Lennox und die letzten Tage von Riverside: Das Zeitalter des Kometen #15. Jo Zybell

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Lennox und die letzten Tage von Riverside: Das Zeitalter des Kometen #15 - Jo Zybell

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Der schien Tim heller zu sein als Minuten zuvor. Wie viele Stunden mochte es noch dauern, bis endlich die Sonne über der Wolkendecke aufging?

      »Hast du was gehört?«, flüsterte Tim. Er richtete sich wieder auf.

      »Da ist etwas. Etwas Fremdes.«

      Merkwürdig – er, der wach lag, hörte nichts, und Marrela nahm im Tiefschlaf die Nähe fremder Kreaturen wahr.

      »Wie – etwas Fremdes?«

      »Hörst du es nicht?«

      Jetzt blickte auch er in den dunklen Himmel und lauschte.

      Nichts war da, nur die Umrisse der gigantischen Saguaros, unter deren Armen sie Deckung gesucht hatten. Kakteen und die Finsternis. Und in ihr die dunkelgrauen Schlieren des heraufdämmernden Morgens.

      Oder halt – bewegte sich nicht ein Schatten hoch über ihnen in der Finsternis? Schwärzer noch als die vom neuen Tag berührte Nacht?

      Tim streifte die Decken ab und stand auf. Er kniff die Augen zusammen, spähte hinauf.

      »Was ist das?« Minutenlang verharrte er reglos und lauerte auf Bewegungen und Geräusche. Er hörte nichts, doch drei Schatten konnte er schließlich unterscheiden.

      Silhouetten von Vögeln? Lautlos und in engen Kreisen schwebten sie über ihnen im dunklen Himmel.

      »Vögel.« Marrela flüsterte. »Sie wollen uns.«

      Das klang nicht wie eine Vermutung, das klang so gewiss, als hätte sie mit den Kreaturen dort oben verhandelt. Ein Schauer rieselte Tim über Rücken und Oberarme, seine Nackenhaare richteten sich auf. »Hast du sie belauscht!«

      »Ich habe ihren Hunger gespürt, im Traum, und ich hab uns in ihren Klauen und Schnäbeln gesehen.«

      2

       Riverside, Kalifornien, 21. November 2011

      Seine Hand fuhr zum Weltempfänger auf der Frühstückstheke. Jeden Morgen tat sie das, seit drei Jahren schon. Simon dachte sich nichts mehr dabei. Aufstehen, duschen, anziehen, in die Küche gehen, Radio einschalten, Frühstück machen: Das morgendliche Ritual seit seiner Pensionierung.

      Klack, und schon krähte die vertraute Stimme von Marc Shindler, dem Chefmoderator von RMB.

      »Lobet den Herrn und die Meteorologen, Leute von Kalifornien ! Der Himmel bleibt blau und die Luft weht lau! Hey, das reimt sich ja! Na, wie habe ich das wieder hingekriegt? Das Wetter …«

      Simon sah sich in der Küche um. Auf dem Küchentisch stand eine leere Whiskyflasche. Er versuchte sich zu erinnern: Er hatte sie aus der Schrankbar geholt, gestern Abend, nach dem Essen. Fast voll war sie da noch gewesen. Sie hatten ein, zwei Gläser getrunken, drüben im Esszimmer, er und Tim; Eve nicht. Und später, als Eve zu Bett gegangen war, noch ein paar Gläser mehr. Ziemlich viele Gläser sogar, wenn er sich recht erinnerte. Gegen Mitternacht hatten sie sich getrennt.

      Die Wettervorhersage ging übergangslos in Musik über: Ein Guns ‘n Roses Song tönte aus dem Empfänger: Knocking on heaven‘s door. Shindler spielte Oldies und hatte immer die aktuellsten News aus Riverside und Umgebung. Das war der Grund, warum Eve und Simon Lennox Riverside Municipal Broadcasting hörten.

      Simon rieb sich das Ohrläppchen. Er war sicher, die Flasche in die Küche auf die Anrichte gestellt zu haben, und er war sicher, dass zu diesem Zeitpunkt die bernsteinfarbene Flüssigkeit noch mindestens zwei Fingerbreit in der Flasche gestanden hatte. Jetzt fand er sie auf dem Küchentisch neben einer benutzten Kaffeetasse, und sie war leer.

