Sand und Asche. Peter Gerdes

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Sand und Asche - Peter Gerdes

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Mein Gott, war sie noch ein Kind gewesen damals! Schon ein Vierteljahr später hätte sie sich in den Hintern beißen können. Und zum Halbjahr hatte sie ihrem Vater dann unmissverständlich klargemacht, dass das elfte Schuljahr ihr letztes sein würde. Unwiderruflich.

      Erstaunlicherweise hatte Daddy eingelenkt. Und diese Model-Sache auf den Tisch gebracht. »Spiel deine Stärken aus. Mach dir gleich einen Namen. Lerne den Betrieb von innen her kennen. Und dann steig mit ein, aber auf der Entscheiderebene.« So stellte Kay-Uwe Venema sich das vor.

      Kunststück, wenn einem die Firma gehört!

      Aber wie auch immer, eine Chance war eine Chance. Stephanie hatte zugegriffen. Und jetzt saß sie hier.

      Die Kids um sie herum – viele waren älter als Stephanie, trotzdem kamen sie ihr unglaublich unreif vor – hatten inzwischen das Thema gewechselt, gingen von den Zeugnissen zur anstehenden Abendunterhaltung über.

      »Bei Keno wird gegrillt heute Abend, da können wir später noch hin.«

      »Klasse. Hat er sturmfrei?«

      »Nee, aber open house, kein Problem da, kennst ja seine Alten. Musst nur was mitbringen.«

      »Logo. Paar Würstchen oder so.«

      Gelächter brandete auf. »Was?«, rief die Stimme von gerade irritiert. Stephanie konnte förmlich hören, wie der Junge rot anlief.

      »Würstchen, du Seppl!« Ein anderer Junge, einer mit Wortführer-Tonfall. »Wir reden hier von Schnappes! Wodka oder Bacardi, sonst läuft nichts bei Keno. Komm da ja nicht mit ’ner Packung Elefantenpimmel an.«

      »Elefanten… – was?«

      Wieder hämisches Lachen. Stephanie ergriff innerlich sofort Partei für den gehänselten Jungen. Verdammtes Mutter-Theresa-Syndrom.

      Ob sie Lust hätte, mit dieser Bande abends zu feiern? Abgesehen davon, dass das aus anderen Gründen überhaupt nicht in Frage kam? Das »Nein« kam reflexartig. War das etwa noch die alte Stephanie? Die kleine Brave, Daddys Liebling, die ewig auf Ausgleich Bedachte mit dem Eins-A-Sozialverhalten?

      Sie runzelte die Stirn und kniff die geschlossenen Augen zusammen. Nein, jetzt ging sie doch eindeutig zu weit. Das hatte Daddy nicht verdient. Er hatte immer zu ihr gestanden, da durfte sie ihn nicht verraten, jedenfalls nicht öfter als dieses eine Mal, in der Sache mit Lennert. Daddy zuliebe musste sie sich zusammenreißen und sich solche Gedanken verbieten. Sie musste …

      Musste sie?

      Unwillkürlich hatten sich ihre Arme um ihren Oberkörper geschlungen. So fest, dass sie ihre Schultergelenke knarren hören konnte. Und dass sie ihre Rippen durch Parka, Sweatshirt und Unterzeug hindurch spürte – war das immer schon so gewesen?

      Die Wunden schmerzten. Schnell ließ sie ihre Hände tiefer rutschen, in die Hüftgegend, dorthin, wo sie ihre Schwachstellen wusste. Fettschichten, Speckröllchen, kaum dass sie ihren Oberkörper um ein paar Grad aus der Senkrechten bog. Widerlich. Von wegen zu dünn für Konfektionsgröße 34! Blödsinn, sie wusste es besser. Hier lagen ihre wahren Aufgaben, hier galt es, Leistung zu bringen. Auch und vor allem für Daddy. Und das würde sie tun.

      Die Insel-Schüler redeten immer noch über Alkohol und darüber, in welchen Mengen sie ihn heute Abend zu vernichten gedachten. Ihren eigenen Worten nach waren sie sämtlich Hardcore-Trinker, für die Wein und Bier lächerlich und hochprozentige Getränke erst flaschenweise interessant waren. Alles Angeberei? Stephanie kannte ihre eigenen Schulkameraden. Angeberei sicher, aber bestimmt nicht alles. Fast alle tranken, und viele tranken viel zu viel. Einige würden dabei auf der Strecke bleiben, das war bereits absehbar. Hatten die eigentlich keine Eltern? Oder interessierte die das einen Dreck? Lebten die ihnen solch ein Leben womöglich vor?

