das Fahrrad der ewigen Stille. hedda fischer

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das Fahrrad der ewigen Stille - hedda fischer

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      Er war eifersüchtig. Dat sah ick doch sofort. Wollte seine Mutter für sich. Aber die Männer, die se anschleppte, waren ja auch nüscht rechtes. Allet so schwache Typen, vermutlich arbeitslos oder so … Sein Vadder war ja auch so eener jewesen. Kaum hatte der Arbeit, schmiss er sie auch schon wieder hin, weil der Chef det und det jesagt hatte und er sich das sicher nich‘ gefallen liesse und so weiter und so weiter. Da habe ick jesehen, was aus einem solchen Menschen wurde. Jobs hier und da, schlecht bezahlt, dann die ach so sicheren Jeschäfte mit faulen Kumpels, schließlich Einbrüche und Jefängnis.

      Ihn mussten se ja fassen, so dämlich wie der war. Hielt sich immer für den großen Zampano, war aber nur ein kleenet Licht, ein Handlanger, der sich och noch einbildete, dass die anderen es ihm vergelten täten, wenn er den Mund hielt und ihre Namen nich’ verriet. Taten se aber jar nich’. Lachten sich wahrscheinlich tot über den Trottel.

      Na, ejal, er is’ schon vor Jahren aus dem Leben meiner Tochter verschwunden. Auch jut. Auch wenn se nicht jerade besser dran ist jetzt … so allein mit den miesen Jobs und dem wenigen Jeld. Aber für den Jungen ist es allemal besser, als wenn er seinem Vater vor Ogen hätte und dem womöglich noch nacheiferte.

      Ick weeß jar nicht, ob er sich überhaupt noch an den erinnert ?!

      6 – Benjamin ( 16 Jahre )

      Er ging der Frau hinterher. Sie ging die Cambridger Straße hinunter. Es war kurz vor 23 Uhr. Mai. Nur leicht kühl und windig.

      Er war gerade aus der U-Bahn gestiegen, die Treppe hoch gegangen und hatte die Frau am Kiosk stehen sehen. Er hatte sich neben sie gestellt und eine Cola gekauft. Sie angesprochen. Sie hatte sich ihm zugewandt, ihn einen Moment lang gemustert und sich dann mit einem gemurmelten »Schon gut, Junge« abgewandt, ihr belegtes Brötchen eingesteckt und war gegangen. Hielt sie ihn für jünger als er war ? Schließlich war er 16, sah allerdings jünger aus, was vermutlich an der Größe von eins zweiundsiebzig und an dem nur leichten Bartwuchs lag. Jedenfalls hatte er sich geärgert.

       Warum nahm ihn denn niemand für voll ?

      Er sah ihr nach und folgte ihr dann langsam. Sie ging ziemlich schnell, drehte sich aber nicht um. Man hörte ihre Absätze auf dem Pflaster, seine Schritte aber nicht. Er trug Turnschuhe. Schließlich bog sie nach rechts in die Belfaster Straße ein und überquerte den Fahrdamm. Dort fingen die Laubenpieper-Kolonien an, die sich um diese Jahreszeit langsam bevölkerten. An sich war es zum Übernachten in den Hütten noch zu kalt, und er fragte sich, was sie dort wollte. Sie betrat die Kolonie Berg und Tal, eilte die Stufen hinunter, wandte sich nach rechts.

      Er blieb im Schatten einer Hecke. Schließlich hielt sie vor einem Gartentor – der Nummer 17 – an, sah sich kurz um und zog einen Schlüssel aus der Tasche. Zwei-drei schnelle Schritte. Dann war er neben ihr.

      »Wieso haben Sie mich abgewiesen ?«, fragte er, »ich wollte doch nur mit Ihnen reden …«

      »Aber ich nicht«, sagte sie, »ich habe keine Zeit für kleine Jungs.«

      »Ich bin fast 17«, sagte er.

      »Wie auch immer«, sagte sie und schloss die Tür auf, »gute Nacht.«

      Sie stand vor dem geöffneten Gartentor, hatte den Türgriff in der linken Hand, den Schlüssel in der anderen, die Handtasche über der Schulter. Er ergriff ihren Arm und versuchte, sie festzuhalten. Sie wehrte sich. Sie war erstaunlich kräftig. Dabei war sie einen halben Kopf kleiner als er und etwas mollig, so wie seine Mutter. Auch so blond wie seine Mutter. Vielleicht war sie ihm deshalb aufgefallen. Er umfasste sie rasch von hinten mit beiden Armen, drückte sie fest an sich und so aneinander gepresst schoben sie sich durch das kleine Tor. Sie wehrte sich immer noch. Trat nach ihm. Fing an, ihn zu beschimpfen. Sie schrie allerdings nicht.

