Wo gehen die Sterne hin, wenn es hell wird?. Carmen Gerstenberger
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Читать онлайн книгу Wo gehen die Sterne hin, wenn es hell wird? - Carmen Gerstenberger страница 4
gewünscht hatte, die hinter ihr lag.
»Ist alles in Ordnung bei dir?«
Mit wild pochendem Herzen blickte sie zu ihm und nickte zaghaft. Ja, das war es. Das war es wirklich. Sie lebte wieder, irgendwie jedenfalls, und das war das kostbarste aller Geschenke, das er ihr hätte machen können.
»Ich kann dich auch loslassen, wenn dir das lieber ist?« Skeptisch musterte Elena ihre verschränkten Finger und anschließend die Häuser, die winzig unter ihnen vorbeihuschten. »Du weißt, dass das Zauberpulver uns in der Luft hält und nichts passieren kann?«
»Natürlich«, erwiderte sie leise und erschrak über den Klang ihrer Stimme, die ihr nach all der Zeit so fremd vorkam. Nein, das mit dem Pulver wusste sie selbstverständlich nicht, fliegen und zaubern gehörte nicht unbedingt zu ihrem Alltag. Aber sie wollte sich Bastian gegenüber nicht lächerlich machen, weshalb auch immer. Verstohlen wagte sie einen erneuten Blick auf ihn. Sie hatte ihn noch nie gesehen, nur gehört, ihr Unterbewusstsein hatte ihn daher einfach aus der Vorstellungskraft erschaffen. Oder hatten ihre Eltern ihr womöglich von ihm erzählt? Ob er in Wirklichkeit auch schwarze, verwuschelte Haare und tiefblaue Augen hatte, wusste sie also nicht. Aber sie gestand sich ein, dass ihr gefiel, was ihr Verstand sich ausgemalt hatte, möglicherweise hatte er all dies ja irgendwann erwähnt, sie konnte sich jedoch nicht mehr daran erinnern. Auch sein Alter konnte sie nicht abschätzen, in ihrer Fantasie war Bastian jedenfalls nicht viel älter als sie. War sie denn überhaupt noch achtzehn? Elena kam es vor, als hätte sie eine Ewigkeit in der Schwärze verbracht, die ihr ganzes Leben und somit alles, was noch vor ihr lag, aufgesaugt hatte.
»Hab keine Angst, ich bin immer bei dir, dir kann nichts geschehen.«
Es war die Wärme in seiner Stimme, die ihr letztlich die Beklommenheit nahm. Das hier war total verrückt, doch Elena war bereit. Sie war bereit, sich in dieses Abenteuer zu stürzen, denn alles war besser als die trostlose Realität. Lächelnd löste sie ihre Finger aus Bastians, gab sich einen Ruck und flog allein. Sie fürchtete sich nicht mehr, denn was hatte sie schon zu verlieren? Ihr Leben?
Das war ihr bereits genommen worden.
4
Elena
Wenn die Träume einem Flügel verliehen, dann fragte man nicht, weshalb. Elena akzeptierte das ungewöhnliche Geschenk und ließ sich glückselig von Bastians Zauber durch die Nacht tragen. Auch wenn sie keine Schwingen besaß, so fühlte sie sich wie ein Engel, der von weit oben auf die zerbrechlichen Seelen der Menschen hinabsah. Jedoch mehr im übertragenen Sinn, denn in Bastians Geschichte war es jäh dunkel geworden, sodass sie lediglich winzige Ansammlungen von Beleuchtungen am Boden wahrnahm. Dennoch ängstigte sie die Nacht nicht, im Gegensatz zu ihrem geistigen Gefängnis war diese hier nicht durchdringend und beklemmend, nein, sie war offen und frei – genauso wie Elena in diesem Augenblick.
»Gefällt es dir?«, fragte Bastian und lächelte sie dabei verschmitzt an.
»Und ob!« Als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, drehte und wendete sie sich mit weit ausgestreckten Armen jauchzend in der Luft. Sie hieß den kühlen Wind willkommen, der ihr Haar durcheinanderbrachte und sie nach all der Zeit spüren ließ, noch am Leben zu sein.
»Weißt du denn, wo wir sind?« Bastian verharrte schwebend weit über den unzähligen Lichtern einer ihr nicht bekannten Großstadt und wartete sichtlich gespannt auf ihre Antwort.
