das Fahrrad der ewigen Stille. hedda fischer

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das Fahrrad der ewigen Stille - hedda fischer

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das war er ganz sicher nicht.

      Natürlich berührte sie ihn, wenn sie ihn badete. Und das tat sie lange Zeit. Denn auch wenn er allein in die Wanne kletterte, freute er sich, wenn sie das Badezimmer betrat, ihn einseifte, überall. Ihr machte es Spaß und auch ihm schien es Spaß zu machen. Seine weiche Haut. Sein kleiner Penis, der sich erfreut aufrichtete.

      Im Großen und Ganzen kam er gut allein zurecht, würde sie sagen.

      Ihre Mutter war nicht dieser Ansicht. Man könne ein so kleines Kind nicht dauernd allein lassen, bekam sie oft zu hören. Aber er war gar nicht so viel allein. Allenfalls an den Abenden, an denen sie arbeiten gehen musste.

      Schulisch gesehen hatte er sich letztendlich doch angestrengt und war mit elf Jahren ins Lessing-Gymnasium gewechselt. Auch dort war er nicht der beliebteste. Woran es lag ? Das wusste sie nicht. Es war ja nicht der Fall, dass er unfreundlich zu den Klassenkameraden gewesen wäre, dass er nichts auslieh, dass er unsportlich war. Nein, er kam aus einer anderen Schicht, obwohl der Bezirk Wedding nicht gerade mit wohlhabenden Leuten gesegnet war. Aber er hatte weniger Taschengeld als die anderen. Das war aufgrund ihres Gehaltes so. Sie ließen es ihn spüren. Wobei durchaus unklar war, weshalb die anderen mehr Taschengeld hatten. Auch andere Eltern waren nicht gerade gut gestellt. Wurde da geklaut ? Heimlich Geld aus dem Portemonnaie der Mutter genommen ?

      So nach und nach passte er im Unterricht weniger auf, hörte nicht zu, begriff den Stoff nicht mehr. Sie merkte das erst viel später. Bei den wirklich guten Klassenkameraden nachzufragen traute er sich nicht. Einer wohnte in ihrer Straße, dieser Noah. Denn zu diesem Zeitpunkt waren sie schon in die Cambridger Straße umgezogen. Eigentlich hätten die beiden zusammen zur Schule und nach Hause gehen können. Aber das geschah selten. Sie gingen oft nur hintereinander her. Vielleicht lag es auch an Noahs Familie. War ja auch nicht das Wahre ! Der Vater kellnerte in dem Restaurant des Kaufhauses Wertheim in der Schlossstraße. Sechs Tage die Woche. Zumindest kam er abends nach Hause und musste nicht - wie andere - die halbe Nacht arbeiten und vielleicht noch mit Kollegen einen trinken gehen. Seine Mutter ? Sie wusste es nicht.

      Sie sagte oft zu ihm

      »Nun lade doch mal einen von deinen neuen Klassenkameraden ein.«

      Darauf antwortete er gar nicht. Sie wusste nie warum.

      Das änderte sich eines Mittwochs ( sie stand gerade auf dem Balkon ), als die Zwillinge aus der dritten Etage Noah in die Zange nahmen und versuchten, ihm seinen Schulrucksack zu entreißen. Noah wehrte sich. Sie boxten ihn, und sie waren zu zweit. Benjamin sah es auch, zögerte nur einen winzigen Moment und rannte hinzu. Schlug auf einen der beiden ein, sie wusste nicht, ob es Moritz oder Kai war, sie konnte die beiden ohnehin nicht auseinanderhalten. War ja auch egal.

      Nach kurzer Zeit ließen die Jungen voneinander ab, keiner hatte gewonnen, aber die Angreifer hatten zumindest den Rucksack nicht entwenden können. Schwer atmend blieben sie stehen und sahen sich an. Die Zwillinge wechselten einen Blick, sagten im Weggehen zu Benjamin etwas. Später erzählte er, dass sie ihm gedroht hatten.

      »Pass auf, wenn wir dich allein erwischen …«

      Sie fragte nach, aber der Sohn winkte ab.

      Damit würde er schon fertig, sagte er.

      4 – Benjamin ( 12 Jahre )

      Noah und er wischten sich nach der Prügelei verlegen die Hände an den Jeans ab, räusperten sich und gingen schweigend die paar Schritte weiter bis zu dem Block, in dem Noah mit seiner Familie wohnte.

      »Komm mit ’rein«, sagte der kurz.

