher schon einer gastronomischen Bankrotterklärung gleichgekommen. Letztlich dient eine Krise so manchen Unternehmen als Anlass, klammheimlich das Mobiliar anzuzünden. Die Mitarbeiter, die in dieser mehr als ungünstigen Zeit auf der Straße stehen, können einem leidtun. Die Verantwortlichen, die alles dafür getan haben, dass man sich lieber einen Bahnhofsdöner holt, als ihr Restaurant zu besuchen, nicht. Wer wollte nicht schon immer mal mit einem Metalltablett für eine sahnige Pampe aus verkochten Nudeln anstehen, während die Freunde noch auf das Piepen ihres Pizzaweckers warten wie auf das Zwinkern eines gütigen Gottes.

      Vapiano war wirklich nur für eines gut. Die Läden waren so unpersönlich und anonym, dass man sich in ihrem WLAN bei einem Latte Macchiato während der drei Stunden Wartezeit auf den zweiten ausgefallenen ICE festsaugen konnte, ohne dass man irgendwann als Umsatzleiche hinauskomplementiert wurde, wie einem das bei Starbucks irgendwann passiert.

      Na ja, einen weiteren Vorteil hatte Vapiano im Gegensatz zu Starbucks noch: Die Mitarbeiter haben einem nicht den eigenen Namen in Nudelsoße auf den Teller gemalt. Immerhin etwas.

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      HAMSTER IM KÄFIG

      Heute habe ich das erste Mal in meinem Leben gehamstert. Der Flaschenpost-Bote schaut mich prüfend an, als er die acht Kisten Wein auf einer Sackkarre aus dem Fahrstuhl wuchtet. Könnte an meinem Outfit liegen, das so mancher Modekenner wohl als „gewagt“ einstufen würde (Ducktales-T-Shirt, kurze Hosen und Chewbacca-Pantoffeln). Oder an der Vermutung, dass er gerade einen schweren Alkoholiker beliefern muss.

      „Sie

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