Wo gehen die Sterne hin, wenn es hell wird?. Carmen Gerstenberger

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wo gehen die Sterne hin, wenn es hell wird? - Carmen Gerstenberger страница 6

Wo gehen die Sterne hin, wenn es hell wird? - Carmen Gerstenberger

Скачать книгу

Überreste der einst geschichtsträchtigen Siedlung hinab. »Ich habe diesen Ort gewählt, weil er einzigartig ist. Alles, was von einer ganzen Zivilisation übrig geblieben ist, sind ihre Ruinen, etwas, das eigentlich zerstört und unbrauchbar ist. Und doch haben eben diese für unsere Gesellschaft eine große Bedeutung.« Nun blickte er auf und sah sie direkt an. »Manchmal stehen wir vor den Trümmern unseres Lebens, doch nur, weil etwas kaputt ist, heißt es noch lange nicht, dass es nichts mehr wert ist.«

      Eine nie zuvor gekannte Wärme breitete sich in Elena aus, plötzlich fühlte sie sich geborgen und behütet. Irgendwie wusste sie, dass ihr nichts geschehen konnte, solange Bastian an ihrer Seite war. Aber sie spürte auch etwas anderes und davor fürchtete sie sich. Eine bleierne Müdigkeit machte sich bemerkbar und Elena wusste, dass ihr nun nicht mehr sehr viel Zeit bleiben würde, bis ihre Kräfte sie verlassen und in ihren so verhassten Kerker zurückschleudern würden.

      »Einen Ort möchte ich dir noch zeigen«, sagte Bastian leise, während er sie ernst ansah und sachte mit seinem Handrücken über ihre Wange strich. »Hältst du so lange noch durch?«

      Es war ihm also aufgefallen. Seufzend nickte sie und lächelte ihn tapfer an. Sie wünschte sich von Herzen, noch Hunderte wundervolle Flecken dieser Welt mit ihm erleben zu dürfen, doch gerade war es schon vermessen, auf lediglich einen weiteren zu hoffen. »Natürlich«, erwiderte sie entkräftet und war sich doch ihrer Antwort im Augenblick nicht sicher. Um nichts wollte sie jedoch verpassen, was sich Bastian noch hatte für sie einfallen lassen.

      Seine Hand wanderte behände von ihrem Gesicht zu ihrem Schoß hinunter, in dem ihre klammen Hände verweilten, bis er schließlich beherzt seine Finger um die ihren schloss. »Komm«, flüsterte er und sah sie dabei aufmunternd an. Bevor sie auch nur blinzelte, befanden sich unter ihren Füßen nicht mehr die Ruinen längst vergangener Zeiten inmitten saftigen Grüns, sondern Hunderte Meter Nichts. Aus einem Reflex heraus riss sie ihre Hand zurück und klammerte sich erschrocken an Bastian, der daraufhin laut auflachte.

      »Hab keine Angst tapfere Weltenbummlerin, hast du vergessen, dass uns dank des Zauberpulvers nichts geschehen kann?« Lächelnd zwinkerte er ihr zu, während er tröstend einen Arm um sie legte und zaghaft versuchte, ihre verkrampften Finger aus seinem Pullover zu lösen. »Außerdem haben wir doch unsere Gummistiefel an, mit denen kann uns nichts und niemand aufhalten!«

      »In Ordnung.« Elena schenkte ihren eigenen Worten im Moment nicht viel Glauben, vermutlich benötigte ihr Verstand noch ein wenig länger, um zu fassen, wo sie sich gerade befanden.

      »Darf ich vorstellen?« Freudig breitete er seinen freien Arm aus und deutete auf die wenigen Wolken vor ihnen, die so nah wirkten, als könnte Elena sie mit bloßen Händen greifen. »Wir befinden uns in etwa 828 m Höhe auf dem Burj Khalifa, dem momentan höchsten Gebäude der Welt.«

      Da sie lediglich auf der – ihrer Meinung nach – äußerst winzigen Plattform saßen, auf der die Antenne befestigt worden war und wo eigentlich keine Besucher zulässig waren, wurde es Elena ganz flau im Magen. Ihr Herz pochte viel zu schnell und ihre Beine fühlten sich an wie kleine Zitteraale auf der Flucht. Angestrengt atmete sie gegen die aufsteigende Panik an, doch sie schaffte es dennoch nicht zu verhindern, dass sie von Schwindel übermannt wurde. Zu wissen, dass dies nicht wirklich real war, half ebenfalls nicht.

      Bastian bemerkte das zunehmende Beben ihres Körpers und zog sie rasch an sich. »Vielleicht wirkt es weniger angsteinflößend, wenn wir die Tageszeit wechseln.« Binnen eines Augenblickes wurde es plötzlich dunkel und Elena starrte auf unzählige kleine Lichter, anstatt in die schiere Weite, die kaum zu fassen war. Tatsächlich beruhigte sich ihr Puls nun allmählich, vielleicht auch, weil ihr Verstand noch immer damit beschäftigt war, zu verstehen, wie Bastians Fantasie zu etwas werden konnte, das sie wahrhaftig erlebte.

