Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln. Udo Hinnerkopf

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Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln - Udo Hinnerkopf

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Trinken und kleine Schiffsreparaturen. »Marinas meiden wir und zum Essen gehen wir auch nicht – das ist uns zu teuer.« Sie hätten genug Wein an Bord und jede Art von Küchengenüssen, die sie sich selbst zubereiteten. Gibraltar hatten sie nur angelaufen, um preiswerten Diesel zu tanken. Für Reparaturen war ein größerer Betrag auf dem Konto zuhause angespart, das wollten sie aber nur im Notfall angreifen. Sie ankerten lieber irgendwo, das kostet nichts. »Das Leben kann so einfach und trotzdem wunderschön sein«, meinte Simone.

      Freilich gebe es Leute, die überhaupt nicht verstanden hätten, was sie da machten: »Alles aufgeben, und so. Gut, unsere Eltern schon, aber die meisten Kollegen nicht. Obwohl einige sicher heimlich davon träumten … aber meine Frau … hm«, Simone lachte. »Andere wollten wissen, was wir den ganzen Tag auf dem kleinen Boot anstellen? Und wieder andere hatten Angst davor, alles aufzugeben und dann später nicht mehr zurückzukönnen. Wir machen uns darüber keine Gedanken«, erklärte Lars. »Wir haben unsere Musikinstrumente dabei und spielen schon mal, wenn wir Lust haben – auch auf einer Pier oder in einer einsamen Bucht. Das macht immer viel Spaß.«

      Natürlich werde irgendwann damit Schluss sein, gab Simone zu. Okay, zurück in die Kälte! Lars lachte. »Ein paar Jahre malochen wir, dann ziehen wir wieder los – vielleicht mit einem größeren Boot, mit dem wir auch über den Atlantik kommen.« Simone sei die treibende Kraft.

      »Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr so viel über alles nachdenke. Vielleicht werden wir mit der Zeit oberflächlicher, kümmern uns nur um uns selbst und den heutigen Tag, und weniger um die Welt. Es stimmt schon, manchmal sind wir ganz mit uns selbst beschäftigt. Aber ich spüre auch wie gut mir, wie gut uns, das tut«, sinnierte Simone und Lars ergänzte: »Es gibt so viele Probleme auf der Welt, trotzdem lassen wir es uns hier in unserer kleinen Blase so ein bisschen egoistisch wohl ergehen.« Er schüttelte den Kopf. »Trotzdem: Segeln ist wichtig für uns – wir werden immer ein Boot haben.« Simone nickte mit glänzenden Augen.

      07. Columbus

      Zwei Tage später verabschiedeten sich die beiden und ich musste mit Pandarea den Platz wechseln. Nach einigem hin und her lag ich längsseits neben Columbus, die bereits einige Wochen an der Hafenpier vermurt war. Um an Land zu kommen, mussten Ursula und ich über das hohe Schanzkleid des ehemaligen Fischkutters klettern, das gut sechs Meter breite Deck überwinden und dann hinunter auf die Pier springen.

      Die Columbus war ein Kriegsfischkutter (KFK), 1944 in Swinemünde aus massiver Eiche als Minensucher gebaut, knapp 25 Meter lang, 6,30 breit und 3 Meter tief. Sie hatte einen 180 PS Diesel im Bauch und fuhr damit 28 Jahre brav zum Fischefangen auf der Ostsee. 1972 kaufte Heinz das Schiff für 30.000 DM, übernahm den Namen und alles was an Deck und innen drin noch so rumlag und überführte das Schiff nach Bremerhaven. Dort begann er mit dem Umbau.

      Der ehemalige Fischkutter Columbus

      Sein Traum war, ins Chartergeschäft einzusteigen und auf dem Schiff zu leben. »Charter«, sagte er, »da wachsen die Bäume noch in den Himmel.« Mit von der Partie war Bryan, ein Schotte aus Aberdeen. Gemeinsam fingen die Freunde an, alles rauszureißen – ein Fischkutter stinkt nun mal nach Fisch – und von innen nach außen neu auf- und umzubauen. Nur Rumpf, Deck und Maschine blieben. Heinz war da unerbittlich. Was er anpackte, machte er gründlich. Er hatte auch die größere Erfahrung und den größeren Ehrgeiz. Er war schon um die halbe Welt gesegelt. Fast siebzigtausend D-Mark steckten sie in den Bau. Nicht auf einmal, drei Jahre dauerte das, die Eigenarbeit nicht mit eingerechnet. Im Herbst des dritten Jahres waren sie fertig.

