Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich
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Читать онлайн книгу Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich страница 6
»Die Zeiten sind schwer«, sprach Jakub weiter. Er stand auf, ging zu seiner Tochter und legte ihr die Hände auf die Schulter. »Die Leute sprechen von einem möglichen Krieg. Wir haben keine Ersparnisse mehr und werden das Gasthaus nicht behalten können, wenn niemand mehr zu uns kommt und für Essen und Unterkunft bezahlt. Unser Gast scheint eine wichtige Person zu sein. Sicher hat er genug Geld, um uns für unsere Mühen großzügig zu entlohnen.«
»Er sagt, dass er so schnell wie möglich nach Wien reisen muss«, sagte Magdalena. »Wir können ihn nicht lange gegen seinen Willen in unserem Haus festhalten.«
»Das habe ich auch nicht gesagt. Wenn er wirklich eine wichtige Botschaft für den Kaiser hat, dürfen wir seine Mission nicht in Gefahr bringen. Im Gegenteil: Wir müssen ihm helfen! Je schneller die Rebellion der Protestanten niedergeschlagen wird, umso eher kehrt der Friede in unser Reich zurück. Und damit auch die Besucher in unser Gasthaus.«
Magdalena sah ihren Vater nachdenklich an. Normalerweise sprach er nicht viel. Selten hatte sie ihn so lange reden hören. Dennoch verstand sie nicht, was genau sie tun sollten. Sie schaute zu ihrer Mutter, die ihrem Blick jedoch auswich. In diesem Moment wusste sie, dass ihre Eltern bereits eine Entscheidung getroffen hatten.
»Was soll ich tun?«
»Du fährst mit diesem Fabricius nach Wien und sorgst dafür, dass er unterwegs nicht stirbt.«
»Ihr schickt mich weg?« Magdalena sah ihren Vater entsetzt an. Warum wollte er, dass sie das Gasthaus verließ?
»Nein, mein Kind. Du sollst ja nicht in Wien bleiben. Der Sekretär aus Prag wird dich aber großzügig für diesen Dienst entlohnen. Vielleicht schaffen wir es mit dem Geld, unser Gasthaus zu behalten.«
»Was, wenn Fabricius nicht will, dass ich ihn begleite?«
»Es wird dir schon etwas einfallen, wie du ihn überzeugen kannst. Die Entscheidung ist gefallen. Ihr werdet morgen aufbrechen.«
***
Als Philipp am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich zwar deutlich besser, merkte aber, dass er immer noch Fieber hatte. Die Prellungen, die er sich bei dem Sturz aus dem Fenster zugezogen hatte, schmerzten nach wie vor bei jeder Bewegung. Am meisten machte ihm sein linker Ellenbogen zu schaffen. Noch immer konnte er den Arm kaum bewegen. Als er sich aufsetzte, spürte er leichten Schwindel, kämpfte aber dagegen an. Er musste seine Reise heute fortsetzen. Egal wie schwer ihm das auch fallen mochte.
Durch das Fenster fielen die ersten Sonnenstrahlen, und Philipp konnte sich in dem Zimmer umsehen. Er erschrak, als sein Blick plötzlich auf Magdalena fiel, die neben seinem Bett auf einem Stuhl schlief. Hatte sie etwa die ganze Nacht bei ihm gesessen?
Die Wirtstochter schien zu bemerken, dass Philipp sie beobachtete, und öffnete die Augen.