      Er legte einen Arm um ihren Hals. Als sie weiter zappelte, drückte er zu. Sie wurde ruhiger. Ein Gefühl der Macht ! Ein unglaubliches Gefühl ! Er drückte noch ein wenig fester. Sie fing an zu keuchen. Noch ein wenig mehr Druck. Auf einmal wurde sie schlaff. Er erschrak. Ließ sie vorsichtig auf den Boden gleiten. War sie tot ? Nein, sie atmete noch. Er verließ rasch das Grundstück und wartete ein paar Schritte weiter im schwarzen Schatten eines Baumes. Dann hörte er, wie sie sich bewegte, der Kies knisterte, sie krächzte, hustete. Also war sie wirklich am Leben.

      Er entfernte sich rasch, lautlos, erleichtert.

      Doch dieses Wahnsinns-Gefühl der Macht blieb, und die Erinnerung daran verließ ihn auch die nächsten Tage und Wochen nicht.

      7 – Benjamin

      Seine Schulzeit hatte etwas abrupt geendet. Nach etwa zehn Jahren – inzwischen war er vom Gymnasium an die Schule am Schillerpark gewechselt – hatte er schlicht und einfach die Nase voll. Sitzenbleiben und damit die zehnte Klasse wiederholen: Das stand auf dem Programm in diesem Herbst ! In der achten und neunten hatte es schon Probleme gegeben, aber er hatte es jedes Mal gerade noch geschafft, alle wichtigen Klassenarbeiten mit Vier oder wenigstens Vier Minus zu schreiben. Aber jetzt ? Keine Chance. Er begriff nur Mathematik - das einzige Fach, in dem er immer gut gewesen war -, kam aber bei den Sprachen nicht mehr mit. Sein Englisch war mäßig, Spanisch verstand er gar nicht mehr. Chemie ging einigermaßen. Die Elemente ließen sich auswendig lernen, Reaktionen auch, aber Physik war fast nicht zu begreifen. Er hatte total den Anschluss verpasst, was auch daran liegen konnte, dass er eine Zeit lang die Schule geschwänzt hatte. Zum Teil, weil er einfach keine Lust gehabt hatte, sein eigenes Unwissen immer wieder zur Schau zu stellen, zum anderen, weil er Geld verdienen wollte und das konnte er nur tagsüber, zum Beispiel in dem Lagerhaus am Hafen.

      Auch das Fahrrad-Training kostete Zeit. Aber es machte unendlichen Spaß ! Das langsame Anfahren, das Immerschneller-Werden, das Dahinfliegen ohne Zeit und Raum. Es machte ihm überhaupt nichts aus, zwei-drei Stunden hintereinander zu fahren, mal schnell, mal langsam, wie es ihm der Trainer erklärt hatte. Seine eigene Kraft zu fühlen, Schnelligkeit zu erleben, ein Freiheitsgefühl ! Er hatte damals instinktiv den richtigen Sport für sich entdeckt. Jetzt war er schon fast vier Jahre dabei und besaß zwei gute Fahrräder. Das Vereinsleben interessierte ihn nicht. Nur das Training. Was sollte er bei Vereinsabenden ? Quatschen ? Karten spielen ? Fachsimpeln ? War ihm egal. Er hatte seine eigenen Vorstellungen. Wenn die anderen über Mädchen redeten, dachte er an Frauen. An erwachsene Frauen, nicht an kichernde Teenager. Die Vorstellung, eine Frau zu bezwingen, war in ihm mehr und mehr gewachsen. Sie musste nur noch in die Tat umgesetzt werden …

      Seine Mutter hatte nie gefragt, woher er die Räder hatte. Dachte wohl, vom Verein. Soweit sie sich überhaupt dafür interessierte, was er so trieb. Er hatte beide durch Arbeit verdient. In der Werkstatt von Sven und Richard gejobbt, im Lagerhaus Möbel und Kartons getragen, in dem türkischen Laden Kisten geschleppt, als der Großvater hingefallen, sich am Knie verletzt hatte und der Sohn gerade für ein paar Wochen in der Türkei in Urlaub gewesen war.

      In dem Lagerhaus hatte niemand nach seinem Alter gefragt. Sie musterten ihn, sahen seine kräftige Statur ( auf die er sehr stolz war ) und hatten ihn erst einmal einen Tag lang probeweise beschäftigt. Ohne Murren hatte er Kisten aufgestapelt, LKWs mit allerlei Kram aus Wohnungsauflösungen aus– und eingeräumt, auch die Halle ausgefegt. Danach bestellten sie ihn eine Woche lang jeden Tag. Am Ende der Woche zahlten sie das Geld in bar aus ( ‘bar auf die Kralle‘, wie gesagt wurde ). Er kam sich sehr erwachsen vor, damals, als er Freitag am frühen Nachmittag mit den älteren Arbeitern vor dem Büro des Chefs wartete, nichts äußerte, aber den Worten der anderen genau zuhörte.

      Hauptsächlich war von Frauen und Saufen die Rede. Von „der Alten zu Hause“. Von der „Blonden mit den geilen Titten“, die in dem nahen Café jobbte. Vom Ficken. Und was man da alles machen könne … Er wurde beim Zuhören nicht

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