Das Schweigen der Kühe. Christian Macharski

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Das Schweigen der Kühe - Christian Macharski

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benutzen oder Philosophen zu zitieren, deren Namen nie zuvor ein Saffelener gehört hatte. Keine Frage, Peter Haselheim war zwar vielen unheimlich, doch er genoss einen gewissen Respekt im Dorf, fast so großen wie der Dorf-Apotheker. Also, zumindest so großen Respekt, wie man ihn einem Zugezogenen in Saffelen zubilligte. Und so kam es auch, dass er dem Ortsvorsteher widerspruchslos ins Wort fallen konnte: „Warum sind wir heute hier? Wir sind hier, um zu überlegen, wie man der Einbruchsserie Herr werden kann, respektive, wie man präventiv vorgehen kann, damit so etwas nicht mehr geschieht.“

      Die Dorfbewohner sahen einander unsicher an, nickten aber einträchtig.

      Peter Haselheim liebte die große Bühne und so schritt er dozierend auf und ab, mal hob er beschwörend den Arm, mal ließ er beiläufig eine Hand in der Tasche verschwinden. Die Saffelener klebten an seinen Lippen – mit Ausnahme von Will und Borowka. Will, weil er beleidigt und Borowka, weil er eingenickt war.

      Haselheim war ein Freund von Fragen, die er sich gleich selbst beantwortete: „Warum müssen wir uns selbst helfen? Weil die Polizei nach einem Notruf mindestens 40 Minuten braucht, bis sie Saffelen über die Landstraße erreicht hat. Also müssen wir den Täter auf eigene Faust entlarven. Aber wie macht man das? Ganz einfach: Wir müssen ein Profil des Täters erstellen. Wir müssen dem Täter, wenn noch kein Gesicht, dann zumindest schon mal einen Namen geben. Aber welchen?“

      „Er hat doch schon einen Namen: Einbrecher.“ Paul-Heinz Mobers, seines Zeichens pensionierter Baustellenpolier und Saffelens angesehenster Schwarzarbeiter, steckte sich genüsslich eine Zigarre an und blies den Rauch in den Raum. Ein paar der Anwesenden lachten.

      Haselheim warf ihm über die Schulter einen verächtlichen Blick zu und fuhr unbeirrt fort: „Woher ich weiß, dass so was nötig ist? Ich habe kürzlich einen spannenden Kriminalroman gelesen: ,Cupido‘ von Jilliane Hoffman.“

      Plötzlich beugte sich ein Mann in einer Feuerwehruniform vor. Auf seinem Kopf trug er würdevoll einen fluoreszierenden Feuerwehrhelm mit einem reflektierenden roten Streifen. Bei dem Mann, der einen nervös-unbeholfenen Eindruck machte, handelte es sich um Josef Jackels, den Löschmeister und Spre cher der Freiwilligen Feuerwehr Saffelen. Er war 59 Jahre alt und etwa genauso lange schon der Nachbar und beste Freund von Hastenraths Will. Er war herzensgut, manchmal jedoch von beängstigender Naivität. Dennoch hatte er sich durch seine zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten, die vom Würstchen wender beim Pfarrfest bis hin zum Körbchenrundgeber in der Kirche reichten, zu einer Autorität im Dorf entwickelt. Sein Wort wurde gehört, seine Meinung hatte Gewicht. Und so horchte Hastenraths Will interessiert auf, als Josef Jackels das Wort ergriff, hoffte er doch, plötzlich unerwartete Schützenhilfe im Kampf gegen diesen aufgeblasenen Lehrer zu erhalten.

      Josef Jackels sah Peter Haselheim mit ernstem Blick an und fragte: „Liliane Hoffmann? Ist das die Tochter von Hoffmanns Leo? Die mit die abstehenden Segelohren, der der Mann laufen gegangen ist?“

      Will verdrehte die Augen, während sich Haselheim ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

      „Nein, Herr Jackels. Jilliane Hoffman ist eine amerikanische Schriftstellerin. Die hat einen Bestseller geschrieben ... also ein berühmtes Buch. Darin geht es um einen Serienmörder und der bekommt von der Presse den Namen ,Cupido‘.“

      Josef Jackels stockte kurz, nickte dann wissend, murmelte leise: „Richtig, Cupido“, und lehnte sich wieder zurück in den Schatten seiner Sitznachbarn.

