Der Hammermord am Hansering. Bernd Kaufholz
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Doch Leutnant Müller meint: „Vielleich ist er bloß mal austreten.“
Die Toiletten werden durchsucht, aber von Kramer keine Spur. Inzwischen ist das halbe VPKA auf den Beinen. Doch der Erfolg der Suche ist gleich null. „Wir geben eine Fahndung raus“, ordnet der Leutnant an.
Ein paar Stunden später wird der 63-Jährige auch tatsächlich von einer Streife entdeckt. Er ist gerade dabei, sich im Garten einen Strick um den Hals zu legen. Da strahlen ihn plötzlich mehrere Taschenlampen an.
„Ich war am Grab meiner Frau“, begründet Kramer sein Weglaufen. „Ich habe ihr gesagt, Lieschen, ich habe nichts mit dem Verschwinden der Kleinen zu tun.“ Er habe ihr gesagt, dass er ihr nun „folgen und nachkommen“ werde. „Ich wollte mich umbringen, weil mir meine Nerven durchgegangen sind. Ich habe geglaubt, unschuldig verhaftet zu werden. Diese Schande hätte ich nicht ertragen.“ Als er durch den kleinen Fichtenwald am Exerzierplatz gegangen sei, habe er ein Seil gefunden und sei auf die Idee gekommen, sich zu erhängen. „Ich bin auf einen Baum geklettert und habe mich runterfallen lassen, aber der Strick ist beim ersten Versuch gerissen, und ich lag unten.“
Der Lebensmüde wird ins Polizeiamt zurückgebracht. Dort stellen die Ermittler am Hals des Mannes tatsächlich stricktypische Strangulationsmarken fest.
Kramer sitzt erneut auf dem Zeugenstuhl. Wieder und wieder beteuert er, nichts mit der Vermisstensache zu tun zu haben, und er beschwört, dass die Suizidversuche kein Schuldeingeständnis waren, sondern er vor Angst nicht mehr gewusst habe, was er tat.
Ganz klar die Unwahrheit sagt er, als er zu Protokoll gibt, dass ihm zwei VP-Angehörige erlaubt hätten, nach Hause zu gehen. Oberleutnant Fahrenkampf schreibt in seinem Bericht: „Obwohl sich Kramer durch seinen Selbstmordversuch verdächtig 17gemacht hat, musste von einer Inhaftierung Abstand genommen werden, da keinerlei Beweise vorlagen, dass er als Täter infrage kommen könnte.“
Otto Lutz* hatte am Nachmittag des 23. September in einer Schonung Futter, sogenanntes Schweinekraut, gesucht. Gegen 17.30 Uhr war er zurück in Großkühnau. „Als ich mit dem Rad nach Hause fuhr und an der Pappelallee vorbeikam, bemerkte ich hinter mir einen Mann auf dem Fahrrad. Ich fuhr langsamer. Es war der Kramer, der aus Richtung Elbe kam. An der Brücke am Kiesberg stieg er ab. Was weiter geschah, habe ich nicht gesehen.“
Kramers Flucht aus dem Vernehmungszimmer geht den Dessauer Kriminalisten nicht aus dem Sinn. Auch wenn keinerlei handfeste Beweis vorliegen, haben sie ein „Bauchgefühl“, dass der Rentner irgendwie in das spurlose Verschwinden Christels verwickelt ist. Am 25. September scheint die Kripo allerdings auf so etwas wie eine Mini-Spur zu stoßen. Und die hat mit der Bekleidung des Mannes zu tun. Kramer hatte am Abend des Tattags sein grün-schwarz kariertes Oberhemd und seine Hose ausgezogen und in die Waschküche gebracht, weil seine Tochter demnächst „große Wäsche“ machen wollte. Die Polizei hat Glück: Die Sachen liegen zwar bereits in einem großen Zuber, sind aber noch nicht eingeweicht. Auffällig am unteren vorderen Rand des Hemdes sind „verhärtete Flecken“, die Sperma sein könnten. Auch die lange Unterhose, die er am Leibe trägt und von der er behauptet, dass er sie auch am 23. September anhatte, weist nahe dem Schlitz ähnliche Flecken auf. Allerdings ergeben die kriminalbiologischen Untersuchungen später, dass die Sperma-Hypothese nicht aufrechterhalten werden kann.
Am 28. September meldet sich die Tochter Kramers beim zuständigen Bereichspolizisten. Die 39-Jährige teilt Oberwachtmeister Fesser mit, dass ihrem Vater am Morgen eingefallen sei, dass er am 23. September zwei sowjetischen Soldaten begegnet ist. „Er hat mir erzählt, dass sie ihm eine Uhr zum Kauf angeboten haben. Er habe ihnen aber gesagt, dass er kein Geld dabeihat, und sei weitergefahren.“
18Inzwischen hat sich die Polizei mit einer Öffentlichkeitsfahndung an die Bevölkerung gewandt. Die Personenbeschreibung der Vermissten wird in der Dessauer Lokalausgabe der „Freiheit“ veröffentlicht. Zusätzlich fahren Lautsprecherwagen der Polizei die Bereiche um Großkühnau ab und rufen die dort Wohnenden zur Mithilfe auf. Suchplakate hängen an Litfaßsäulen.
