das Fahrrad der ewigen Stille. hedda fischer

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das Fahrrad der ewigen Stille - hedda fischer

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auch nicht so ein Wohlstand, dass er eine Beteiligung ins Auge gefasst hätte. Voltigieren ? Noah sah sich die Informationen genau an. Nein, für Benjamin war das nichts. Das machten nur kleine Mädchen.

      »Wo willst du denn das Pferd hintun ?« fragte er grinsend, »auf den Balkon ?«

      »Ich hätte gern eins«, sagte Noah.

      Benjamin sah ihn überrascht an. Das hatte nachdenklich geklungen.

      »Wäre schön, so ein Tier«, sagte Noah, ein wenig verlegen. Er sah ihn nicht an, sondern guckte in der Gegend herum.

      »Naja«, sagte Benjamin zögernd, »aber ein Pferd ? Nimm doch einen Hund.«

      »Geht auch nicht«, sagte Noah, »wo soll der tagsüber bleiben ? Meine Eltern arbeiten, ich gehe zur Schule, und Oma kann nicht gut laufen.«

      Ein Moment des Schweigens.

      »Aber ich hätte schon gern ein Tier …«

      Sie schlenderten schweigend weiter, kamen an den Stand des Radsportvereins RC Charlottenburg. Dort standen keine anderen Leute, daher konnten sie die ausgelegten Informationen in aller Ruhe in Augenschein nehmen. Es stellte sich heraus, dass Jungen jeden Alters mitmachen konnten, besser gesagt mindestens fünf Jahre alt sollte man schon sein. Wer kein Fahrrad besaß und sich auch keins leisten konnte, bekam erst einmal eins gestellt, das er allerdings nicht mit nach Hause nehmen durfte, weil es von mehreren Jungen benutzt werden musste. So viel Material hatte der Club nun auch nicht zur Verfügung.

      Sie durften verschiedene Fahrräder ausprobieren. Der Trainer sah zu. Benjamin fühlte sich beschwingt wie schon lange nicht mehr. Ein Fahrrad hatte er nur in frühen Jahren besessen, das letzte stand wahrscheinlich - ihm längst zu klein geworden - noch im Keller. Hier gab es neue Modelle. Leicht und leichtgängig, obwohl es sicher nicht die teuersten waren.

      Er war begeistert. Ließ sich die Gänge erklären, fuhr eine weitere Runde, wechselte auf eine andere Bauart, eine andere Marke. Er besprach sich mit dem Trainer, einem etwa 30jährigen Mann, der sich als Otmar Grisebach vorgestellt hatte ( »sagt einfach Otmar zu mir« ), ließ sich genau erklären, wie richtiges Training vor sich ging. Was er tun musste. Tun sollte.

      Otmar hatte seine Begeisterung sofort erkannt. Er besah sich seine Statur, ahnte, dass er Krafttraining gemacht hatte. Davon zeugten seine Schulter- und Armmuskeln. Nachwuchs konnte der Club gut gebrauchen. Sie verabredeten sich für den kommenden Sonnabendnachmittag, damit sie die näheren Einzelheiten besprechen konnten. Er machte sich vergnügt auf den Rückweg. Endlich hatte er eine Sportart gefunden, die ihn interessierte, die er ausüben konnte. Allein ausüben konnte. Sich nicht anderen anpassen musste, wie zum Beispiel beim Fußball, wo es ja darauf ankam, Teamgeist zu entwickeln, nicht alles allein machen zu wollen, sondern mitzuspielen. In dem Moment war ihm allerdings nicht klar, dass er auch beim Radfahren mit andern zusammenarbeiten musste. Sicher anfangs, wenn er noch nicht der große Star war.

      Auf der Rückfahrt in der U-Bahn sprachen sie ausführlich darüber, und Benjamin konnte Noah überzeugen, dass der es auch unbedingt probieren müsste. Allein wäre er zwar auch hingegangen, aber mit Noah zusammen wäre alles viel besser.

      Noah zögerte. Er fühlte sich in der Fußballjugend beim BSC Rehberge als Rechtsverteidiger oder Mittelfeldspieler wohl. An sich wollte er lieber als Stürmer spielen, aber da hatte er keine Chance. Es gab zu viele, die diese Position ausfüllen konnten. Letztendlich entschloss er sich, am nächsten Sonnabend einfach mal mitzugehen.

