Sag niemals, das ist dein letzter Weg. Jetta Schapiro-Rosenzweig

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Sag niemals, das ist dein letzter Weg - Jetta Schapiro-Rosenzweig

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      Unter dem Titel »Auch wir waren in Ponar - Bekenntnisse einer Wilnaerin« erschien in Israel eine hebräische Ausgabe des gleichen Urtextes von J. Schapiro-Rosenzweig

       ©Beit Lohamei Haghetaot

       Mit freundlicher Genehmigung für den deutschsprachigen Raum

       © 2001

       e-book-Ausgabe 2020

       RHEIN-MO­SEL-VER­LAG

       Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel

       Tel. 06542/5151, Fax 06542/61158

       www.rhein-mosel-verlag.de

       Alle Rech­te vor­be­hal­ten

       ISBN 978-3-89801-905-7

       Aus­stat­tung: Stefanie Thur

       Umschlagzeichnung: Samuel Bak

      Jetta Scha­pi­ro-Ro­sen­zweig

      Sag niemals, das ist dein letzter Weg

      Flucht aus Ponar – Eine Mutter und ihre kleine Tochter kämpfen ums Überleben

      Aus dem Jiddischen von Tamar Dreifuß

      Rhein-Mo­sel-Ver­lag

       Dieses Buch widme ich meiner Mutter selig und meinen beiden Kindern Iris und Raphael.

      Vorwort

      Vie­le Stun­den habe ich mit der Über­set­zung die­ses Bu­ches mei­ner Mut­ter »Auch wir wa­ren in Po­nar« ver­bracht. Die gan­ze Zeit habe ich die Ge­stalt mei­ner Mut­ter vor mir ge­se­hen. Eine zier­liche blon­de Frau mit blau­en Au­gen. Eine »ari­sche« Frau. Ihr Aus­se­hen und ihre Rus­sisch­kennt­nis­se stan­den ihr bei. Ihr Le­bens­wil­le und ihre ei­ser­ne Kraft ha­ben dazu bei­ge­tra­gen, dass wir trotz al­lem am Le­ben ge­blie­ben sind. Ich bin ihr zu Dank ver­pflich­tet. Dass ich heu­te ein Le­ben in ei­ner in­tak­ten Fa­mi­lie ge­nie­ßen kann, ist nur Dank ih­res Mu­tes und Durch­set­zungs­ver­mö­gens mög­lich ge­wor­den.

      Es be­stand eine sehr enge Be­zie­hung zwi­schen uns. Ob­wohl ich nach mei­ner Hei­rat Is­ra­el ver­ließ, wur­de die­se Be­zie­hung nicht un­ter­bro­chen. Wir ha­ben uns fast täg­lich ge­schrie­ben, sind öf­ter zwi­schen Deutsch­land und Is­ra­el hin und her ge­flo­gen und ha­ben län­ge­re Zeit mit­ein­an­der ver­bracht. Ich war mehr in Is­ra­el als sie in Deutsch­land. Der Be­such hier war im­mer mit Er­in­ne­run­gen ver­bun­den, die sie mög­lichst ver­mei­den woll­te. Ihre Er­leb­nis­se im Krieg ha­ben tie­fe Spu­ren hin­ter­las­sen. Nicht nur see­li­sche, auch kör­per­li­che: Herz, Ma­gen, Rheu­ma. Dies und noch mehr plag­te sie bis an ihr Le­bens­en­de.

      1985 er­hielt ich ei­nen An­ruf von mei­ner Tan­te, dass bei­de El­tern sich im Kran­ken­haus be­fän­den. Von ei­nem Tag zum an­de­ren buch­te ich ei­nen Flug nach Is­ra­el. Ich sah ein, dass die ein­zi­ge Lö­sung dar­in be­stand, sie zu mir zu neh­men und hier zu pfle­gen.

      Es fiel ih­nen nicht leicht, Is­ra­el zu ver­las­sen, doch es gab kei­ne Al­ter­na­ti­ve. Ich habe mei­ne Mut­ter fast drei Jah­re ge­pflegt. Zum Schluss sieg­te die Krank­heit über sie und sie ver­starb in mei­nen Ar­men am 30. Ok­to­ber 1987. Mein Stief­va­ter leb­te da­nach noch 10 Jah­re bei uns. 1997 ist er mit 95 Jah­ren ver­stor­ben. So ging bei uns eine Epo­che zu Ende.

      Ich bin froh, dass ich mit mei­ner Mut­ter we­nigs­tens die letz­ten Jah­re ver­brin­gen konn­te. Das Le­ben hier in Deutsch­land hat sie nicht mehr sehr ge­stört. Sie war glück­lich, mit ih­rer Toch­ter, ih­ren En­kel­kin­dern und ih­rem Schwie­ger­sohn zu­sam­men zu sein.

      Ich bin froh, dass sie die­ses Buch ge­schrie­ben hat und dass ich es über­set­zen durf­te. So wird sie bei vie­len in Er­in­ne­rung blei­ben und viel­leicht dazu bei­tra­gen, dass sich die­se Ge­scheh­nis­se nicht wie­der­ho­len.

