Die Lehren der Zeugen Jehovas. Lothar Gassmann
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Zu Russells Lebensstil existieren sehr unterschiedliche Äußerungen. Die einen sagen, er hätte einfach und bescheiden im New Yorker „Bethel“ gelebt und viele Jahre nur ein Taschengeld bezogen. Die anderen behaupten, er hätte sämtliche Aktien-Anteile der Wachtturm-Gesellschaft besessen. Was ist wahr?
Tatsache ist, dass er das gesamte Vermögen seines väterlichen Betriebs für die Wachtturm-Bibel-und-Traktat-Gesellschaft sowie für Firmen, die mit dieser kooperierten (z. B. die „Tower Publishing Company“, welche der Wachtturm-Gesellschaft Papier lieferte), eingesetzt hat. Er verkaufte das blühende Textilunternehmen für eine Viertelmillion Dollar und investierte dieses Geld in die Wachtturm-Tätigkeit (vgl. Twisselmann 1995, S. 47.59). Im Ehescheidungs-Prozess bezeichnete er sich als arm und wollte nichts bezahlen, aber das Gericht stellte fest, dass er Geld besaß und bestrafte ihn wegen Hinterziehung. Damals wurde festgestellt, dass Russell die Kontrolle über eine Gesellschaft, eben die Wachtturm-Gesellschaft, in Händen hielt, in der er den größten Teil des Kapitals besaß (vgl. Martin 1985, S. 39 f.).
Was soll man daraus folgern? Russell war keineswegs arm, aber es ist durchaus möglich, dass er selber im Alltag bescheiden lebte. Dass er über große Kapitalmengen verfügen konnte, geht deutlich aus seinem Testament hervor, mit dem wir uns weiter unten beschäftigen.
Um Russell wurde schon zu Lebzeiten von vielen seiner Anhänger ein Personenkult betrieben. Ein ausgeprägtes endzeitliches Sendungsbewusstsein war ihm zueigen. Er nahm an, dass sich am Ende der Tage das Licht der Wahrheit immer mehr erhellt und ein vollerer Zugang zu den göttlichen Geheimnissen möglich ist. Er selber, Russell, sei der Empfänger dieses Lichtes. Er verglich sich mit dem „klugen und treuen Knecht“ in Matthäus 24, 45-51 und Lukas 12, 41-46. Von seinen Anhängern wurde er als „der Sendbote der Gemeinde von Laodizäa“ nach Offenbarung 3, 14-22 bezeichnet, so etwa in dem posthum herausgegebenen Band 7 der Schriftstudien (siehe unten). Russell wurde dort in eine Linie mit Paulus, Johannes, Arius, Waldus, Wiclif und Luther gestellt, welche die anderen Gemeinden in Offenbarung 2 f. repräsentieren sollten. Auffallend ist, dass in dieser Liste neben Aposteln und großen Männern der Kirchengeschichte auch der als Ketzer verurteilte Arius erscheint. Warum dies so ist, werden wir bei der Untersuchung der Gotteslehre und Christologie der Zeugen Jehovas betrachten.
Russell starb bei einer seiner zahlreichen Reisen, und zwar am 31. Oktober 1916 in einem Eisenbahnwagen in der Nähe von Pampa/ Texas. Eine Autokolonne von über hundert Wagen, ein Meer von Blumen sowie 17 Grabreden prägten seine Bestattung in New York.