      Dafür ergriff Heribert Oellers nun das Wort. Heribert Oellers war eine imposante Erscheinung von massiger Statur mit ständig ölverschmierten Fingernägeln. Er war der gestrenge Inhaber von Autohaus Oellers, dem erfolgreichsten Unternehmen und größten Arbeitgeber von Saffelen. In seiner Firma war fast die gesamte Saffelener Fußballreserve beschäftigt, darunter auch Fredi Jaspers im Büro und Richard Borowka in der Werkstatt. Oellers’ brummige Stimme klang wie ein herannahendes Fliegergeschwader: „Was soll der Quatsch mit das Buch? Und was ist Cupido überhaupt für ein bescheuerter Name?“

      Peter Haselheim ärgerte sich über diesen Einwurf, aber er wusste, dass er den einflussreichen Gebrauchtwagenmogul auf seine Seite bringen musste. „Sie haben absolut Recht, Herr Oellers“, er sah dem Autohausbesitzer tief in die Augen, „aber da wir es auch hier mit einem namenlosen Serientäter zu tun haben, wäre es gut, ihm einen Namen zu geben. Sie haben auch Recht, Herr Oellers, wenn Sie sagen, der Name ,Cupido‘ sei nicht mit Bedacht gewählt. Cupido ist, wie wir alle wissen, in der römischen Mythologie der Liebesgott. Entsprechend dem Eros in der griechischen Mythologie.“ Im Saal wechselten unsichere Blicke. Es war mucksmäuschenstill. Nur das schwere, regelmäßige Atmen von Borowka war zu vernehmen. Hasel heim fuhr ungerührt fort: „Angesichts der Gefahrenlage, in der wir uns in Saffelen befinden, halte ich einen anderen Namen für unseren Mann für wesentlich passender. Warum? Weil es der Name des Gottes der Totenwelt ist!“ Haselheim hielt beschwörend beide Arme in die Höhe. Seine Stimmlage wechselte fast unmerklich in einen bedrohlichen Unterton. „Meint er etwa Hades?, werden Sie alle sich fragen. Nein, mir, und ich denke auch Ihnen allen, liegen die alten Römer mehr als die alten Griechen. Deshalb möge unser Einbrecher fortan den Namen PLUTO tragen!“ Seine letzten Worten ließ er lange nachhallen, dann strich er sich mit großer Geste durchs Haar und setzte sich sichtlich zufrieden auf seinen Platz.

      Im Saal brachen hitzige Diskussionen aus, an denen sich alle beteiligten. Außer Borowka, der tief und fest schlief und Will, der eingeschnappt vor sich hin stierte und sich die ganze Zeit fragte, warum um alles in der Welt man einen Einbrecher nach einem Schokoriegel benennen sollte.

       5

      Mittwoch, 7. Mai, 20.14 Uhr

      Langsam breitete sich in seinem Magen eine wohlige Wärme aus. Ein Jägermeister kann Wunder wirken, dachte Frantisek. „Noch einen“, rief er dem Mann hinter dem Tresen zu, „und für Kumpel auch.“

      Der wortkarge Wirt, der die ganze Zeit stoisch ein Bierglas nach dem anderen poliert hatte, legte langsam das Spültuch zur Seite und nahm die Jägermeisterflasche aus dem Regal, ohne seinen Blick von Frantisek zu wenden. Nachdem er wortlos die beiden Schnapsgläser aufgefüllt hatte, wandte er sich wieder den Biergläsern zu.

      Frantisek stieß seinen Kumpel an und raunte ihm zu: „Was ist das für alter – wie sagt man – Grieskorn? Spricht kein Wort und glotzt die ganze Zeit mich an.“

      Hermann fixierte den Wirt aus dem Augenwinkel und sah Frantisek mit trübem Blick an: „Griesgram, nicht Grieskorn. Was regst du dich auf? Hier sind wahrscheinlich selten Fremde. Kein Wunder“, er sah sich in der Kneipe um, „hier sieht’s ja aus wie vor hundert Jahren. Und es riecht, als wäre hier drin ein Rudel Wildschweine gestorben.“ Sie mussten beide lachen. Der Alkohol hatte sie übermütig werden lassen, obwohl der Anlass, weswegen sie in Saffelen waren, ein durchaus ernster war. Wenn man so will, hatten sie beruflich hier zu tun.

      „Ich dir sagen, Hermann, ich froh, wenn wir hier weg. Wo wir gehen, wenn wir fertig?“

      Hermann sah sich verstohlen um, kramte einen zerknitterten Zettel aus der Hosentasche, überflog ihn kurz und ließ ihn wieder verschwinden. Er beugte sich hinüber zu Frantisek und flüsterte: „Nach Frankfurt. Dann sind wir endlich wieder unter Menschen.“

      Frantisek brach erneut in albernes Gelächter aus. Als er aufsah, bemerkte er, dass der Wirt immer noch seinen Blick auf ihn geheftet hatte. Plötzlich öffnete sich die Falttür, die zum Saal führte, in dem es offensichtlich hoch her ging.

      Seit zwei Stunden saßen diese beiden Typen nun schon an der Theke und tranken einen Jägermeister nach dem anderen, ohne auch nur annähernd betrunken zu werden. Harry Aretz spülte Biergläser und ließ sie nicht aus den Augen.

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