       Tamar Dreifuß

      Jetta Schapiro-Rosenzweig

      Mei­ne Er­in­ne­run­gen, die ich schil­dern möch­te, um­fas­sen die Zeit von 1941 bis 1944. Ich möch­te, dass mei­ne Ge­ne­ra­ti­on und auch die Nach­fah­ren die­se Überlebens-Erinnerungen ken­nen­ler­nen. Sie dür­fen nicht in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten.

      Am Ende des Zwei­ten Welt­kriegs war mei­ne Hei­mats­tadt Wil­na zer­stört. Es war nicht mehr mein Wil­na – das jü­di­sche Wil­na gab es nicht mehr; auch die Fa­mi­lie von da­mals gab es nicht mehr. Mei­ne Toch­ter Ta­mar und mich hat­te das Schick­sal üb­rig ge­las­sen. Zu­sam­men sind wir durch die Höl­le ge­gan­gen und zu­sam­men ha­ben wir über­lebt. Zwar fan­den wir mei­ne Schwes­ter Mi­zia und ih­ren Sohn Samek bei unserer Tan­te Jan­ni­na – von ihr wer­de ich viel zu er­zäh­len ha­ben – doch wir er­fuh­ren, dass Jo­nas, der Mann von Mi­zia, kurz vor der Be­frei­ung von der Ge­­sta­po hin­ge­rich­tet wor­den war. Mir wur­de zu­ge­tra­gen, dass mein Mann Ja­scha in ei­nem der deut­schen Kon­zent­ra­ti­ons­la­ger ums Le­ben ge­kom­men ist.

      We­nig spä­ter gin­gen wir nach Po­len. Dort habe ich Sig­mund Ro­sen­zweig ken­nen­ge­lernt. Er ver­lor wäh­rend des Krie­ges sei­ne Frau, sei­nen Sohn und sei­ne Toch­ter. In ihm fand Ta­mar ei­nen lie­be­vol­len Va­ter. Nach kur­zer Zeit hei­ra­te­ten wir, und ge­mein­sam mit mei­ner Schwes­ter und ih­rem Sohn zo­gen wir nach Is­ra­el.

      Ich will im fol­gen­den ver­su­chen, ei­ni­ges von den vie­len grau­en­vol­len Ge­scheh­nis­sen je­ner Zeit zu schil­dern. Nur ein klei­ner Teil da­von kann hier zur Spra­che kom­men, es ist nur ein win­zi­ges Stück des Gan­zen, trotz­dem maß­ge­bend für die­se Epo­che.

      Der Anfang: Von Wilna nach Ponar 1941

      Mei­ne Hei­mat war Wil­na, eine pol­ni­sche Stadt nahe der li­tau­i­schen Gren­ze. Wil­na ist auch be­kannt un­ter dem Na­men »Je­ru­sa­lem De­li­ta«. In un­se­rem Wil­na er­hiel­ten sich vie­le all­täg­li­che jü­di­sche Ge­bräu­che und volks­tüm­li­che Wer­te. Nicht nur die Eli­te konn­te sich mit ih­rem Na­men rüh­men, auch der ein­fa­che Mensch konn­te sich dort ent­fal­ten. Das be­son­de­re an Wil­na spie­gel­te sich in den Ge­sprä­chen zwi­schen den Holz­fäl­lern auf dem Holz­markt, auf dem Schul­hof in der Ju­den­ga­sse, in ei­ner der Syn­ago­gen, es war das saf­ti­ge Wil­na­er Jid­disch.

      1941 war Li­tau­en schon von der Sow­jet­uni­on ein­ge­nom­men wor­den und Deutsch­land hatte Po­len schon ganz er­obert. In die­sem Jahr brach der Krieg zwi­schen Deutsch­land und der Sow­jet­uni­on aus.

      Jetzt, da ich den Ver­such un­ter­neh­me zu schil­dern, was wir er­lebt ha­ben, so­wohl in Wil­na, un­se­rer Ge­burts­stadt, als auch in Po­nar, wäh­rend un­se­rer Wan­de­run­gen in der Frem­de, er­scheint es so­gar für mich, ob­wohl ich al­les tat­säch­lich er­lebt habe, schwer zu glau­ben, dass es in Wirk­lich­keit ge­schah.

      Beim Er­zäh­len wird sich hier und da ein Bild ein­schlei­chen von den gu­ten Zei­ten in der schö­nen Land­schaft rund um Wil­na, mit ih­rem Hü­geln rings­her­um, dem Wilia-Fluss, den Brü­cken und Strän­den. Nicht zu ver­ges­sen die Wangerskastraße ne­ben dem Bäumemarkt (Holz­markt). Dort habe ich eine glück­li­che Ju­gend in ei­nem an­ge­se­he­nen jü­di­schen Haus verbracht.

      Die Ei­gen­art des Hau­ses be­stimm­ten Va­ter und Mut­ter, je­der

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