Cannabis und Cannabinoide. Franjo Grotenhermen
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„Zusammenfassen kann festgestellt werden, dass bereits jetzt Arzneimittel mit den Cannabiswirkstoffen Dronabinol und Nabilon auf ärztliche Verschreibung zur Verfügung gestellt werden können. Die Bereitstellung von Arzneimitteln mit standardisiertem Cannabisextrakt wird vorbereitet. Somit besteht für die arzneiliche Anwendung von ungeprüften Cannabisprodukten auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 BtMG kein Bedarf mehr, auch wenn es im Einzelfall nachvollziehbar ist, dass schwerkranke Patienten diesen Wunsch äußern. Es ist jedenfalls nicht gewünscht, dass diese Menschen strafrechtlich verfolgt werden.“ (ACM-Mitteilungen 2017)
3.2.7 1999–2002: THC Pharm und Bionorica stellen Dronabinol zur Abgabe durch Apotheken her
Die Bock-Apotheke in Frankfurt am Main bot seit Januar 1999 Dronabinol/THC für etwa ein Viertel des Preises an, der in deutschen Apotheken für das US-amerikanische Dronabinol-Präparat Marinol® gezahlt werden musste. Dronabinol wurde in der Apotheke in Zusammenarbeit mit der Firma THC Pharm hergestellt und konnte so als apothekenübliche Rezeptur abgegeben werden. Im Juli 2000 hat das Unternehmen die Erlaubnis erhalten, andere Apotheken in Deutschland mit Dronabinol zu beliefern. Zunächst betrug der Preis 1.200 DM pro 1.000 mg. THC wurde zunächst halbsynthetisch durch Isomerisierung aus Cannabidiol (CBD), das aus Faserhanf extrahiert wurde, gewonnen.
Die Cannabinoidsparte der Bionorica AG (Neumarkt) beliefert seit 2002 ebenfalls Apotheken mit Dronabinol, die daraus nach entsprechenden Rezepturvorschriften des deutschen Apothekerverbandes Medikamente (Kapseln, Tropflösungen) herstellen können. Die Konkurrenz führte zu Preissenkungen für Dronabinol. Diese Sparte gehört heute zum internationalen Unternehmen Canopy Growth.
3.2.8 2001: Vorschlag der ACM zur Straffreiheit von Cannabispatienten
Die Vorstandsvorsitzenden der ACM e.V. und der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM) haben am 24 Juni 2001 alle Bundestagsabgeordneten angeschrieben und gebeten, sich für einen neuen Paragrafen im Betäubungsmittelgesetz, einen § 31b, einzusetzen, der es Richtern und Staatsanwälten ermöglichen würde, bei medizinischer Verwendung sonst illegaler Cannabisprodukte in Analogie zum § 31a BtMG unter bestimmten Bedingungen von der Strafverfolgung abzusehen, da auch bei der medizinischen Verwendung von Cannabis von einer geringen Schuld, wenn überhaupt, ausgegangen werden kann und zudem kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.
§ 31a BtMG: Absehen von der Verfolgung
(1) Hat das Verfahren ein Vergehen nach § 29 Abs. 1, 2 oder 4 zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt. (…) (Betäubungsmittelgesetz, Stand: 30. Oktober 2018)
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hatte in einem Antwortschreiben die Ablehnung des Vorschlags zum Ausdruck gebracht. Es wurde darin betont, dass als Arzneimittel nur Stoffe definierter Qualität Verwendung finden sollten und daher keine gesetzlichen Ausnahmegenehmigungen für die Verwendung sonst illegaler Cannabisprodukte geschaffen werden sollten. Daher komme eine solche Gesetzesänderung für das Bundesgesundheitsministerium „nicht in Betracht“. Unterstützung für den Vorschlag kam hingegen aus den Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS. Auch einige Länderjustizminister nahmen den Vorschlag wohlwollend auf. Justizminister Prof. Christian Pfeiffer aus Niedersachsen fand ihn sogar nicht weitgehend genug.