      Benjamin nickte und folgte ihm. Die Wegners wohnten in der ersten Etage, in der sich die größeren Wohnungen befanden. Auch Noah hatte einen eigenen Schlüssel. Er schloss auf und rief:

      »Ich bin da.«

      Eine alte Frau erschien in der Küchentür. Noah gab ihr einen Kuss auf die Wange. War das die Mutter ? Nein, es war die Oma. Er wurde kurz vorgestellt. Noah winkte ihn in sein Zimmer, ging dann in die Küche und holte zwei eiskalte Colas. Sie setzten sich, Noah auf das Bett, Benjamin auf den Schreibtischstuhl. Sie schwiegen einen Moment.

      »Kennst du die beiden ?«

      »Ja«, sagte Benjamin, »sie wohnen in meinem Block im dritten Stock. Ich sehe sie nicht so oft, sie gehen auf eine andere Schule, aber sie versuchen immer wieder, mich zu beklauen.«

      Ein Moment Pause. Dann setzte er hinzu:

      »Aber sie schaffen es nicht.«

      Das stimmte nicht ganz, aber er wollte nicht zugeben, dass er meist der Unterlegene war. Er hatte Kraft und konnte zuschlagen, aber gegen zwei kam er nicht an, schon gar nicht, wenn sie ihn unglücklicherweise in eine Haus- oder Park-Ecke gedrängt hatten.

      Von dem Tag an gingen sie ab und zu zusammen von der Schule bis in die Cambridger Straße. Für ihn fühlte es sich so an, als ob sie befreundet wären. Er trödelte oft herum, um auf Noah zu warten. Aber der unterhielt sich mit Klassenkameraden, zog Benjamin nicht mit ins Gespräch, ging einen anderen Weg oder spielte gleich nach der Schule beim BSC Rehberge Fußball. Der Club lag in der Afrikanischen Straße, nicht weit von Schule und Wohnung entfernt. Benjamin war einmal dorthin gegangen, hatte so getan, als wäre er zufällig vorbeigekommen und eigentlich hatte er mitspielen wollen. Der Trainer hatte gefragt, ob er Mitglied wäre und als er das verneinte, ob er Mitglied werden wolle … Er hatte die Schultern gehoben. Sich nicht getraut, nach der Beitragshöhe zu fragen. Getan, als ob es ihm egal wäre, ob er nun mitmachen durfte oder nicht. Dabei wünschte er es sich. Wünschte sich, irgendwo dazu zu gehören. Sich mit anderen auszutauschen. Freunde zu haben.

      Einen Sonnabendnachmittag waren Noah und Benjamin zum Olympia-Stadion gefahren. Das hatte sich eher zufällig ergeben, denn er hatte Taschengeld bekommen – diesmal reichlich, was damit zusammenhing, dass seine Mutter ihn aus dem Weg haben wollte, weil sie einen neuen Bekannten mitbringen wollte.

      Ihm war die Sache sofort klar gewesen. Denn diese Situation kannte er seit Jahren. Wenn seine Mutter freundlich und aufmerksam war, mit ihm neue Kleidung kaufen ging, sich überhaupt für ihn interessierte, dann stand ein neuer Mann ins Haus. Sie trank dann nicht viel, nur eben so viel, um bei Laune zu bleiben. Sie ging zum Friseur, um sich die Haare schneiden zu lassen. Sie kochte. Die Wohnung wurde geputzt. Sie tat alles, was richtige Mütter eben so tun.

      Er hatte im Vorübergehen auf Plakaten gelesen, dass das Olympia-Stadion einen Tag der Offenen Tür veranstaltete, an dem man sich alles ansehen konnte und an dem Sportvereine Informationstische aufstellen würden. Also waren Noah und er Sonnabendmittag zum Stadion gefahren. Man brauchte zwar noch eine Jacke, aber eine Jeansjacke reichte, die Sonne schien. Sie waren ausgezeichneter Stimmung, redeten laut, sogar Noah, der sonst eher der ruhige Typ war. Sie blödelten herum, lästerten über die Mitfahrenden in der U-Bahn, fühlten sich stark und unangreifbar.

      Die verschiedensten Vereine hatten Tische aufgestellt, Flyer ausgelegt, Landkarten aufgehängt, Vereinserfolge aufgelistet. Da gab alles: Fußball, Handball, Tischtennis, Radfahren, Tennis, Hockey, Basketball, Leichtathletik, sogar Voltigieren … einfach alles ! An jedem Stand waren Mitglieder, Trainer und junge Leute zugange, die Fragen beantworteten und neue Mitglieder anlocken wollten.

      Noah und Benjamin schlenderten herum. Tennis kam gar nicht in Frage, zu teuer. Und all diese feinen Clubs, da hätten sie gar nicht gewusst, wie sie sich benehmen sollten. Tischtennis ? Nein, dieses schnelle Hin- und Herspringen lag beiden nicht, hinzu kam, dass Benjamin Muskelmasse hatte und sich nicht schnell bewegte. Langsam war einfach cooler. Für Basketball waren beide zu klein.

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