Die Lehren der Zeugen Jehovas. Lothar Gassmann
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Bereits in den Jahren nach 1892 gab es Auseinandersetzungen mit vier führenden Mitgliedern der Wachtturm-Gesellschaft (E. Bryan, S. D. Rogers, J. B. Adamson und O. v. Zech), die an Lehrpunkten Russells Kritik übten und ihm vorwarfen, er habe zuviel Einfluss. Dieser antwortete mit der heftigen Broschüre Aufdeckung einer Verschwörung (1894).
1911 wandten sich der Vizepräsident der Wachtturm-Gesellschaft, J. H. Giesey, sein Privatsekretär A. E. Williamson und der Zweigstellenleiter E. C. Hennings aus ähnlichen Gründen gegen ihn. Sie kritisierten seinen dogmatisch-autoritären Führungsstil und behaupteten, er habe „Schwestern gestreichelt“. Russell reagierte maßlos, indem er ihre Abspaltung von ihm mit der Abspaltung von Christus gleichsetzte:
„Nebeneinander, in denselben Gemeinschaften mit den demütigen, gläubigen, geweihten Heiligen – in denselben kleinen Versammlungen zusammen mit denen, welche aus der Knechtschaft Babylons entflohen sind, in denselben Haushaltungen und oft an demselben Tisch des Herrn ist eine Klasse von Personen entwickelt worden, welche eigenliebig (selbstsüchtig) sind, habsüchtig (nach Ehre und Ansehen und Ruhm bei Menschen), prahlerisch … hochmütig … Da sie sich nicht dem Haupt des Leibes , Christo Jesu, unterwerfen, streben sie danach, selbst das Haupt neuer Parteien zu werden“ („Wachtturm“ 1911, S. 42 ff.).
Hinzu kamen die peinlichen Auseinandersetzungen mit seiner eigenen Ehefrau seit der Mitte der 90er Jahre sowie mit seinen kirchlichen Gegnern. Maria Frances Russell, geb. Ackley, fühlte sich – wie ihr Mann – als eine prophetische Persönlichkeit und ihm ebenbürtig. Sie verlangte breites Mitspracherecht und Mitautorschaft bei der Gestaltung des Wachtturms. 1896 entzog Charles Taze Russell ihr die Mitherausgeberschaft. Daraufhin verließ sie ihn im Jahre 1897. Sechs Jahre lebten sie getrennt, bis Maria 1903 die Scheidungsklage einreichte und es 1906 nach langwierigen Verhandlungen und großem Aufsehen in der Öffentlichkeit zur Scheidung kam (laut Hellmund, o S.; und Hutten 1982, S. 82). Nach den Angaben der Wachtturm-Gesellschaft hingegen lautete das „1908“ verkündete Urteil „nicht auf Ehescheidung“, sondern „auf Trennung von Tisch und Bett sowie auf Zahlung von Unterhalt“ (JZ, S. 645). Russells Ehe war jedenfalls total gescheitert. Seine Frau äußerte über ihn unter anderem, er sei nicht nur der „gute Knecht“ nach Matthäus 24, 45-51, als der er von seinen Anhängern bezeichnet wurde, sondern auch der unnütze Knecht – und sie müsse deshalb seine Stelle einnehmen. Sie warf ihm „Egoismus, Herrschsucht und ein unsauberes Verhalten im Umgang mit anderen Frauen“ vor (vgl. Stroup 1945, S. 9 ff.; Metzger 1953, S. 65 f.; Hutten 1982, S. 82).
Auch mit der „Geistlichkeit“ oder den Religionisten, wie Russell die Vertreter der Kirchen abfällig nannte, führte er viele Auseinandersetzungen. Nachdem er sich anfangs mit seiner Kirchenkritik noch zurückgehalten hatte und daher sogar in manchen Kirchen predigen durfte, änderte sich dies zunehmend in den achtziger Jahren, als er einen schärferen Ton anschlug. 1881 verkündete er, dass die nominelle Kirche von dem unsichtbar gegenwärtigen Christus 1878 verworfen worden sei. Nun fühlte er sich berufen, die wahren Anhänger Jehovas aus den Kirchen herauszuführen. Diese Angriffe blieben nicht ohne Antwort. Insbesondere sein selbstangemaßter Status als „Pastor“ wurde kritisch hinterfragt, so etwa von dem Baptistenpastor J. J. Ross.
1912 hatte Ross eine Schrift mit dem herausfordernden Titel Einige Tatsachen über den selbsternannten ´Pastor` Charles T. Russell veröffentlicht, die zu einem Gerichtsprozess Anlass gab. Ross kennzeichnet darin Russells System als „unvernünftig, unwissenschaftlich, unbiblisch, antichristlich und eine bedauernswerte Verkehrung des Evangeliums von Gottes geliebtem Sohn“ (S. 7). Ferner warf er Russell im Blick auf seine selbstangemaßte Position vor: „„Er hat niemals eine höhere Schule besucht, weiß vergleichsweise nichts über Philosophie, systematische oder historische Theologie und ist ein totaler Ignorant hinsichtlich der alten Sprachen“ (S. 3 f.).
