You for Future. Günther Wessel

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You for Future - Günther Wessel

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den eigenen Augen zu ertrinken droht. Und wenn man dann gehandelt hat, kommt es einem komisch vor, dass man überhaupt darüber hätte nachdenken können, so normal erscheint es einem. Man kann sich selbst motivieren, etwas zu tun, man kann auch sofort etwas tun – und daraus entwickelt sich dann eine zusätzliche Motivation. Ich helfe nicht, um mich gut zu fühlen, aber ich fühle mich gut, wenn ich jemandem geholfen habe.

      Frage dich, was du in dieser Gesellschaft anders haben möchtest. Was sich ändern sollte, wo dein Leben nicht mit dem übereinstimmt, wie es deiner Meinung nach sein sollte. Du bist der Experte für dich selbst. Findest du die Schule gut – so, wie sie ist? Ist es fair, dass es manchen Kindern egal sein kann, wenn dauernd Unterricht ausfällt, weil ihre Eltern Nachhilfeunterricht bezahlen können? Ist es nicht überhaupt eine Katastrophe, dass dauernd Unterricht ausfällt (auch wenn es mitunter schön sein kann)? Ist es gerecht, dass ein Auto mit einer Person etwa zehnmal so viel Platz auf der Straße einnimmt wie ein Radfahrer? Dass Radfahrer und Fußgänger den Autos ständig Vorrang gewähren müssen? Dass die Ampel eine Minute Grün für Autos zeigt, aber nur 15 Sekunden für Fußgänger? Ist es okay, dass Bahnfahren teurer ist als Fliegen, obwohl es die Umwelt schont? Dass du mit 16 Jahren zwar Bier trinken, aber nicht wählen darfst? Dass Frauen im gleichen Job oft weniger verdienen als Männer? Dass Männer eher Karriere machen? Dass manche Menschen 1.000-mal so viel verdienen wie andere – oder sogar noch mehr? Dass die einen viel erben, die anderen für wenig Geld viel arbeiten? Ist es gut, wie Nutztiere gehalten und geschlachtet werden? Und warum zahlen manche Unternehmen trotz riesiger Gewinne keine oder lächerlich wenig Steuern?

      Du siehst, es gibt viele Fragen, und wenn man einmal anfängt, welche zu stellen, fallen einem sofort weitere ein. Kein Grund zu verzweifeln – such dir eine aus, die dich am meisten interessiert und bei der du denkst, dass du am meisten bewegen kannst. Und lass dir dann nicht reinreden, diese Frage, dieses Thema sei im Vergleich zu anderen unwichtig – das ist es nämlich nicht, es ist DIR wichtig. Und da kann es auch um den Sportverein gehen. Auch dort kann man sich engagieren.

      So, und jetzt widersprechen wir uns direkt selbst: Es gibt natürlich Themen, die wichtiger sind als andere. Klimaschutz ist eines, Demokratieverteidigung ein anderes, Rassismus ein drittes. Denn das sind eben Überlebensfragen. Für uns und unser Miteinander. (Das soll dich aber bitte nicht davon abhalten, dich im Sportverein zu engagieren!)

      Engagement ist mitunter mühsam, es verleiht aber auch Kraft. Franziska:

      „Wenn man mir vor einem Jahr erzählt hätte, dass ich heute Demonstrationen mit Hunderttausenden Menschen organisiere, hätte ich nur gestaunt und gesagt: Ich doch nicht! Ich hätte gar nicht gewusst, was ich da hätte machen sollen. Heute tue ich es einfach. Und ich weiß, dass ich etwas bewirke. Das ist toll. Es ist überwältigend!“

      Selbstermächtigung heißt der Fachausdruck dafür. Man erlebt sich selbst als jemanden, der eine Veränderung seines eigenen Lebens bewirken kann – ein wirklich tolles Gefühl. Man ist dann keine Marionette mehr, deren Fäden jemand anders in der Hand hat. Man hält selbst die Fäden, gibt sie nicht mehr her und bestimmt, was man tut.

      Denn du bist der Fachmann, die Fachfrau für deine Interessen. Und du hast ein Recht dazu. Solange deine Forderung sehr vage und unbestimmt ist und du sie nicht als Anspruch formulierst, sondern nur sagst: „Irgendwie finde ich das nicht gut“, dann ist das zwar ein erster Schritt, aber man kann dich und deine Idee sehr leicht beiseiteschieben. In dem Moment, wo du aber sagst: „Ich will das“, oder gar sagst: „Ich habe ein Recht darauf“, wird es schwieriger.