3.2.9 2003: erster Freispruch eines Patienten aufgrund eines rechtfertigenden Notstands
Am 27. November 2003 erhielt Michael Große aus Berlin, der an einem Morbus Crohn litt, die richterliche Erlaubnis zum Anbau und zur Verwendung von Cannabis. Richter Michael Zimmermann vom Amtsgericht Tiergarten in Berlin urteilte, dass sich der Angeklagte in einer Notstandslage befunden habe und die medizinische Verwendung von Cannabis daher gerechtfertigt sei (ACM-Mitteilungen 2017). Der Staatsanwalt verzichtete darauf, in Revision zu gehen. Damit durfte erstmals seit vielen Jahrzehnten ein Patient in Deutschland Cannabis zu medizinischen Zwecken anbauen und verwenden. In den folgenden Jahren folgten in verschiedenen Bundesländern weitere etwa 10 Freisprüche dieser Art.
Zuvor, am 15. Mai 2003 war erstmals ein Patient (Michael Fischer), der an multipler Sklerose litt, in Deutschland von einem Mannheimer Amtsgericht freigesprochen worden. Allerdings war der Staatsanwalt in Revision gegangen, sodass dieses Urteil noch nicht rechtskräftig war. Später wurde auch Michael Fischer nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe im Jahr 2004 freigesprochen.
3.2.10 2004: Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigt rechtfertigenden Notstand
Das Oberlandesgericht Karlsruhe urteilte, dass die Einnahme von Cannabis zur medikamentösen Behandlung aus Notstandsgesichtspunkten gerechtfertigt sein kann.
In einer Pressemitteilung schrieb das Oberlandesgericht:
„Dies hat heute der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe entschieden, jedoch an das Vorliegen einer Straffreiheit strenge Anforderungen geknüpft. Der 44-jährige Angeklagte leidet als Folge einer Mitte der 80er-Jahre bei ihm aufgetretenen Multiplen-Sklerose-Erkrankung an einer Ataxie, welche zu einer Störung seiner Grob- und Feinmotorik, seines freien Gangs, des Standes sowie des Sprachvermögens führt. Diese Ataxie ist nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nicht behandelbar. Zur Linderung seiner Beeinträchtigungen nimmt der Angeklagte seit 1987 Haschisch und Marihuana vornehmlich in Form von „Joints“ zu sich, wobei er u.a. Hanfstauden in einer Zwischendecke in seinem Wohnzimmer selbst aufgezogen hat. Wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – insgesamt wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung im Februar 2002 bei ihm 381,99 Gramm Marihuana sichergestellt – erhob die Staatsanwaltschaft Mannheim deshalb im Juli 2002 Anklage zum Amtsgericht Mannheim, welches den Angeklagten im Mai 2003 vom Vorwurf eines strafrechtlichen relevanten Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz freisprach. Nach Ansicht des Amtsgerichts hat sich der Angeklagte nicht strafbar gemacht.“
„Zwar sei der Besitz von Betäubungsmitteln nach dem BtMG verboten, der Angeklagte könne sich jedoch auf den Rechtfertigungsgrund des Notstandes (§ 34 StGB) berufen, weil die bei ihm vorliegende Ataxie nicht anders behandelbar sei und sein Interesse, ein annähernd erträgliches Dasein zu führen, die Belange des Staates am Verbot von Betäubungsmitteln überwiege.“ (Oberlandesgericht Karlsruhe 2004)
3.2.11 2005: Start der Hanfapotheke
Die Hanfapotheke startete im August 2005. In einer Veröffentlichung heißt es: „Die Hanfapotheke soll Schwerkranken helfen, Cannabis zu medizinischen Zwecken zu erhalten, denn die Betroffenen können nicht warten, bis die Politik akzeptable Lösungen findet, und auch die Ratschläge des Bundesverfassungsgerichts sind nicht realitätstauglich. Den Cannabis erhalten sie von anonymen Spendern, die den Betroffenen konkret helfen möchten. Die Hanfapotheke (www.hanfapotheke.org) startet im August 2005“ (ACM-Mitteilungen 2017). Die Hanfapotheke hat bis 2007 gearbeitet, bis erstmals eine Patientin eine Ausnahmeerlaubnis für die Verwendung von Cannabis durch die Bundesopiumstelle erhielt.