1913 fand in Ontario der Prozess zwischen Ross und Russell statt, den Russell verlor. Nach diesem Prozess schrieb Ross noch eine Schrift mit dem Titel:Einige Tatsachen und noch mehr Tatsachen über den selbsternannten ´Pastor` Charles T. Russell. Darin berichtet Ross über Einzelheiten dieses Prozesses, die ein denkbar schlechtes Licht auf Russells Charakter werfen. So hat Russell nachweislich Falschaussagen hinsichtlich seiner Ordination und Sprachkenntnisse gemacht.
Beispielsweise fragte ihn Rechtsanwalt Staunton: „Kennen Sie das griechische Alphabet?“ Russell antwortete: „Oh ja.“ Als Staunton ihn jedoch aufforderte, einige griechische Buchstaben vorzulesen, musste er zugeben, mit der griechischen Sprache doch nicht vertraut zu sein. Ähnlich lief ein Kreuzverhör in Bezug auf Russells angebliche Ordination ab. Nachdem er zunächst unter Eid versucht hatte, seine Ordination zu behaupten, musste er schließlich zugeben, „niemals von einem Bischof, Geistlichen, Presbyterium, Konzil oder einer entsprechenden Körperschaft ordiniert“ worden zu sein.
Russells Selbstverständnis und Werk
Obwohl Russells Skandale in der Öffentlichkeit nicht mehr zu verbergen waren, nahm trotzdem seine Anhängerschaft ständig zu, angefeuert von dem immer näher rückenden magischen Termin 1914. So konnte man 1909 die Zentrale der Wachtturm-Gesellschaft vergrößern und nach Brooklyn/New York verlegen, wo sie sich noch heute befindet. Russell hat in den Jahren vor 1914 seine Vortrags- und Reisetätigkeit ständig gesteigert. Es wird behauptet, er sei in seinem Leben mehr als 1,6 Millionen Kilometer gereist, habe ca. 30.000 Predigten gehalten und viele davon Woche für Woche an ungefähr 3.000 Zeitungen in Amerika, Kanada und Europa geschickt, wo sie – allerdings oft als Annonce – dann zum Teil auch veröffentlicht wurden (vgl. Jehovah`s Witnesses in the Divine Purpose, 1959, S. 50). An anderer Stelle heißt es, er habe „Bücher geschrieben, die insgesamt über 50.000 Seiten ausmachten“ und „oft 1.000 Briefe im Monat diktiert“ (Jahrbuch 1977, S. 77).
Dass Russell ein sehr engagierter und zu seiner Zeit weithin bekannter Mann war, sei unbestritten, doch dürften derartige Zahlenangaben eher legendarischen Wert besitzen. Franz Stuhlhofer (1994, S. 46 ff.) hat beispielsweise die Seitenzahlen sämtlicher von Russell verfassten Bücher und Artikel addiert und ist zum Ergebnis gelangt, „dass die Behauptung von Russells 50.000 Buchseiten um ein Vielfaches übertreibt“ (ebd., S. 51; vgl. auch die Kritik bei Martin/Klann 1985, S. 15 ff.).
Einen großen Bekanntheitsgrad sicherte der Bewegung das große Photodrama der Schöpfung, das 1912 konzipiert und im Januar 1914 in New York uraufgeführt wurde. Neueste technische Möglichkeiten, eine Kombination von Filmen und Lichtbildern, die man mit Musik- und Sprechplatten synchronisierte, kamen in zahlreichen Städten der USA zum Einsatz. Bis Ende 1914 sollen über 9 Millionen Menschen dieses „Photodrama der Schöpfung“ gesehen haben. In ihm wurde der gesamte biblische Heilsplan, wie Russell ihn verstand und erklärte, in einer insgesamt achtstündigen Vorführung dargeboten. Es wurden Lichtbilder vorgeführt vom Urnebel bis zur Schlacht von Harmagedon und dem Ende des Tausendjährigen Reiches.
Russell äußerte über sein Hauptwerk, die sechsbändigen Schriftstudien, sie seien unerlässlich zum Verständnis der Heiligen Schrift. Wenn jemand die „Schriftstudien“, nachdem er sie zehn Jahre lang gelesen hat und mit ihnen vertraut geworden ist, weglegt und ignoriert und nur zur Bibel greift, „so wird er – das zeigt unsere Erfahrung -, auch wenn er die Bibel zehn Jahre lang verstanden hätte, binnen zwei Jahren in die Finsternis gehen. Wenn er andererseits nur die Schriftstudien mit ihren Bibelzitaten gelesen hat und keine Seite der Bibel als solche, so würde er am Ende von zwei Jahren noch im Lichte sein, da er das Licht der Schrift besäße“ („Wachtturm“ vom Dezember 1910, S. 218 f.). Russell hat sein Werk also der Heiligen Schrift übergeordnet. Wie zeitbedingt allerdings sein Werk war und wie sehr er sich auch in diesem Punkt geirrt hatte, zeigt die Tatsache, dass die Zeugen Jehovas schon sehr bald (etwa ab Mitte der 20er Jahre) die Schriftstudien nicht mehr druckten – aus leicht verständlichen Gründen (nicht eingetroffene Terminberechnungen und ähnliches).
Worum