      Eine schöne Ketsch lag an der Pier, von dem groben Fischerkutter war nicht mehr viel zu sehen und zu riechen. Weiß wie ein Schwan, mit einem blauen Band um den Rumpf, langem Bugspriet, kräftigem Rigg und komfortabler Einrichtung. Die beiden Freunde hatten auf vieles verzichtet und auch die Freundschaft hatte einiges aushalten müssen. Aber das fertige Schiff entschädigte sie – zunächst. Im Oktober segelten sie durch die Biskaya nach Gibraltar.

      Dort scheiterte das Unternehmen. Nicht an Klippen und Riffen. Sondern an den menschlichen Schwächen der beiden Unternehmer. Eine kleine Meinungsverschiedenheit ließ den Funken überspringen. Das Pulverfass stand dicht dabei, bis obenhin vollgestopft mit Versäumnissen, Ärgernissen, Sticheleien und Herabsetzungen. Die hatten sie lange ausgehalten und runtergeschluckt, dem gemeinsamen Traum zuliebe. Doch nun explodierte das Fass. Bryan, jähzornig und nicht gerade zimperlich, griff sich die größte Pfanne aus der Pantry und haute sie Heinz auf den Kopf. Dann rannte er in die »Waffenkammer«, packte die Schrotflinte und schrie: »I kill the bastard!«

      Heinz floh mit einer dicken Beule am Kopf, erwischte draußen einen Bobby, ließ sich in Schutzhaft nehmen – und überlebte. Am nächsten Tag kam Bryan mit einer weißen Fahne an. Sie konnten sich arrangieren. Doch die Freundschaft war dahin. Drei Jahre gemeinsame Arbeit, gemeinsamer Traum … und dann solch ein Ende.

      Ein trauriger Winter begann. Sie lebten weiterhin zusammen auf dem Schiff, einer im Bug, der andere achtern. Und gingen sich aus dem Weg.

      Anzeigen wurden aufgegeben, Schiffsmakler kamen, die Columbus lag zum Verkauf an der Pier. Mitte Juli tauchte ein Holländer auf, den Sack voller Geld. Der träumte von einem besseren Leben in der Karibik und kaufte die Columbus. Heinz und Bryan teilten fifty-fifty und trennten sich.

      Mitseglerin Ursula und ich erlebten den Eignerwechsel aus nächster Nähe. Schwarz-rot-gold sank (das Schiff war auf Heinz’ Namen zugelassen) und die neue Flagge Blau-weiß-rot-Karo mit zwei Sternchen (Panama) stieg empor. Steuerparadies – na bitte!

      Zur Zeit der Übergabe kannten wir Heinz noch nicht, lernten ihn aber kurz darauf als einen hilfsbereiten Menschen kennen. Auf der Suche nach seinem nächsten Schiff trafen wir ihn und Gitta, seine blonde Freundin, im Hafen von Estepona, dem ersten spanischen Port of Entry nach Gibraltar. Sie waren mit einem umgebauten englischen Krankenauto als Wohnmobil unterwegs und kutschierten damit durch Südspanien – auf der Suche nach einem neuen, alten Schiff. Mit sich selbst war Heinz im Reinen »Es ist besser so«, sagte er und schmunzelte. »Partnerschaft und Schiff, das geht nur mit Gitta gut, und mit sonst niemand.«

      Heinz und Gitta auf der Suche nach einem neuen Schiff

      Gitta saß lächelnd neben ihm. Sie gefiel uns nicht nur als sein blonder Engel, sondern auch als seine Stimme der Vernunft. »Wir werden wieder ein Schiff haben«, sagte sie mit fester Stimme, »ein großes natürlich, mit Partner, ja – mit mir!«, sie lachte laut auf. »Heinz hat schon ein Schmuckstück im Visier, eine alte englische Kutteryacht, über 20 Meter lang – mit Badewanne und Klavier …«

      Heinz grinste: »Man kommt schließlich in die Jahre, wo Komfort und Muse wichtig werden.«

      08. Estepona

       Aufgeschrieben von Ursula. Hier erzählt sie, wie wir beide Heinz und Gitta von der Columbus kennengelernt haben.

      Kurz vor der Hafeneinfahrt machte der Kapitän den Anker klar. Vor der Mole stand leichter Schwell, im Hafen selbst war das Wasser ruhig. Ein Blick in die Runde ließ uns rasch den geeigneten Anlegeplatz finden. Am äußersten Ende der Mole zwischen einem kleinen Fischerboot und einem robusten, bunt bemalten portugiesischen Flusssegler, auf dem, wie sich herausstellte, ein ebenso buntes Völkchen ein buntes Leben führte. Ich bekam noch ein paar kurze Anweisungen: Rückwärts, ganz langsam, in die Lücke!

      Inzwischen wusste ich, dass ich dabei die Pinne entgegengesetzt zur Vorwärtsfahrt halten musste. El Capitano stand am Bug, bereit zur letzten seemännischen Tat des Tages. Im rechten

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