Formen der Verstörung. Lydia Davis

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Formen der Verstörung - Lydia  Davis

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die auch unablässig gelächelt hat, aber beide tun wir es eher aus Verlegenheit als aus guter Laune oder Mitgefühl. Ich werde kein Wort herauskriegen, nicht einmal glücklich werde ich sein, weil mir nach den Essensvorbereitungen die Kraft fehlen wird. Und wenn ich, mit dem Aus druck des Bedauerns wegen des ersten Gangs, der in der Schüssel wartet, die ich in Händen halte, zögere, die Küche zu verlassen und das Esszimmer zu betreten, und wenn sie, die in diesem Augenblick meine Verlegenheit spürt, zögert, aus dem Wohnzimmer und von der anderen Seite das Esszimmer zu betreten, ja, dann wird das schöne Zimmer während dieser langen Pause leer sein.

      Nun gut – einer kämpft eben bei Marathon, der andere in der Küche.

      Trotzdem: Ich habe jetzt meine Entscheidung fast das gesamte Menü be treffend gefällt und angefangen, unser Essen zuzubereiten, indem ich es mir in jeder kleinsten Einzelheit von Anfang bis zum Ende ausmale. Sinnlos und zähneklappernd wiederhole ich den folgenden Satz: »Dann laufen wir in den Wald.« Sinnlos, denn es gibt hier keinen Wald, und von Laufen kann ohnehin nicht die Rede sein.

      Ich glaube, sie wird kommen, aber mein Glaube wird von der gleichen Angst begleitet, die meinen Glauben immerzu begleitet, die Angst alles Glaubens seit jeher.

      Felice und ich waren zum Zeitpunkt dieses unseligen Abendessens nicht verlobt, obwohl wir uns drei Jahre davor verlobt hatten und uns eine Woche darauf wieder verloben sollten – wenn auch sicher nicht wegen dieses Essens, es sei denn Felices Mitgefühl wäre aufgrund der Vergeblichkeit meiner Anstrengungen, eine gute Buchweizen-Kascha, Kartoffelpuffer und Sauerbraten zu kochen, von neuem erwacht. Andererseits gibt es für unseren endgültigen Bruch mehr Erklärungen als tatsächlich nötig wären – das ist zwar lächerlich, aber gewisse Kenner der Materie meinen, dass selbst die Luft in dieser Stadt die Neigung zur Wankelmütigkeit verstärken könnte.

      Ich war ganz aus dem Häuschen, wie man’s eben immer ist, wenn etwas neu für einen ist, und natürlich hatte ich auch ein bisschen die Hosen voll. Ich hielt ein traditionelles deutsches oder tschechisches Essen für das Beste, auch wenn es für den Juli eher heavy war. Eine Zeit lang konnte ich mich nicht entschließen, selbst in meinen Träumen nicht. Irgendwann gab ich dann einfach auf und dachte daran, aus der Stadt wegzuziehen. Dann entschloss ich mich aber doch zu bleiben, freilich: wie ein Entschluss kam mir das einfache Auf-dem-Balkon-liegen-Bleiben nicht vor. Zu solchen Zeiten bin ich vor Unentschlossenheit wie gelähmt, und gleichzeitig klopfen die Gedanken in meinem Schädel wie verrückt – wie eine Libelle, die reglos in der Luft zu hängen scheint, mit ihren Flügeln aber wie toll gegen die stetige Brise ankämpft. Dann riss ich mich heraus, so wie ein fremder Mensch einen fremden Menschen aus dem Bett zerrt.

      Die Tatsache, dass ich das Essen sorgfältig plante, war wahrscheinlich bedeutungslos. Ich wollte etwas Bekömmliches kochen, weil sie zu Kräften kommen musste. Ich erinnere mich, dass ich frühmorgens die Champignons suchte und zwischen Bäumen herumkroch – direkt unter den Blicken zweier ältlicher Schwestern, denen ich oder mein Korb zutiefst missfiel. Oder vielleicht missfiel ich ihnen auch deshalb, weil ich im Wald einen guten Anzug trug. Aber ihr Beifall hätte auch keinen Unterschied gemacht.

      Als die Stunde dann da war, fürchtete ich kurz, dass sie nicht kommen würde, anstatt – wozu mehr Anlass bestand – zu fürchten, dass sie tatsächlich kommen könnte. Zunächst hatte sie gesagt, sie würde vielleicht nicht kommen. Seltsam, dass sie das getan hat. Ich kam mir vor wie ein Laufbursch, der nicht mehr laufen kann, sich aber immer noch auf irgendeine Anstellung Hoffnungen machte.

      Genau so wie ein sehr kleines Tier, das auf dem Waldboden unter Blättern und Zweigen aus Angst einen Riesenlärm und einen Mordswirbel macht und zu seinem Loch eilt, oder sogar wenn es keine Angst hat, sondern bloß Nüsse sucht, so dass man meinen könnte, ein Bär würde gleich auf die Lichtung hinaus preschen, während es sich doch bloß um eine Maus handelt – das entsprach genau meinem Gefühlszustand: so klein und doch so laut. Ich bat sie, komm doch bitte nicht zum Essen, aber dann sagte ich, sie solle doch bitte nicht auf mich hören, sondern trotzdem kommen. Unsere Worte sind so oft die irgendeines unbekannten Wesens, eines Alien. Ich glaube keinen Reden mehr, noch in der schönsten ist ein Wurm.