»Geht es Euch besser?«
»Ein bisschen.« Philipp stellte die Beine auf den Boden und wollte aufstehen, als ihm einfiel, dass er unbekleidet war. Verlegen sah er Magdalena an. »Wo sind meine Sachen?«
»Sie waren völlig verdreckt. Meine Mutter hat sie gewaschen und die Löcher gestopft. Ich kann sie Euch holen.« Magdalena machte keine Anstalten aufzustehen und sah Philipp stattdessen skeptisch an. »Wollt Ihr heute wirklich aufbrechen? In Eurem Zustand werdet Ihr Wien nicht lebend erreichen.«
»Ich habe Euch doch gesagt, dass ich dringend dorthin muss. Ich habe eine sehr wichtige Nachricht für den Kaiser. In Prag gab es einen Aufstand und er muss so schnell wie möglich davon erfahren. Ich kann nicht länger bleiben.«
»Werdet Ihr später nach Prag zurückkehren?«
»Ich habe es vor.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Ich weiß es nicht genau. Eine Woche vielleicht. Höchstens zehn Tage.«
»Dann werde ich Euch begleiten.«
»Ihr werdet was?« Philipp sah Magdalena überrascht an. Er hatte damit gerechnet, von ihr weitere Vorträge zu hören, dass er so krank nicht weiterreisen konnte, nicht aber mit diesem Vorschlag.
»Ihr müsst heute weiter. Das verstehe ich. Allein werdet Ihr Euer Ziel aber nicht erreichen.«
»Der Kutscher ist bei mir.«
»Er wird sich nicht um Euch kümmern können. Ihr habt die Wahl. Entweder bleibt Ihr hier, oder ich komme mit.«
»Das wollt Ihr wirklich tun?« Noch immer war Philipp von Magdalenas Vorschlag völlig überrascht. Auch wunderte er sich darüber, wie selbstsicher die junge Frau ihm gegenüber auftrat. Offensichtlich wusste sie genau, was sie wollte.
»Ja. Natürlich mache ich das nicht umsonst. Pro Tag, an dem wir unterwegs sind, zahlt Ihr meinem Vater einen Taler. Die ersten sieben bekommt er im Voraus.«
Ach daher weht der Wind, dachte Philipp und lächelte Magdalena an. »Wie kommt Ihr darauf, dass ich so viel Geld habe?«
»An Eurer Kleidung kann man erkennen, dass Ihr nicht arm seid. Auch wenn die Sachen in einem erbärmlichen Zustand sind, müssen sie einmal teuer gewesen sein. Wenn Ihr so ohne Weiteres beim Kaiser vorgelassen werdet, bekleidet Ihr sicher ein hohes Amt.«
Dumm ist sie nicht. Philipp musste zugeben, dass ihm der Gedanke, die weitere Reise gemeinsam mit Magdalena anzutreten, durchaus gefiel. »Was wird Euer Vater dazu sagen?«
»Er ist einverstanden. Wir brauchen das Geld.«
»Ihr habt also bereits mit ihm gesprochen.«
»Ja. Ich wusste, dass ich Euch nicht würde überzeugen können, noch eine weitere Nacht hierzubleiben.«
Wieder musste Philipp anerkennen, dass Magdalena sehr genau wusste, was sie wollte. Natürlich ging es ihrer Familie zunächst um die Bezahlung. Er konnte sich gut vorstellen, wie schwer es sein musste, mit den Einnahmen aus dem Wirtshaus zu leben. Es kamen sicher weniger Gäste hierher, als Magdalena zugegeben hatte. Den geforderten Preis konnte er bezahlen. Später würde er das Geld von Slavata oder Martinitz zurückverlangen.
»Könnt Ihr mir dann jetzt bitte meine Sachen holen?«
Magdalena musste lachen. Sofort verliebte sich Philipp in den Klang. Er würde alles daran setzen, die junge Frau während der nächsten Tage für sich zu gewinnen. Der Weg nach Wien war weit, und er war fest entschlossen, die Zeit zu nutzen.
Eine Stunde später saßen Philipp und Magdalena in der Küche. Die Wirtsleute hatten dem Sekretär noch ein reichhaltiges Frühstück aufgetischt, von dem er allerdings nicht viel essen konnte. Jakub Lava hatte sich von dem Sekretär die sieben Taler auszahlen lassen und ihn eindringlich gewarnt, gut auf seine Tochter aufzupassen. Philipp hatte dem Mann versichert, dass seiner Tochter nichts geschehen