Am 30. September ist VP-Meister Wilhelm Matthei vom Außenposten der Wasserschutzpolizei Aken auf der Elbe unterwegs. Seit dem Verschwinden Christels ist er auf den Streifenfahrten besonders aufmerksam. Das Boot nähert sich dem Kilometer 171, als das geschulte Auge des Polizisten gegen 15.20 Uhr nahe dem linken Elbufer etwas im Wasser treiben sieht. Er verringert das Tempo des WS und nähert sich der Stelle. Als das Fahrzeug auf gleicher Höhe ist, gibt es für Matthei keinen Zweifel: Dort treibt ein totes Kind. Über Funk gibt er durch: „Genossen, ich habe hier, glaube ich, die vermisste Christel Kohnert gefunden.“
„Habe verstanden, Genosse Matthei“, so der Diensthabende im Dessauer Revier. „Nichts an der Leiche verändern und Maßnahmen ergreifen, dass der Körper nicht abtreibt.“
Wenig später sind Oberleutnant Fahrenkampf, Oberleutnant Wolter und Kriminaltechniker Leutnant Brecher von der Morduntersuchungskommission am Fundort, einem typischen Elbgelände, etwa sieben Kilometer von Großkühnau und sechs Kilometer von der Stelle entfernt, wo das Fahrrad gefunden wurde. Der Fundort ist das westliche Elbufer, etwa vier Buhnen oberhalb des Streckenkilometers 171. Der Ort Rietzmeck (Kreis Köthen) befindet sich rund 400 Meter von der Fundstelle entfernt. Die Leiche liegt in einem neunzig Meter langen Buhnenfeld, drei Meter vom Ufer entfernt auf einem Schlammpolster.
Der Kriminaltechniker hat die angegebene Bekleidung aus der Vermisstenanzeige im Kopf und erkennt sofort das dunkelblaue, leicht grünlich schimmernde Kleid mit dem kleinen Stehkragen und dem zehn Zentimeter großen Tuchstreifen am Saum. Auch die langen, braunen, maschinengestrickten Strümpfe decken sich mit den Angaben der Eltern. Dasselbe gilt 19für die „sandalenartigen braunen Halbschuhe“ von denen das Kind noch einen am linken Fuß hat.
Die tote Christel im Buhnenfeld der Elbe, etwa drei Meter vom Ufer entfernt
Feuerwehrleute lassen ein Schlauchboot zu Wasser. Von dort aus wird das 1,35 Meter große Kind in die Strömung gezogen „und dann freischwimmend an das Ufer transportiert“, wie es im „Fundortbefundsbericht“ heißt.
Die erste Besichtigung des Körpers findet in der Leichenhalle Köthen statt. Fahrenkampf notiert: „Keinerlei Beschädigungen am Kleid.“
Die Sektion der Leiche führt der hoch anerkannte österreich-deutsche Rechtsmediziner Prof. Dr. Otto Prokop durch, der später einen wichtigen und international beachteten Einfluss auf die forensische Medizin und die Forschungspolitik in der DDR haben wird. Der damals 38-Jährige, der 1959 das Institut für gerichtliche Medizin der Karl-Marx-Universität Leipzig leitet, stellt bereits bei der äußeren Betrachtung der Geschlechtsorgane massive „Einreißungen“ fest. Kratzspuren werden an den Oberschenkeln gefunden. Christel wurde brutal vergewaltigt.
Die Todesursache steht nicht hundertprozentig fest: „Eine mehr als daumengroße Unterblutung des Gewebes in Höhe 20des Schildknorpels“ wertet der Obduzent zwar typisch für ein Würgen. Allerdings war das Würgen sehr wahrscheinlich nicht die eigentliche Todesursache. Prokop findet „schaumige, hellgrau, bräunliche Flüssigkeit in der Mundhöhle, der Luftröhre und ihren Ästen“. Zudem weist er „Schwebeorganismen im Lungenpresssaft sowie Magen- und Zwölffingerdarminhalt“ nach. Christel hat möglicherweise noch gelebt, als sie ins Wasser geworfen wurde, und ist ertrunken. Der Rechtsmediziner schränkt jedoch ein, dass es auch Fälle gebe, bei denen erst nach dem Tode Schwebestoffe in die Leiche gelangen. Liege ein solcher Fall vor, sei die Todesursache Erwürgen.
Festgestellt