      Benjamin war begeistert. Endlich ein Freund ! Einer, der mit ihm zusammen Sport machen würde, der ihm vielleicht auch bei den Hausaufgaben helfen könnte. Er entwickelte sofort Pläne: Jeden Tag zusammen sein, Schule und Sport. Vielleicht auch mal eine Reise – später, wenn er Geld verdient hätte. A propos Geld: Er musste jetzt ernsthaft Geld verdienen. Beitrag für den Verein. Ein Fahrrad. Das einzige, was in Frage kam: Zeitungen austragen. Allerdings wusste er nicht, wie er an diesen Job kommen konnte. Noah wusste Bescheid. Für den Bezirk Wedding kam an sich nur die Berliner Morgenpost in Frage. Den Tagesspiegel las hier kaum einer, und die Bildzeitung kauften sich morgens alle selber auf dem Weg zur Arbeit.

      Also machten sie sich drei Tage später zu Fuß auf den Weg in die Thyssenstraße in Wittenau. Dort befand sich die Zustellagentur, die die Leute einteilte. An sich hätte er erst einmal seine Daten angeben und ein Vorstellungsgespräch führen müssen. Aber nach einigem Hin- und Her-Telefonieren kam die Sache in Gang, was hauptsächlich daran lag, dass sie wieder einmal knapp an Austrägern waren. Sie hielten ihn für zu jung. Aber er bekam dann doch probeweise den Job, musste eine komplette Woche mit einem Partner mitgehen, der die Kunden kannte. Das hieß, um halb vier Uhr aufstehen, zur Ablagestelle gehen, die Zeitungspakete annehmen, auf einen Bollerwagen laden und sich auf den Weg machen.

      Die Runde dauerte mehr oder weniger anderthalb Stunden. Dafür bekam er in der ersten Woche nur ein Taschengeld, dann aber einen Stundenlohn von 4,15 Euro. Hochgerechnet hieß das, dass er pro Woche über 40 Euro bekommen würde, pro Monat gut 170 Euro, eine Riesensumme. Er fühlte sich als Millionär und sah unendliche Möglichkeiten. Warum war er nicht schon früher darauf gekommen ? In Kauf nehmen müsste er allerdings das tägliche frühe Aufstehen, da er die Runde für die Abonnenten sehr früh und für sich vor der Schule erledigen musste. Aber dazu fühlte er sich durchaus imstande.

      Sonnabend am frühen Nachmittag machten sie sich auf den Weg zu dem Fahrradclub. Er hatte den Tag kaum erwarten können. Otmar nahm sie in Empfang, führte sie herum, stellte sie den anderen vor und erklärte die Abläufe. Kinder fuhren auf kleinen Fahrrädern auf dem Platz vor dem Clubhaus in Schlangenlinien um orangefarbene Hütchen herum.

      Lächerlich ! Sie waren ja schon älter, würden das wohl kaum machen müssen. Er irrte sich. Sie bekamen Helme angepasst, die Fahrräder wurden auf die richtige Höhe eingestellt, und dann ging es los. Erst einmal mehrmals rund um den Platz, dann enge Kreise, dann doch um die Hütchen, erst rechts herum, dann links herum. Otmar beobachtete genau.

      Was sie sich vorstellten, wurden sie gefragt.

      Er hatte sich die Antwort vorher genau überlegt:

      »Ich will Radrennfahrer werden«, sagte er.

      »Da wirst du viel trainieren müssen«, antwortete Otmar, »sowohl im Fahren als auch mit Krafttraining.«

      »Das macht mir nichts aus«, sagte Benjamin, zog wie zufällig sein Sweatshirt aus und präsentierte seine Oberarmmuskeln. Die waren nicht so ohne, die konnte er zeigen. Angegriffen hatte ihn schon lange keiner mehr. Sie wussten alle, was ihnen dann blühte.

      »Gut«, sagte Otmar und wandte sich Noah zu.

      5 – die Oma

      Ick hab’s ja immer jesagt, man kann een kleenet Kind nich’ dauernd allene lassen. Aber meine Tochter weeß ja allet besser. Sie ginge doch nur abends arbeiten, sagt se. Wat denn – abends ? Fragte ick ihr immer. In einer Bar oder wat ? Das hatte sie sicher ’ne janze Weile jemacht, denn woher kannte die denn all die Männer ? Doch wohl nich’ von ihren Putzjob !

      Wenn ick mal zu Besuch kam, was ja nich’ so häufig war - ick wohne zwar nich‘ weit weg, aber ick bin schlecht zu Fuß -, da hockte in der Wohnung oft jenug een Typ herum und spielte sich als Hausherr uff.

      Und der kleene Benjamin tat mir leid. Er saß dann mit auf der Couch, trank eine Cola ( unjesund, dat Zeug ) und hörte den Gesprächen zu. Mitunter is’ mir der Jedanke jekommen, dass er absichtlich sitzen blieb, um seine Mutter und den Mann zu ärgern. Er überhörte alle Aufforderungen, draußen auf der Straße zu spielen oder in’t Kino zu jehen.

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