Himmlisches Herzflüstern. Michael Stahl

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Himmlisches Herzflüstern - Michael Stahl

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zu mutlos. Es waren jedoch nicht nur die körperlichen Angriffe oder Beleidigungen, es gab auch dieses Flüstern hinter meinem Rücken, welches tief in meinem Herzen heftige Schmerzen verursachte, zusammen mit den hämischen Blicken. – Bis der große Tag kam.

      Ich war in der ersten Klasse, 1976, als ich wieder mal mitten im Unterricht zutiefst beleidigt und sogar hinter dem Rücken des Lehrers verletzt wurde. Da schossen mir Onkel Heinz’ Worte durch den Kopf: „Wer einmal wegläuft, der läuft immer wieder weg.“ In diesem Bewusstsein, hier und jetzt, fasste ich den Entschluss, nicht mehr alles mit mir machen zu lassen. Ich stand auf – ja ich stand sogar aufrecht – und erhob meine Stimme. Und dann „betonierte“ ich meinem Peiniger eine „voll auf die Zwölf“. Der Schlag saß! Mitten im Unterricht brach ich ihm die Nase.

      Natürlich hatte das Konsequenzen, ohne sie jetzt hier beschreiben zu wollen. Doch die waren mir egal. Ich war aufgestanden, das war das Einzige, was zählte. Voller Stolz berichtete ich meinem Onkel von meiner Tat. Klar, dass kaum jemand verstand, was da wirklich geschehen war; sie sahen nur, dass ich „Gewalt angewendet“ hatte. Aber mein Onkele und meine Mama, die blickten durch und freuten sich.

      Von diesem Tag an hatte ich Ruhe vor dem Typen. Im Gegenteil, wir wurden sogar Freunde, und diese Freundschaft hält nun schon seit 44 Jahren!

      Nein, ich heiße es nicht gut, was ich tat, und ich lehre auch, dass jeder vermiedene Kampf ein gewonnener Kampf ist und dass die eleganteste Art, dem Gegner die Zähne zu zeigen, ein Lächeln ist. Doch dort, wo wir jeden Tagen hingehen, wie zur Schule, zur Uni oder zum Arbeitsplatz, können wir nicht täglich fliehen, sonst sind wir jeden Tag auf der Flucht und können uns nicht frei und unbeschwert entfalten. Damals in meiner Klasse gab es für mich nur diesen einen Weg; zumindest erkannte ich in meiner Hilflosigkeit keinen anderen. Ich hatte irgendwie meinen Stand einnehmen müssen.

      ***

      Doch leider war ich damit noch immer kein Held geworden, der immer seinen Mann stand. Die Prägung meiner jungen Seele konnte ich nicht einfach so mit einem Wisch wegfegen. Die Demütigungen zu Hause, in der Schule und nicht selten auch in der Freizeit blieben.

      Ich muss so zehn Jahre alt gewesen sein, als mir das alles zu viel wurde und ich nicht mehr wusste, wie mein kleines Herz es noch aushalten sollte. Und so kam es, dass ich eines Tages auf den Gleisen stand, mit Blick sowohl auf unsere Dorfkirche, wo ich so oft Zuflucht gefunden hatte, als auch auf mein Elternhaus. Ich konnte und wollte nicht mehr. Mein Leben schien mir aussichtslos. Mir war klar, dass sich so schnell nichts ändern würde – weder morgen noch in fünf Jahren. Ich war täglich der Gewalt, der Armut, dem Hohn und Spott ausgesetzt.

      So spielte ich mit dem Gedanken, mir mein junges Leben zu nehmen. Ich dachte an meine Beerdigung und hoffte, dass es spätestens dann allen leidtun würde, was sie mir all die Jahre angetan hatten.

      Mitten in meinen traurigen Gedanken vernahm ich ein Flüstern tief aus und in meinem Herzen: „Lebe weiter, ich habe noch viel mit dir vor!“ Hoffnung keimte in mir auf, der Same für ein neues Leben. Es begann etwas, auch wenn es noch ganz fein und zart war. Aber es trug den Willen zum Leben in sich, und dadurch war es unüberwindbar stark.

      Ich konnte niemandem davon erzählen, nicht einmal Onkel Heinz. Der Augenblick war zu intim gewesen; so tief konnte ich keinen in mein Herz blicken lassen. So ahnte niemand etwas von meinem Erlebnis auf den Bahngleisen, und der Alltag schien einfach seinen Fortgang zu nehmen. Aber Gott hatte seine Hand auf mich gelegt, und das war nicht mehr rückgängig zu machen.

      ***

      Mein Onkele blieb weiterhin mein Mentor. Er brachte mir viele Spiele bei, wie Schach, Dame oder Mühle. Über tausend Themen unterhielten wir uns. Er war ein Stück weit der Vater, den ich mir immer gewünscht hatte, und auch mein Freund. Und immer wieder zeigte er mir, wie man am besten kämpft. Ja, er hatte selbst viel kämpfen und die harte Realität des Krieges erleben müssen. Von sich persönlich erzählte er fast nie etwas, außer einmal. In tiefem Schmerz erzählte er mir, sein bester Freund sei von einer Granate getötet worden. Wortwörtlich sagte er mir, er habe „seine Überreste von der Straße gekratzt“.