Beziehungen zur Freimaurerei
Einige Fragen im Zusammenhang mit der Biographie Russells sind noch ausführlicher zu betrachten. Die erste Frage lautet: War Russell Freimaurer oder zumindest für freimaurerisches Denken offen? Besonders der ehemalige Zeuge Jehovas Erich Brüning hat sich der Untersuchung dieser Frage gewidmet. In seinem Buch 3 Systeme. Was verbindet Freimaurer, New Age und Jehovas Zeugen? (1994 b) zitiert er ausführlich aus einer Rede, die Russell 1913 vor Freimaurern, Ernsten Bibelforschern und Zuhörern verschiedener Denominationen gehalten hat. Diese Tempelansprache ist erschienen im „International Biblestudents Souvenir, Convention Report 1913“, S. 359 ff. Daraus einige Auszüge. Russell sagte:
„Ich freue mich, die besondere Gelegenheit zu haben, einiges über Dinge zu sagen, in denen wir mit unseren freimaurerischen Freunden übereinstimmen, denn wir befinden uns hier in einem Gebäude, das der Freimaurerei geweiht ist. Und auch wir sind Freimaurer. Ich bin ein freier Freimaurer. Ich bin ein freier und anerkannter Freimaurer, wenn ich das in voller Länge ausführen darf … Ich glaube, wir alle sind es. Aber nicht gerade im Stil unserer freimaurerischen Brüder… Tatsächlich sind einige meiner besten Freunde Freimaurer, und ich schätze es, dass es einige wertvolle Wahrheiten gibt, die unsere freimaurerischen Freunde besitzen.“
Im Folgenden führt Russell aus, dass Jesus Christus „der große Meister unseres Hohen Ordens der Freien und anerkannten Freimaurerei“ und Begründer des Tempels sei. Punkt für Punkt vergleicht Russell die Gemeinde mit einem freimaurerischen Tempel. Schließlich meint er:
„Ihr wisst, dass man in Freimaurerorden von Stufe zu Stufe fortschreitet und dabei mehr und mehr lernt. So gibt es denn Freimaurer im 32. Grad, die viel mehr wissen als die im 14. und 16. Grad… So ist es auch im geistlichen Tempel. Der Apostel drängt uns, höher zu steigen. Er sagt, wir sollen in der Gnade und in der Erkenntnis wachsen und dem Herrn charakterlich ähnlicher werden, ihm, dem großen Hauptbefehlshaber, dem großartigen Hohenpriester unserer Berufung, dem größten aller Tempelritter“ (zit. nach Brüning, 1994 b, S. 62 ff.).
Solche Äußerungen dürften heutigen Zeugen Jehovas weitgehend unbekannt sein. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass Russell entweder selber Freimaurer war oder deren Gedankengut zumindest nicht ablehnte. Eine wichtige Gemeinsamkeit lag sicherlich darin, dass sowohl Freimaurer als auch Russell die göttliche Wesensart Jesu Christi im Sinne der Trinität bestritten. Ferner versuchte Russell, abseits von den Dogmen der Kirchen eine neue Religion zu gründen. Freimaurerisches Gedankengut kommt nicht nur in der zitierten Tempelansprache Russells zum Ausdruck, sondern auch in der von ihm häufig gewählten Symbolik der Pyramide, welche ein wichtiges Symbol der Freimaurerei darstellt. Man denke etwa an den dritten Band der Schriftstudien, wo ein ganzes Kapitel der Pyramide von Gizeh gewidmet ist. Später haben die Zeugen Jehovas Russells Pyramidenlehre fallen gelassen, wie sie auch offiziell nichts mit Russells freimaurerischen Ambitionen zu tun haben wollen. Dennoch stellt dieser Einfluss eine bedeutende Größe der Anfangszeit war, welche sich nicht leugnen lässt.
Ob Russell Mitglied einer Freimaurer-Loge war – darüber gehen die Ansichten auseinander. Brüning selber äußert sich widersprüchlich. Einerseits schreibt er:
„Über Russells Zugehörigkeit zu einer Loge weist das Drei-Punkt-Symbol vor seinem Namen in dem Freimaurerverzeichnis in ´Lady Queenborough` hin“ (ebd., S. 68).
Andererseits meint er:
„Es muss hier nicht polemisiert werden, ob Russell initiierter Freimaurer war oder nicht. Seine Weltanschauung, die Verehrung freimaurerischer Embleme, die Anwendung freimaurerischen Vokabulars und Umdeutung biblischen Gedankenguts in freimaurerische ´Theologie` dürften zur Beurteilung der Grundhaltung Russells genügen. Man spricht hier auch von ´Maurer ohne Schurz`“ (ebd.).
In Einklang mit Brünings letzter Aussage teilte mir Hans-Jürgen Twisselmann in einem Brief vom 6.2.1996 folgendes mit:
„Russell war, wie ich über eine deutsche Freimaurer-Loge in Erfahrung bringen konnte, nie Freimaurer. Dass er aber beste Kontakte zu Einzelpersonen und Freimaurer-Einrichtungen unterhielt, dürfte unbestritten sein.“
Adventistische Einflüsse
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