      Dabei sollte man sich auch nicht davon irritieren lassen, dass es vielleicht kein explizit festgeschriebenes Recht ist: Rechtsbegriffe ändern sich schließlich. Als sich die Afroamerikanerin Rosa Parks am 1. Dezember 1955 weigerte, ihren Platz im Bus zu räumen, verstieß sie gegen geltendes Recht.

      Rosa Parks (1913-2005) lebte in Montgomery, Alabama, einem US-Bundesstaat, in dem die Rassentrennung damals sehr ausgeprägt war. In den Bussen gab es vorn Sitzplätze für Weiße und im hinteren Teil Sitzplätze für Afroamerikaner. Einige Reihen in der Mitte durften von beiden genutzt werden. Allerdings mussten Afroamerikaner die gesamte Reihe räumen, wenn nur ein einziger Weißer in einer dieser Reihen sitzen wollte. Als nun ein Weißer verlangte, dass die Afroamerikaner ihre Plätze räumten, weil er in der Reihe sitzen wollte, standen alle auf – nur Rosa Parks weigerte sich.

      Sie wurde wegen Störung der öffentlichen Ruhe verhaftet und verurteilt. Doch gleichzeitig war ihr mutiges Verhalten Ausgangspunkt einer großen Kampagne, die der Bürgerrechtler Martin Luther King organisierte. Die Afroamerikaner forderten ihre Rechte ein: Sie boykottierten den Busbetrieb, bis schließlich die Rassentrennung in Bussen und Bahnen aufgehoben wurde. Es war der Auftakt für die große Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner in den 1960er-Jahren.

      Und so, wie sich damals Rechtsbegriffe änderten (die Rassentrennung ist heute aufgehoben), so ändern sie sich auch heute noch. Inzwischen gibt es zum Beispiel Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, die im Auftrag von Mandanten und Mandantinnen versuchen, den Klimaschutz einzuklagen, weil die bislang bestehenden gesetzlichen Vorgaben nicht ausreichen. Grundlagen dafür sind bestimmte Paragrafen des Grundgesetzes oder der Europäischen Grundrechtecharta. Diese Rechtsauffassung wird nicht von allen Juristen und Juristinnen geteilt, aber sie ist doch gut begründbar. Und setzt sich vielleicht und hoffentlich auch irgendwann durch.

      Am 10. Dezember 1948 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet. 30 Artikel, der erste lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ Der zweite beschreibt ihre universelle Gültigkeit, dass jeder Mensch Anspruch auf diese Rechte habe, unabhängig von „Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“.

      Liest man die 30 Artikel (man findet sie problemlos im Internet), wird schnell deutlich, dass sie eine prima Richtschnur für das eigene Handeln, das Sich-Einmischen in Politik, das Verbessern unserer Gesellschaft sind. Mit ihnen als Grundlage kann man wenig falsch machen.

      Man muss bloß wollen. Sich einmischen, die Welt verändern wollen. Auch wenn es unbequem ist und nicht immer gern gesehen wird. Der Sozialwissenschaftler Harald Welzer sagt in einem Interview mit dem Magazin Galore im Frühjahr 2019, dass „Weltverbesserer“ heute eher ein Schimpfwort ist, ähnlich wie „Gutmensch“. Und weiter:

      „Leute, die guten Willens und bereit sind, etwas zu tun, müssen sich ständig dafür rechtfertigen. Wenn Sie jetzt also verkünden würden: ‚Hey, ich will die Welt verbessern, wer macht mit?‘ Dann entgegnet jeder: ‚Du hast doch nicht alle Tassen im Schrank.‘ Die Welt zu verbessern oder ein guter Mensch zu sein – das hat beides einen schlechten Ruf.“

      Das ist doch eigentlich ziemlich furchtbar. Es wäre doch besser, wenn wir alle die Gesellschaft verbessern wollten, oder? Wenn wir nicht so frustriert wären, nicht so zynisch oder abgeklärt. Wenn wir den Mut hätten, die Welt zu verändern, eigene Vorstellungen wahr werden zu lassen, statt Witze über die zu machen, die genau diese Energie besitzen. Alles scheint oft so beliebig oder egal. Vielleicht, weil wir zu oft glauben, dass sowieso nichts veränder- und verbesserbar ist, weil wir zu oft gehört

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