Die Lehren der Zeugen Jehovas. Lothar Gassmann

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Die Lehren der Zeugen Jehovas - Lothar Gassmann

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warum, und auf Grund welcher Schriftbeweise er glaubte, dass Christi Gegenwart und die Erntezeit des Evangeliumszeitalters im Herbst 1874 seinen Anfang genommen habe. Die Antwort zeigte, dass meine Vermutung richtig gewesen war, dass nämlich die Beweisgründe für die Zeit, die Chronologie usw. die gleichen waren, die die Adventisten im Jahre 1873 gebraucht hatten, und dass Mr. Barbour und Mr. J. H. Paton zu Michigan, sein Mitarbeiter, bis dahin voll und ganz Adventisten gewesen waren; als jedoch das Jahr 1874 vorüberging, ohne dass die Welt im Brande vernichtet wurde, und ohne dass sie Christum im Fleische sahen, waren sie für eine Zeitlang wie verstummt.“

      Russell berichtet dann, wie das Verstummtsein endete und er selber den entscheidenden Impuls für das Jahr 1874 empfing:

      „Es scheint, dass nicht lange nach ihrer Enttäuschung im Jahre 1874 ein Leser des ´Herold des Morgens`, der die Diaglott-Übersetzung besaß, darin etwas bemerkte, das ihm merkwürdig vorkam -, dass in Matthäus 24, 27. 37 und 39 das in der gewöhnlichen Übersetzung mit ´Kommen` wiedergegebene Wort mit ´Gegenwart` übersetzt worden war. Das war der Leitfaden; und indem sie ihm gefolgt waren, wurden sie durch die prophetische Zeit zu richtigen Ansichten hinsichtlich des Zweckes und der Art und Weise der Wiederkunft des Herrn geleitet. Ich, im Gegenteil, wurde zuerst zu richtigen Ansichten über den Zweck und die Art und Weise der Wiederkunft des Herrn geleitet, und danach zu der Prüfung der Zeit für diese Dinge, nach den Anhaltspunkten, die Gottes Wort dafür bot. So führt Gott seine Kinder oft von verschiedenen Ausgangspunkten zur Wahrheit.“

      Ob diese Prophezeiungen wirklich der Wahrheit entsprechen sollten – mit dieser Frage werden wir uns später (im Teil „Letzte Dinge“) beschäftigen. Aber schon an dieser Stelle soll gesagt werden, dass man gegen eine unsichtbare Gegenwart schwer argumentieren, geschweige denn sie widerlegen kann. Freilich lässt sie sich auch nicht schlüssig beweisen.

      Aufgrund der ihm bei Barbour und anderen begegnenden Berechnungen entwickelte Russell seine Ansicht von den Jahren 1874 und 1914. 1874 sei Christus unsichtbar wiedergekommen, um die Erntezeit einzuleiten und seine Gemeinde zu sammeln – und 1914 gehe diese Erntezeit zuende. Diese frühe Sicht bei dem Gründer der sich später „Zeugen Jehovas“ nennenden Gruppierung unterscheidet sich wesentlich von den späteren Berechnungen nach Russells Tod. Doch betrachten wir zunächst, welche Ereignisse Russell für das Jahr 1914 voraussagte. Ich zitiere aus seinem erstmals 1889 veröffentlichten Buch The Time Is At Hand (Die Zeit ist herbeigekommen), deutsche Ausgabe von 1913, S. 73 f.:

      „In diesem Kapitel liefern wir den biblischen Nachweis, dass das völlige Ende der Zeiten der Heiden (Nationen), d.i. das volle Ende ihrer Herrschaft, mit dem Jahre 1914 erreicht sein wird; und dass dieses Datum die äußerste Grenze der Herrschaft unvollkommener Menschen sein wird…

      Erstens, dass dann das Königreich Gottes, für welches unser Herr uns beten lehrte: ´Dein Reich komme`, volle und universelle, weltenweite, Herrschaft erreicht haben und ´aufgerichtet`, oder auf Erden festgegründet, sein wird.

      Zweitens beweist es, dass er, dem das Recht, diese Herrschaft an sich zu nehmen, gebührt, dann als der neue Herrscher der Erde gegenwärtig sein wird; und nicht nur dies, sondern auch, dass er einen beträchtlichen Zeitraum vor jenem Datum gegenwärtig sein wird, weil der Umsturz dieser nationalen Obrigkeiten direkt darauf zurückzuführen ist, dass er ´wie Töpfergeschirr sie zerschmettern` (Psa. 2:9; Offb. 2:27), und an ihrer Statt sein eigenes, gerechtes Regiment aufrichten wird.

      Drittens beweist es, dass etliche Zeit vor dem Ablauf von 1914 n. Chr. das letzte Glied der göttlich anerkannten Kirche (Herauswahl) Christi, das ´königliche Priestertum`, ´der Leib Christi`, mit dem Haupte verherrlicht sein wird…“

      Weitere Ereignisse, die nach Russells Ansicht 1914 eintreffen sollten, sind die Sammlung und geistliche Erneuerung Israels sowie der Höhepunkt der großen „Zeit der Drangsal“, die allerdings „an jenem Zeitpunkt enden wird; und dann werden die Menschen gelernt haben, stille zu sein und zu erkennen, dass Jehova Gott ist, und dass er auf Erden hoch erhöht werden wird“.

