Wo gehen die Sterne hin, wenn es hell wird?. Carmen Gerstenberger
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Wo gehen die Sterne hin, wenn es
hell wird?
Carmen Gerstenberger
Copyright @ 2020 Doderer Verlag
Lektorat: Sarah Kneiber
Korrektorat: Sarah Kneiber
Umschlaggestaltung: Kristina Licht
Satz und Layout: Lina Jacobs
Titelabbildung: Shutterstock
ISBN: 978-3-9822651-1-7
Für Maris & Dana
– weil ihr mein Wunder seid.
1
Elena
Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, der letzte gewöhnliche Tag. Gut gelaunt saß Elena im Wagen ihres Vaters und lachte fröhlich über die Scherze ihrer Eltern.
»Ich kann nicht fassen, dass sie dich jetzt wahrhaftig auf all die unschuldigen Verkehrsteilnehmer loslassen.«
»Sehr witzig, Paps.«
»Ernsthaft, was hast du dem Prüfer bezahlt, damit er dir den Führerschein ausgestellt hat?«
»Paps!«
»Gott stehe uns bei, unsere Tochter darf ab heute ganz legal Auto fahren.«
»Ich hab dich auch lieb.« Schmunzelnd lehnte sie sich in das weiche Leder der Rückbank zurück und blickte glücklich nach vorn zur Windschutzscheibe hinaus. Achtzehn. Heute war tatsächlich ihr achtzehnter Geburtstag, der Tag, den sie so lange herbeigesehnt hatte. Endlich war sie erwachsen, gut, per Definition wenigstens, durfte tun und lassen, was sie wollte. Keine Vorschriften mehr, keine Einschränkungen, die ganze Welt stand ihr nun offen und Elena hatte vor, jeden Winkel davon zu erkunden. Zwölf Monate lang würde sie mit ihrer besten Freundin sechs der sieben Kontinente unsicher machen, die Antarktis selbstredend ausgeschlossen. Nächste Woche, in genau vier Tagen also, sollte es losgehen. Elena war schon seit Monaten aufgeregt, denn das würde das Abenteuer ihrer gesamten Existenz werden, bevor die Freiheit der Jugend vorüber und der Ernst des Lebens da war. Sie war sich sicher, dass sie auch mit achtzig noch von den einzigartigen Erinnerungen ihrer Reise zehren würde, die Vorfreude auf ihren Trip war daher unbeschreiblich.
Am Abend würde auch eine kleine Party steigen, doch ihre Eltern hatten natürlich darauf bestanden, dass sie den Vormittag ihres Ehrentages bei einem gemeinsamen Brunch verbrachten, ein letztes feierliches Beisammensein, bevor sie in die Weite der Welt aufbrechen würde. Langsam aber sicher knurrte ihr Magen und die letzte Dosis Koffein war schon viel zu lange her. »Sind wir bald da? Ich bin mir sicher, dass wir längst am Tisch sitzen würden, wenn ich am Steuer sein dürfte«, zog sie ihren Vater auf.
»O nein, ich sagte doch, dass du nur über meine Leiche mein Auto fortbewegen darfst.«
»Aber ich kann fahren!«
»Das sagst du!«
»Jetzt hör schon auf, sie zu ärgern«, verteidigte ihre Mutter sie lachend. »Nun sag es ihr endlich.«
Übertrieben theatralisch seufzte ihr Vater und holte tief Luft. »Also gut, deine Mutter hat mich überredet, dich vom Restaurant zurückfahren zu lassen. Happy Birthday, mein Schatz.«
»Echt jetzt?« Elena konnte ihr Glück kaum fassen, beugte sich zum Fahrersitz vor, soweit der Gurt das zuließ, und schlang die Arme von hinten um ihren Vater. »Ihr seid die besten Eltern der Welt, ich danke dir von Herzen.« Es bedeutete ihr unglaublich viel, dass ihr Paps so großes Vertrauen in sie hatte, um sie an sein Heiligtum zu lassen.
»Aber wehe, du fügst meinem Baby einen Kratzer oder eine hässliche Wunde zu!«
»He, ich dachte, ich bin dein Baby?« Sie atmete gespielt entrüstet auf, während sie ihre Mutter angrinste. Elena würde die beiden so furchtbar vermissen auf ihrer Reise, allein der Gedanke, sie ein ganzes Jahr nicht zu sehen, tat bereits weh.