      Es war nur ein kurzer Einblick – für einen Bruchteil öffnete er seine Herzenstür, um sie gleich wieder zu verschließen. Er konnte sich diesen Schmerz nicht anschauen und auch niemanden teilhaben lassen; es war zu schwer. An dieser Stelle war sein Herz zerbrochen.

      Diese intensive Zeit mit meinem Onkel erlebte ich von meinem fünften bis zum vierzehnten Lebensjahr; danach zogen wir in den Nachbarort. Doch diese Zeit hatte mich für ein ganzes Leben geprägt.

      Einmal vertraute ich ihm an, dass mich mein Vater wieder verdroschen hatte, und er stellte ihn daraufhin zur Rede. Da war jemand, der sich für mich stark machte, der auf meiner Seite stand. Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern. Als ich dann mit meinem Vater ganz allein war, erlebte ich eine kaum zu beschreibende Kälte. Es dauerte etwa zwei Stunden, bis er mich dann wieder verdrosch, diesmal schlimmer als gewohnt, da ich ihn in seinen Augen vor meinem Onkel lächerlich gemacht hatte. Ja, es war schlimm; doch das Gefühl zu erleben, dass jemand für einen kämpft, war unbeschreiblich. Es war ein Liebesbeweis. Liebe, ja darum geht es in unserem Leben. Liebe, die wir zu wenig bekommen haben oder die wir zu wenig gegeben haben. Dies macht unsere Herzen schwer und traurig.

      Heinz brachte mir viele Dinge bei, auch wie wichtig der wertvolle Umgang mit Geld ist. Er motivierte mich, für die älteren Leute einkaufen zu gehen und zu arbeiten. Dadurch bekam ich mal hier eine Mark und mal da ein paar Pfennige. Was tun damit? Heinz meinte: „Jetzt brauchst du ein Sparbuch, und lass das Geld wachsen.“ Ich habe lange nicht verstanden, wie Geld wachsen sollte. So legten wir ein Sparbuch an.

      Irgendwann hatte ich stolze 76,50 DM auf dem Konto. Ich fühlte mich so reich. Ich hatte etwas geleistet und nun mein eigenes Geld. Ich werde nie den Tag vergessen, als ich meinem Vater nach einem Streit hochnäsig mitteilte, ich würde mehr arbeiten als er und hätte sogar mein eigenes Sparbuch. Nie, nie, nie vergesse ich seinen Blick und seine Worte: „Nein, du hast gar nichts!“ Ja, er hatte mein Sparbuch geplündert. Eine Welt brach für mich zusammen.

      Es schmerzt mich heute nicht mehr, da Papa und ich uns 2007 durch die Gnade Jesu Christi vollkommen versöhnen durften. Doch damals war ich wieder mal gebrochen worden. Heinz war wütend, doch sagte er nichts zu meinem Vater. Die Konsequenzen hätte sonst wieder ich spüren müssen. Stattdessen versteckten wir mein verdientes Geld ab dieser Zeit in einer kleinen Zigarrenblechdose. Wir versteckten sie so gut in der Gartenlaube, dass wir sie nie wiedergefunden haben. Irgendwo in meinem geliebten Dörfchen schlummert eine kleine Blechdose mit etwa 20 Mark in Kleingeld …

      ***

      So vergingen die Jahre. Meine Besuche wurden rar, denn ich war mehr in der Welt unterwegs als in meiner Heimat. Der Schmerz trieb mich, und ich fand kaum Ruhe. Irgendwie war ich auf der Flucht vor meinem Vater und versuchte gleichzeitig, ihn auch irgendwie stolz auf mich zu machen. Ich durchlebte Obdachlosigkeit, von der kaum jemand wusste. Ich war ein Getriebener. Mein Herz versteinerte sich täglich mehr. Mein Onkel erkannte meinen Schmerz und fragte mich eines Tages, es muss wohl etwa 2005 gewesen sein: „Was machst du eigentlich, wenn dein Vater eines Tages stirbt?“ Kalt gab ich ihm zur Antwort: „Na und, wir alle müssen mal sterben.“

      Ich konnte ihm mein Herz nicht zeigen. Er kämpfte selbst mit sich und konnte mir auch seines nie richtig offenbaren. Später erfuhr ich, dass er selbst ohne Papa aufgewachsen war, doch hatte er nie darüber gesprochen.

      Obwohl er seit 60 Jahren auf der Schwäbischen Alb wohnte, sprach er stets mit „Berliner Schnauze“. Oft diskutierten wir über das Universum, die Sterne, über Religionen und vieles mehr. Er war der Meinung, es sei egal, an was man glaube; Hauptsache, man sei ein guter Mensch. Wir ließen es dabei, nie entstand dadurch Streit. Ein paar Monate

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