      »Von hier oben wirken die Sterne nicht mehr unermesslich weit weg«, sagte er leise. »Ich wünschte, ich könnte die Schönheit der Unendlichkeit über uns wirklich verstehen.«

      Nun war Elena es, die sanft lächelte. »Sagtest du nicht, dass es deine Geschichten sind und du in ihnen tun und lassen kannst, was immer du auch möchtest?«

      Nickend lächelte er, noch immer zu den Gestirnen blickend. »Aber nicht, dass du jetzt glaubst, viel zu schlau für mich zu sein!«

      »Sehr witzig.« Elena bedauerte es, in ihrem echten Leben niemals wirklich Zeit gefunden zu haben, sich mit dem zu beschäftigen, was es über ihren Köpfen womöglich noch alles gab. Das Leben war mitunter leider so hektisch, dass es keinen Raum für Wunder ließ. Doch als sie nun, sozusagen auf der Spitze der Welt, in den Himmel schaute, ohne jeglichen Stress und Zeitdruck, da begann sie auf einmal, Bastians Faszination dafür zu verstehen. Während sie tief durchatmete, fiel ihr Blick auf den Mond, der in Bastians Vorstellung übergroß und voll am Firmament erstrahlte und eine ihr unbekannte Sehnsucht erfüllte sie. »Bastian?«

      »Hm?«

      »Können wir wirklich überall hin?«

      »Natürlich. Kein Ort ist zu weit für meine Weltenbummlerin!«

      »Auch nicht der Mond?«

      Nun blickte er zum hellen Erdtrabanten empor und sie könnte schwören, dass dabei ein seliger Ausdruck über sein Gesicht huschte. »Eines Tages, das verspreche ich dir!«

      »Danke«, erwiderte sie leise und schmiegte sich an seine Schulter. »Warum dieses Gebäude?«, fiel ihr jäh ein. »Weshalb hast du das hier gewählt?«

      »Richtig. Meine Gedanken vergessen in deiner Nähe wohl recht gerne, was sie zu tun haben.« Er räusperte sich einige Male, bevor er fortfuhr. »Ich habe das höchste Gebäude der Welt gewählt, weil ich möchte, dass du stets an deinen Träumen festhältst, völlig gleich, wie hochgesteckt sie auch sein mögen. Ab sofort gibt es das Wort unmöglich in deinem Wortschatz nicht mehr, versprochen?«

      »Versprochen.« Das Reden fiel ihr immer schwerer und Elena fühlte, dass es nur noch eine Frage von Augenblicken war, bevor ihr Verstand wieder in die kalte Schwärze zurückbefördert wurde. Sie aus einem Körper herausriss, den sie nicht einmal wirklich besaß und der doch alles war, was sie sich in der Vergangenheit erträumt hatte.

      »Es ist in Ordnung«, murmelte Bastian neben ihr. Als hätte er Angst, sie zu stören. Seltsam, welche Grübeleien sich einschlichen, wenn die Neuronen allmählich ihren Dienst versagten. »Du warst so tapfer heute, doch nun kannst du loslassen. Ich verspreche dir, dass dies nicht unser letztes gemeinsames Abenteuer war, ich habe noch so viel zu sagen und du bist die Einzige, der ich es erzählen möchte. Sammle neue Energie, meine wundervolle Elena, damit du bereit bist, bald wieder in deine Gummistiefel zu schlüpfen!«

      Müde schloss sie die Augen und hoffte, dass er ihr Nicken noch mitbekommen hatte. Das war allerdings ihr letzter bewusster Gedanke, bevor sie in den verhassten, widerlichen Strudel aus Finsternis und Angst fiel.

      5

      Bastian

      Obwohl er bereits seit beinahe zwei Stunden zu Hause war, kam Bastian an diesem Abend nicht zur Ruhe. Elena beherrschte nach wie vor seinen Verstand. Immer wieder fragte er sich, ob sie wohl auch nur ein Wort von seiner Geschichte mitbekommen hatte? Er hatte sie so selbstverständlich zu einem Teil seiner Erzählung gemacht, als kannte er sie schon lange Zeit. Natürlich war das nicht der Fall, dennoch fühlte es sich für ihn manchmal so an. Immer dann, wenn er sie minutenlang anstarrte, während sie reglos dalag und er sich in einem fort fragte, wie sie wohl war? Besaß sie tatsächlich das sonnige Gemüt, das er sich für sie vorstellte? Und war sie in Wirklichkeit genauso humorvoll, wie er es annahm? Liebevoll und großherzig? All

Скачать книгу