»Aber wie könnte ich das wissen ohne einen Anhalt?« Lachend vollführte Elena einen Salto, nur, um sich direkt im Anschluss kopfüber einige Meter tiefer fallen zu lassen.
»Du verrücktes Huhn!« Kichernd flog Bastian zu ihr. »Sagt der mit dem Zauberpulver.«
»Nur das Beste für dich!« Mit einer raschen Handbewegung deutete er eine Verbeugung an, woraufhin sie in sein Lachen einfiel. »Daher habe ich diese Stadt als Ausgangspunkt für unsere Reise ausgesucht.«
Nun blickte Elena noch einmal konzentriert unter sich, doch es war aussichtslos, aus der schieren Masse an grellem Flackern auch nur annähernd Dinge herauszufiltern, die ihr etwas über diesen Ort verraten könnten. »Ich fürchte, ich brauche einen kleinen Hinweis.«
Grinsend deutete er daraufhin in ihre entgegengesetzte Blickrichtung. Sie folgte seinem Arm und hielt die Luft an. Jetzt sah sie es, dort ragte etwas weit über den anderen Gebäuden in den nächtlichen Himmel hinauf. Vor Aufregung wurde sie von einem Kribbeln erfasst und ihr Herz schlug einen Takt schneller. »Ist es das, was ich denke?« Elena sprach leise, weil sie Angst hatte, dass sich dieser Traum ansonsten vor Schreck in Luft auflösen könnte.
»Herzlich willkommen in Paris«, flüsterte Bastian und nahm schüchtern ihre linke Hand in seine.
Seit Jahren träumte sie davon, ihn eines Tages mit eigenen Augen sehen zu können, und nun befand er sich nur einen Wimpernschlag unter ihr. »Der Eiffelturm«, murmelte sie, überwältigt von all den Gefühlen, die gerade gleichzeitig auf sie einströmten.
»Lass uns zu ihm fliegen und die Aussicht genießen.«
»Aber wenn uns jemand erwischt?«
»Deswegen habe ich diese nächtliche Stunde gewählt, so haben wir den Turm ganz für uns allein.«
»Ich habe mich schon gefragt, warum es plötzlich dunkel ist und wie das alles möglich ist.«
Freudig flog Bastian los und zog sie hinter sich her.
»Es ist unsere Geschichte, wir können sie nach unseren Wünschen beugen und tun, was immer wir auch wollen!«
»Das heißt, dass alles wahr wird, was immer wir uns vorstellen?«
»Na sicher. Beeilen wir uns, wir haben noch so viel vor und die Nacht währt nicht ewig!«
Lachend flog Bastian auf den Eiffelturm zu, der rasant größer wurde, je näher sie ihm kamen. Dennoch verspürte Elena einen kleinen Stich in ihrer Brust, denn in einer Sache irrte sich Bastian. Die Nacht währte doch ewig, zumindest für sie. Aber dann besann sie sich darauf, wo sie sich augenblicklich befanden, atmete mehrmals tief durch und schüttelte die traurigen Gedanken von sich ab. Sie würde einen Teufel tun und ihnen noch mehr Raum geben, nicht heute! Heute hatte sie Abenteuer-Gummistiefel an und flog über Paris, dem Trübsinn konnte sie sich auch dann noch hingeben, wenn sie wieder in der Realität angekommen war!
»Was sagst du?« Bastians Augen glänzten nahezu vor Freude und Ungeduld, während er sie an beiden Händen nahm, um sie sanft auf die oberste Plattform des Turms zu geleiten.
Rau wehte der Wind in knapp dreihundert Metern Höhe durch Elenas Haar und trieb ihr mit Sicherheit eine angenehme Röte auf die Wangen. Doch sobald sie den Boden unter den Füßen spürte, nahm sie nichts anderes mehr wahr, außer der spektakulären Aussicht, die sich vor ihnen erstreckte. »Es ist unbeschreiblich«, sagte sie leise, während sie sich schrittweise an die Brüstung hervorwagte.
»Es ist natürlich nur halb so cool, wie fliegen zu können, aber es ist ganz nett!« Bastian stellte sich dicht neben sie und legte zaghaft einen Arm auf ihren Rücken. »Willkommen auf deiner etwas anderen Weltreise«, murmelte er und lächelte sie zufrieden an.
»Meine Weltreise?« Plötzlich prasselten die verschiedensten Erinnerungen auf sie ein, Dinge, die