      Was ist davon im Jahre 1914 eingetroffen? Nichts – außer einer „Drangsal“ in Gestalt des Ersten Weltkrieges, die aber erst vier Jahre später endete und auch nicht mit der „großen Drangsal“ oder „Trübsal“ nach Matthäus 24,21 gleichgesetzt werden kann, denn nach dem Ersten Weltkrieg lief die Weltgeschichte wie gewohnt weiter. Die Sammlung der Juden hat Russell zwar vorausgeahnt (es gab ja seit längerem eine zionistische Bewegung, die darauf hin arbeitete und der Russell nahestand), aber sie traf keineswegs 1914 ein, sondern in den Jahren und Jahrzehnten darauf. Die geistliche Erneuerung Israels, seine Annahme Jesu als Messias, steht zum größten Teil auch heute noch aus. Was sich aber auf keinen Fall verwirklicht hat und doch von Russell und seinen Anhängern so glühend erwartet worden war, ist die Beendigung der Herrschaft der irdischen Nationen und die Aufrichtung des Reiches Jehovas auf Erden an deren Stelle. Von Russells Nachfolgern wurde diese Erwartung deshalb auf die Zeit nach 1914 verschoben, und das Jahr 1914 gilt nun nicht als Ende (wie bei Russell), sondern als Anfang der Erntezeit.

      Auffällig ist, dass mit dem Näherrücken des Jahres 1914 Russell selber mit seinen Voraussagen immer vorsichtiger wurde. So beteuerte er im Wachtturm vom 1. Oktober 1907:

      „Wir sagen darauf, wie schon so viele Male vorher in den Schriftstudien und im Wachtturm und mündlich und brieflich, dass wir für unsere Berechnungen nie unfehlbare Genauigkeit beansprucht haben; wir haben niemals den Anspruch erhoben, es handle sich dabei um Wissen, oder es sei auf unbestreitbare Beweise, Tatsachen, Erkenntnisse gegründet. Unsere These lautete stets, dass sie auf Glauben gegründet sind.“

      Aber dann heißt es im gleichen Artikel, „dass aus dem Glauben an die Chronologie dadurch beinahe ein Wissen um ihre Richtigkeit wird. Verändert man nur eine einzige Jahreszahl, so kommt damit das ganze System der wunderschönen Parallelen aus dem Tritt“.

      Was geschah, nachdem das Jahr 1914 ohne Erfüllung der vorausgesagten Ereignisse vorbeigegangen war? In einem 1916 verfassten Vorwort zu seinem Buch „The Time Is At Hand“ gestand Russell seinen Irrtum ein, versuchte ihn aber gleichzeitig zu beschönigen:

      „Der Autor gibt zu, dass er in diesem Buch den Gedanken nahelegt, dass des Herrn Heilige erwarten dürfen, am Ende der Zeiten der Nationen bei ihm zu sein in Herrlichkeit. Dies war ein Fehler, den zu machen sehr natürlich war, doch der Herr überwaltete ihn zum Segen seines Volkes. Der Gedanke, dass die Kirche vor Oktober 1914 in Herrlichkeit vereint sein würde, übte zweifellos einen anspornenden und heiligenden Einfluss auf Tausende aus, von denen demgemäß alle den Herrn preisen können, selbst um des Fehlers willen“ (deutsche Ausgabe von 1926, S. 7).

      Hier versuchte Russell, aus der Not eine Tugend zu machen und seine Falschprophezeiungen als „Segen“ hinzustellen. Doch handelte es sich überhaupt um Falsch-Prophezeiungen oder nur um unverbindliche Meinungsäußerungen Russells? Franz Stuhlhofer (1994, S. 83 ff.) nennt drei Kriterien für einen prophetischen Anspruch: 1. die Berufung auf Gott (und nicht auf die eigene Meinung) als Quelle der Voraussagen; 2. die Behauptung, etwas Sicheres oder doch zumindest sehr Wahrscheinliches voraussagen zu können; 3. die öffentliche Bekanntmachung der Voraussagen. Wie Stuhlhofer durch eine detaillierte Quellenanalyse nachgewiesen hat, treffen alle drei Kriterien auf Russell (und seine Nachfolger) zu, auch wenn – meist im Nachhinein, d.h. nach dem Nichteintreffen der Voraussagen – die Wachtturm-Gesellschaft auf unterschiedliche Weise versucht hat, den prophetischen Anspruch abzumildern.

      So wird nach einer langen Reihe enttäuschter Erwartungen in den 1985 herausgegebenen „Unterredungen anhand der Schriften“ gesagt: „Jehovas Zeugen behaupten nicht, inspirierte Propheten zu sein. Sie haben Fehler gemacht.“. Doch dann wird dieses Zugeständnis gleich wieder eingeschränkt: „Änderungen des Standpunktes in Bezug auf bestimmte Angelegenheiten sind verhältnismäßig

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