Das Schweigen der Kühe. Christian Macharski

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Das Schweigen der Kühe - Christian Macharski

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Der Will hat immer alles gemacht, was der Gerhard gesagt hat. Der hat sogar ein gerahmtes Bild von Gerhard Geiser überm Telefon aufgehängt, das muss man sich mal vorstellen. Aber ich mochte der Gerhard nie so richtig, Herr Doktor. Dafür mag ich dem seine Frau umso lieber. Und die war sehr niedergeschlagen, als der Gerhard vor drei Wochen gestorben ist. Die wollte noch nicht mal meine Kiwi-Jägermeister-Torte ...“

      „Apropos niedergeschlagen. Ist nicht bei einem dieser Einbrüche sogar jemand niedergeschlagen worden?“

      „Das stimmt, Herr Doktor“, Will nickte ernst, „Eidams Theo hatte der Täter nachts im Flur überrascht und in ein mutiger Zweikampf versucht, dem zu überwältigen. Aber der Einbrecher war stärker und hat dem brutal mit ein schwerer Gegenstand auf der Kopf geschlagen. Das musste mit zwölf Stiche genäht werden. Der hat viel Glück gehabt, hat der Arzt gesagt“, Will war nachdenklich geworden, während er so sprach, „und wenn ich so da drüber überleg. Ich glaube, ich sollte in meiner Funktion als Ortsvorsteher eine ,Aktuelle Stunde‘ in der Gaststätte Harry Aretz einberufen. Und zwar mit sofortiger Wirkung. Für mal zu überlegen, wie wir auf die Einbrüche reagieren können.“

      Marlene verschränkte die Arme vor der Brust und verzog verächtlich den Mund: „Pff. Aktuelle Stunde. Dass ich nicht lache. Ihr wollt doch bloß wieder blöde rumquatschen und am Ende seid ihr wieder alle voll wie die Eimer. Aber eins sag ich dir ...“

      Doktor Mauritz sah demonstrativ auf die Uhr: „Apropos voll. Mein Terminkalender ist übervoll. Ich muss los.“ Der Doktor bedankte sich für den Kaffee, nahm seine Arzttasche und verabschiedete sich.

      Aber Will hörte schon nicht mehr zu. Er überlegte bereits, mit welchen Worten er die „Aktuelle Stunde“ eröffnen würde. Schließlich ging es ja diesmal um ein wirklich wichtiges Thema. Allerdings ahnte Hastenraths Will zu diesem Zeit punkt noch nicht, dass er bereits mitten drin steckte – im größten Kriminalfall, der Saffelen je erschüttert hatte.

       4

      Mittwoch, 7. Mai, 20.08 Uhr

      Will hatte seinen Parka ordentlich über den Stuhl gehängt. Er strich sich noch einmal über sein kariertes Hemd, das Marlene ihm zur Feier des Tages aufgebügelt und mit Textil erfrischer besprüht hatte. Alle wichtigen Funktionsträger des Dorfes waren zur ,Aktuellen Stunde‘ im großen Saal der Gaststätte Harry Aretz erschienen und hatten sich unter lautem Gemur mel an dem langen Tisch niedergelassen, den der Wirt extra von der Kegelbahn herüber in den Saal getragen hatte. Will saß am Kopfende und ging noch einmal im Geiste die Begrüßungs sätze durch, die er intensiv vor dem großen Standspiegel in seinem Flur geübt hatte. Er erhob sich langsam und staatsmännisch und nahm den alten, kunstvoll aus edler Mooreiche geschnitzten Richterhammer in die Hand. Diesen Richter ham mer, der eigentlich ein Versteigerungshammer war, hatte er von Gerhard Geiser höchstpersönlich überreicht bekommen, als dieser ihn in einem erhabenen Zeremoniell zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Will rückte kurz den Holzsockel in Position, auf den er in wenigen Augenblicken den Hammer sausen lassen würde, um für Ruhe zu sorgen. Er räusperte sich etwas lauter als nötig und klopfte dreimal kräftig auf den Sockel. Mit leichter Verzögerung kehrte im Saal Ruhe ein. Alle Augen waren nun auf den Ortsvorsteher gerichtet. Will sah bedeutungsschwer von einem zum anderen. Mit wohl ge setzter, knarzend-tiefer Stimme begann er: „In Zeiten wie diesen, meine sehr verehrten ...“

      Plötzlich öffnete sich geräuschvoll die Falttür, die den Saal vom Schankraum trennte, und Richard Borowka schob sich umständlich herein, den Kopf rückwärts Richtung Theke gerichtet: „Harry, auf dem Klo sind die Papierhandtücher alle.“ Dann schloss er die Falttür wieder, wischte sich beide Hände an seinen Hosenbeinen ab und durchschritt gemächlich den Saal bis zu seinem Platz. Unterwegs grüßte er mit angedeute tem Kopfnicken die Anwesenden. Sein Platz war zur rechten Seite von Will, da er als Pressewart das Protokoll zu führen hatte. Bevor er Platz nahm, schüttelte er dem leicht verärgerten Will kurz die Hand und ließ sich unter lautem Stöhnen auf seinen Stuhl fallen. Er strich sich durch seine gepflegte Fönfrisur und sagte: „Tschuldigung. Der Auto ist nicht ange sprungen. Musste ich zu Fuß gehen. Seid ihr schon lange dran?“