      Einmal, als wir zusammen in einem Restaurant zu Abend aßen, schämte ich mich wegen des Essens so sehr, als hätte ich es selbst gekocht. Der erste Gang verdarb uns den Appetit für alles Weitere, selbst wenn es essenswert gewesen wäre: fette, weiße Leberknödel, die in einer dünnen, mit Fettaugen gesprenkelten Brühe schwammen. Das war zweifellos ein deutsches Gericht, eher jedenfalls als ein tschechisches. Aber weshalb auch sollte es etwas Komplizierteres zwischen uns geben als still nebeneinander in einem Park zu sitzen und einem Kolibri zuzuschauen, der von den Petunien in die Krone einer Birke aufsteigt, um darin auszuruhn?

      Am Abend unseres Essens sagte ich mir, dass ich, sollte sie nicht kommen, die Leere der Wohnung genießen wollte, denn wenn es für das Leben selbst notwendig ist, allein in einem Zimmer zu sein, so ist es für das Glück notwendig, allein in einer Wohnung zu sein. Man hatte mir die Wohnung für diesen Anlass leihweise überlassen. Aber ich hatte das Glück der leeren Wohnung noch nicht ausgekostet. Es ist vielleicht gar nicht die Leere der Wohnung, die mir so gut tut, oder nicht hauptsächlich sie, sondern der Besitz zweier Wohnungen überhaupt. Sie kam dann aber doch, wenn auch verspätet. Sie erklärte mir, sie habe sich verspätet, weil sie mit einem Mann hatte sprechen wollen und warten musste, der seinerseits schon ungeduldig auf das Ende einer Debatte um die Eröffnung eines neuen Kabaretts wartete. Ich glaubte ihr nicht.

      Als sie zur Tür hereinkam, war ich beinahe enttäuscht. Sie wäre so viel glücklicher gewesen, hätte sie mit einem anderen Mann zu Abend gegessen. Sie hatte mir eigentlich eine Blume bringen wollen, erschien aber ohne. Und doch erfüllte mich, allein weil ich mit ihr zusammen war, eine solche Glückseligkeit – wegen ihrer Liebe und ihrer Freundlichkeit, die so hell und heiter war wie das Summen einer Fliege auf dem Zweig einer Linde.

      Obwohl wir uns unbehaglich fühlten, machten wir mit Essen weiter. Als ich in die leere Schüssel starrte, klagte ich über meine Schwäche, klagte ich über das Geborenwerden, klagte ich über das Licht der Sonne. Wir aßen etwas, das leidigerweise nicht von unseren Tellern verschwinden wollte, es sei denn, wir schluckten es. Ich war gerührt und zugleich beschämt, glücklich und zugleich traurig, weil sie offensichtlich mit Genuss aß – beschämt und traurig einzig deshalb, weil ich ihr nichts Besseres zu bieten hatte, gerührt und glücklich, weil offenbar genügend da war, zumindest dieses eine Mal. Es war bloß die gütige und liebenswerte Art, mit der sie jede einzelne Speise dieses Menüs verzehrte, und die Feinfühligkeit ihrer Komplimente, die ihm Wert verliehen – es war nämlich grottenschlecht. Sie hätte an seiner Stelle wirklich irgendsowas wie gebackene Scholle oder Fasanenbrust mit Fruchteis und Obst aus Spanien verdient. Hätte ich ihr denn nicht so etwas auftischen können?

      Und als ihre Komplimente zögerlicher wurden, wurde die Sprache selbst für sie geschmeidig und schöner, als man mit Recht erwarten durfte. Hätte ein ahnungsloser Fremder Felice reden gehört, hätte er gedacht: Was für ein Mann! Er muss Berge versetzt haben! – und dabei tat ich nichts, als die Kascha nach Ottlas Anweisungen zuzubereiten. Ich hoffte, dass sie, nachdem sie gegangen war, einen Platz finden würde, irgendwo in einem Garten im Halbschatten, in dem sie sich in einen Liegestuhl legen und ausruhen konnte. Was mich betrifft: Dieser Krug war zerbrochen – schon lange ehe er zum Brunnen ging.

      Und dann noch dieser Vorfall. Erst als ihre Füße direkt vor meinen Augen waren, wurde mir bewusst, dass ich kniete. Überall auf dem Teppich waren Schnecken, und überall roch es nach Knoblauch.

      Kann sein, dass wir uns trotzdem gleich nach dem Essen am Tisch an die Lösung kniffliger arithmetischer Aufgaben machten – ich erinnere mich nicht, kurze Additionen und dann lange, während ich zum Fenster hinaus und zum Gebäude auf der anderen Straßenseite hinüberschaute. Vielleicht hätten wir auch zusammen Musik gemacht, aber ich bin unmusikalisch.

      Unsere Unterhaltung war stockend und holprig. In meiner Nervosität

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