      Timothy. Er hatte den Rest »gefrühstückt«. Eve lag noch oben im Bett. Und sie würde kaum nachts aufstehen, um sich zwei oder drei Whiskys zu genehmigen. Obwohl – in diesen Zeiten sah man die konservativsten Typen mit heiligen Gewohnheiten brechen. Pete Armagosa zum Beispiel, sein Nachbar, hatte schon den dritten Samstag davon abgesehen, seinen Toyota zu polieren.

      Simon stellte sich vor, dass seine Frau heimlich von seinem Whisky naschte. Witzige Vorstellung; er feixte. Und schnappte sich die Flasche. Besser, er ließ sie verschwinden.

      »Ein lausiger Klumpen aus Dreck und Eis macht die Welt verrückt, Leute.« Marc Shindlers Stimme aus dem Empfänger. »Ihr habt sicher gehört, dass die schwedische Regierung den Ausnahmezustand verhängt hat. Nach dem nächsten Song berichtet David Bertram aus Stockholm…«

      Klack. Simon schaltete aus. Nur das nicht am frühen Morgen.

      Er schlurfte aus der Küche. Es konnte nur Tim gewesen sein. Eve hatte ein großes Herz, aber Alkohol hatte keinen Platz darin. Oder nein, nicht übertreiben: Saufen hatte keinen Platz darin. Und mehr als zwei Whisky pflegte Eve unter »Saufen« abzubuchen.

      Die Tür zum Gästezimmer war nur angelehnt. Merkwürdig – als wäre Tim nur eben ins Bad oder vor das Haus gegangen. Als wollte er jeden Moment zurückkehren. Simon drückte sie auf.

      Das Kopfkissen und die zusammengelegte Bettdecke waren glattgestrichen, keine Schuhe vor dem Bett, kein vergessener Wecker, keine zurückgelassene Uhr, alles so unbenutzt wie gestern, bevor Tim das Haus betreten hatte.

      Simon seufzte und zog die Tür zu. Vor zehn, zwölf Jahren noch hatte Tims Zimmer stets ausgesehen wie nach einem Bombenangriff.

      Jeden Tag, abends und morgens. Aber bei der Army hatten sie ihm neben dem Fliegen auch das Bettenmachen beigebracht.

      Er schloss die Haustür auf. Eine Milchflasche stand auf der Treppe. Laub bedeckte den Weg zum Gartentor. Im linken Nachbarhaus, bei den Armagosas erklang das Geräusch sich öffnender Jalousien. Rechts, bei den Ashtons, lärmte eine Bohrmaschine aus der offenen Garage. Colin Ashton war Frühaufsteher.

      Selbst wenn er Urlaub hatte.

      Nur mäßiger Verkehr auf der Lincoln Avenue. Schon nach neun, die Rushhour hatte sich längst verlaufen. Der Himmel war blau, und ein erstaunlich milder Wind blies aus dem Osten von den San Bernardino Mountains, na prächtig.

      Der weiße Kies knirschte unter Simons Turnschuhen, als er zur Garteneinfahrt lief. Die Mülltonne stand auf dem Bürgersteig; wahrscheinlich hatte Tim sie aus dem Garten nach draußen geschoben. Es war ein Montag, Tag der Müllabfuhr. Dass der Junge das noch wusste …

      Die Morgensonne ließ das gelbe Blattwerk des Ginkgos neben dem Gartentor aufleuchten.

      Herbst. Seine Spuren in dem Baum wurden von Tag zu Tag deutlicher und erinnerten Simon an die Stelle in seinem Brustkorb, die sich wie versteinert anfühlte. Seine Stimmung sank.

      Verdammter Komet! Nur nicht daran denken.

      Das Datum war inzwischen auf fünf Schritte Entfernung zu entziffern: 26. 1. 1980. Und darunter: Timothy Lennox. Tims Name, Tims Geburtstag. Als Zwölfjähriger hatte er es in den Stamm geritzt. Auch schon beinahe zwanzig Jahre her.

      Die Zeitung steckte in der Röhre neben dem Briefkasten. Simon öffnete das gusseiserne Tor und klappte die Mülltonne auf. Hinein mit der leeren Flasche. Er hielt den Deckel fest und betrachtete die Flasche inmitten von Rotkohlblättern, Truthahnknochen, Kartoffelschalen und Milchtüten. Er fragte sich nicht, warum Tim zum Frühstück einen Doppelten – wahrscheinlich mehr – getrunken hatte. Das erschien ihm fast selbstverständlich an so einem

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