      Will sah missbilligend auf Borowka herunter: „Ich wollte gerade anfangen, Richard. Also, schreib mit. Das ist alles wichtig, was ich jetzt sage.“

      Borowka erhob sich noch einmal kurz und zog einen Kugelschreiber der Spar- und Darlehenskasse Saffelen und einen geknickten Spiralblock aus der hinteren Hosentasche. „Kann losgehen.“

      Will faltete die Hände vor der Brust, atmete mit großer Geste ein und begann von Neuem: „In Zeiten wie diesen, meine sehr verehrten ...“

      Erneut öffnete sich die quietschende Falttür. Herein trat diesmal Maurice Aretz, der Neffe des Kneipenwirts Harry Aretz, der sich als Gelegenheitskellner sein karges Gehalt aufbesserte. Maurice hatte gerade in der Nachbargemeinde Waldfeucht eine Lehre zum Versicherungskaufmann abgeschlossen. Er war eine Art Ziehsohn von Harry Aretz. Hiltrud, Harrys Schwester, hatte Maurice vor mehr als 22 Jahren unehelich im Kreiskrankenhaus zur Welt gebracht. Das alleine war seinerzeit in Saffelen schon ein Skandal gewesen. Dass der mutmaßliche Kindsvater, ein Dachdecker aus Krefeld, sich unmittelbar nach der Niederkunft aus dem Staub gemacht hatte, machte es der alleinerziehenden jungen Mutter erst recht nicht leicht, in der Dorfgemeinschaft Fuß zu fassen. Als Maurice vier Jahre alt war, verließ auch Hiltrud Saffelen in einer Nachtund Nebelaktion für immer und ließ Maurice in der Obhut ihres Bruders zurück. Es hieß, sie würde heute mit einer neuen Familie in Hamburg leben. Genau wissen tat es aber niemand. Und eigentlich wollte es auch niemand wissen – die ganze Geschichte war im Laufe der Jahre zu einem Tabuthema gewor den. Seit jener Zeit vor 18 Jahren hatte sich Harry Aretz seines Neffen angenommen und ihn großgezogen statt eines eigenen Sohnes, den er wegen des frühen Tods seiner Frau nie haben durfte. Maurice hatte seinen Onkel von diesem Kummer abgelenkt. In der Schule zählte er zu den Besten und auch als hoch talentierter Leichtathlet hatte er seinen Verein schon oft bei überregionalen Wettkämpfen vertreten. Er war sogar zwei Jahre lang Zehnkämpfer gewesen und stand kurz vor der Aufnahme in einen Förderkader des Leichtathletik-Verbands Nordrhein, doch dann beendete ein Kreuzbandriss seine junge Karriere. In absehbarer Zeit beabsichtigte er, ins Ausland zu gehen. Deshalb sparte er eisern das Geld, das er sich mit dem Kellnern dazuverdiente.

      Etwas unsicher stand Maurice nun im offenen Spalt der Falttür und hielt einen Block und einen Stift in der Hand. Offensichtlich wollte er die Getränkebestellung aufnehmen. „Ach, der Morris“, rief eine Stimme aus der Runde. Alle im Dorf nannten ihn Morris. Die einen, weil es sich besser aussprechen ließ als Maurice, die anderen, weil ihnen gar nicht bewusst war, dass man diesen Namen auch anders ausspre chen konnte.

      Borowkas Miene hellte sich auf. Er zupfte Will aufgeregt am Ärmel und rief: „Ich würde mal sagen, wir gehen sofort über zu Tagesordnungspunkt eins – Bier- und Schnapsbestellung.“ Lautes Gelächter erfüllte den Saal. Ein aufgeregtes Stim mengewirr entspann sich und Maurice machte sich eifrig Notizen.

      Nachdem er den Saal wieder verlassen hatte, wartete Will so geduldig, wie es ihm möglich war, bis wieder Ruhe eingekehrt war. Er räusperte sich noch einmal laut vernehmlich, bevor er erneut ansetzte: „In Zeiten wie diesen, meine sehr verehrten ...“

      „Entschuldigung, Herr Hastenrath. Lassen Sie uns doch bitte gleich zum Punkt kommen. Ich muss heute Abend noch einige Diktate durchsehen.“ Die Stimme, die Will nun völlig aus dem Konzept brachte und konsterniert in die Runde blicken ließ, gehörte Peter Haselheim, dem Saffelener Grundschullehrer. Während dieser sich selbstbewusst erhob, ließ sich Will schwer fällig, fast wie in Trance, auf seinen Stuhl zurücksinken. Er sah

      Peter Haselheim sprachlos mit großen Augen an.

      Peter Haselheim war ein blendend aussehender Mittdreißi ger, der vielen Frauen im Dorf

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