      »Und was ist mit Dope?«

      »Was soll sein.« Wieder der Junge mit der Angeber-Stimme. »Kannste von ausgehen. Auf Maria Johanna ist Verlass.«

      Wieder das allgemeine Gelächter. Dass dieser altmodische Name für Marihuana immer noch in Gebrauch war! Stephanie staunte. Sonst war immer nur von Gras die Rede. Oder von Shit für die Shisha, also Haschisch für die Wasserpfeife. Drogen, die unter Schülern als völlig harmlos galten und in Ostfriesland fast so verbreitet waren wie im benachbarten Holland. Nur dass sie dort legal waren.

      »Woher weißte? Haste was dabei?«

      »Also echt. Für wie dumm hältst du mich?« Der Angeber gab sich Mühe, noch überlegener zu klingen, aber es gelang ihm nicht. Offenbar wusste er, wie weit er gehen durfte, was man einem wie ihm noch als Jugendsünde durchgehen lassen würde und was nicht. Außen Revoluzzer, innen Spießer. Die meisten waren doch so.

      »Und woher soll’s dann kommen?«, insistierte eins der Mädchen.

      »Woher wohl. Von Filius natürlich, dem Unkontrollierbaren!«

      Wieder dieses Insider-Lachen. Es gab also einen Insel-Dealer, stellte Stephanie fest. Überraschte sie das? Nicht wirklich. So ganz aus der Welt waren die ostfriesischen Inseln eben nicht.

      Tja, wieder eine Illusion beim Teufel. Stephanie kam sich unheimlich erwachsen vor und musste grinsen.

      Wieder wischten kalte Schatten über sie hinweg. Sie öffnete die Augen. Die Fähre hatte den Kurs gewechselt, die Hafenmolen lagen schon dicht voraus, die Mannschaft bereitete sich auf das Anlegemanöver vor. War das schnell gegangen! Noch schneller als in ihrer Erinnerung. Was, wenn ihr die Insel jetzt auch noch kleiner vorkam als vor zwei Jahren? Dann wurde sie wohl wirklich alt.

      Aber Langeoog war so groß wie immer, lang und von ihrem Blickpunkt aus vor allem in östlicher Richtung hingestreckt, mit Deichen, Dünen, Wäldchen, dem beachtlichen Ort mit seinen immerhin über zweitausend Einwohnern und vor allem diesem unendlichen Strand. Das meiste davon war natürlich vom Schiff aus überhaupt noch nicht zu sehen, aber ihr Gedächtnis projizierte ihr bei jeder Wendung des Kopfes problemlos die passenden Bilder ins Hirn. Und die dazugehörigen Gefühle.

      Sie musste sich vor zwei Jahren wohl in diese Insel verliebt haben. Komisch, dass ihr das jetzt erst bewusst wurde.

      Als Daddy ihr gestern seinen Plan unterbreitet hatte – Plan, nicht etwa Vorschlag – , da war sie noch alles andere als begeistert gewesen. Weder von der Aussicht, auf absehbare Zeit auf einer Insel ab- statt in die Modeszene einzutauchen, noch von der Art ihrer Unterbringung.

      »Du willst mich in eine Klapse stecken!?« Fassungslos hatte sie ihn angestarrt. Er hatte natürlich abgewiegelt. Hatte darauf verwiesen, dass psychologische Hilfestellung heutzutage doch zum guten Ton gehöre, für Manager ebenso wie für Leistungssportler, ja sogar für Lehrer, die sich ausgebrannt fühlten. Um am Ende dann doch die Katze aus dem Sack zu lassen: »Kind, du bist wirklich viel zu dünn. Lass dir doch helfen.« Außerdem gehöre die Kurklinik Waterkant schließlich ihm. Also bitte.

      Zu dünn. Helfen lassen. Ihm gehören.

      Gehörte denn eigentlich alles ihm? Auch sie selbst?

      Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf, eine Bewegung, die im allgemeinen Aufstehen und Treppabdrängeln unbemerkt blieb. Stephanie ließ sich vom Strom der Touristen und heimkehrenden Insulaner mitziehen.

      »Also heute Abend dann bei Keno?«, fragte ein Mädchen, das unmittelbar vor ihr lief. Groß und schlank, fast so groß und so schlank wie sie selbst, mit kurzen brünetten Haaren und

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