»Du bist jetzt erwachsen, ich muss dich ziehen lassen, aber er hier, er bleibt mir für immer treu.« Schmunzelnd streichelte ihr Vater über das Lenkrad und summte dabei hingebungsvoll.
»Bitte sag, dass ich adoptiert bin, Mama.«
»Ich fürchte, ich muss dich enttäuschen.«
»Einen Versuch war es wert.« Lachend schüttelte Elena den Kopf. »Vielleicht finde ich ja eines Tages – o Gott, Paps, pass auf!« Blankes Entsetzen übermannte sie, als sie den bulligen Jeep auf ihrer Fahrspur direkt auf ihr Auto zurasen sah. Schlingernd bahnte er sich seinen unausweichlichen Weg, mitten in sie hinein. Ihr Herzschlag schien auszusetzen, obwohl der Adrenalinschub ihren Puls anpeitschte und dann schrie sie. Elena schrie, als bloße Angst sich ihrer bemächtigte, sie packte und mit ihren unheilbringenden Klauen fest im Klammergriff gefangen hielt. Nur vage registrierte sie die verzweifelten Rufe ihrer Mutter und die aussichtslosen Versuche ihres Vaters, ihrem unvermeidbaren Schicksal auszuweichen.
Sie wusste jäh, dass es nur wenige Sekunden waren, die zwischen ihr und der Fügung standen, die das Leben für sie auserwählt hatte und dass danach nichts mehr so sein würde, wie es bisher war. Das quälend langsame Verrinnen der Zeit erschien ihr wie eine Ewigkeit, der sie nicht entkommen konnte und dann ging alles doch zu schnell. Die Wucht des Aufpralls überraschte Elena. Während ihr Körper, lediglich von einem schmalen Gurt gehalten, den physikalischen Fliehkräften nichts entgegensetzen konnte, suchten ihre Finger vergeblich nach Halt. Sie wusste nicht mehr, wo sie war, alles hatte sich verschoben. Oder war es lediglich ihre Wahrnehmung?
Das Geräusch, als die Scheiben barsten, wobei sich unzählige Splitter tief in ihre Haut gruben, ging beinahe in den Rufen ihrer Eltern unter. Immer wieder hörte Elena ihren Namen, aber sie war nicht fähig, zu antworten. Als säße sie in einer Achterbahn, kämpfte ihr Magen verbissen gegen die aufsteigende Übelkeit an, während ihr Gehirn in den Überlebensmodus geschaltet zu haben schien. Sie empfand keinen Schmerz, sie wusste irgendwie, dass sich ihr Wagen überschlug, doch sie spürte nichts mehr. Etwas lief ihre Stirn hinab und tropfte in die Augen. Vergeblich versuchte sie, die Flüssigkeit wegzublinzeln, als ihre Mutter plötzlich grell aufkreischte. Noch nie hatte Elena einen derart furchterregenden Ton gehört, aber im Angesicht des Todes war es wohl legitim, die Fassung zu verlieren.
Im nächsten Augenblick wurde der holprige, außer Kontrolle geratene Ritt des Fahrzeugs jäh gestoppt, als es seitlich gegen einen Widerstand prallte. Die Gesetze der Physik verloren für einen Wimpernschlag ihre Gültigkeit, als es weder oben noch unten gab und Elena zu schweben schien. Aber sie befand sich nicht in den Weiten des Alls, schon einen Atemzug später riss die erbarmungslose Wirklichkeit an ihr. Blech verbog sich im Moment der Kollision knarzend und dort, wo sie eben noch gesessen hatte, existierte plötzlich kein Raum mehr. Der Gurt zog sich bei dem Rückstoß brutal über ihrem Brustkorb zusammen und raubte ihr jegliche Luft, während ihre Arme und Beine einzig noch nutzlose Körperteile waren, die umhergeschleudert wurden. Alles ging so schnell, dass ihr Verstand es nicht zu fassen vermochte und ihr die merkwürdigsten Dinge in den Sinn kamen, nur, um die bittere Wahrheit zu verdrängen, die wie das Damoklesschwert über ihr schwebte. Sie würde sterben. Hier und jetzt. An ihrem achtzehnten Geburtstag.
Hart schlug