Martha schweigt. Anna Neder von der Goltz

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Martha schweigt - Anna Neder von der Goltz

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Küche zusammen, wobei die alte Brehm erzählte, dass einmal ein Kind bei ihnen auf dem Hof zu Tode gekommen sei. Geschubst von einem anderen Kind beim Verstecken- und Fangenspielen vor ihrem Haus und dabei in die Jauchegrube gefallen. Viel zu spät zog ihr Mann damals den kleinen Reinhold aus der Brühe. Seitdem war ein Geländer an der Treppe zwischen Haustür und Misthaufen angebracht worden und ihr Mann verjagte die Kinder, wenn sie auf der Mauer herumkletterten oder wenn er sie im Hof spielen sah. Und vielleicht auch, weil er wusste, dass sein Sohn bei diesen Spielen auch dabei gewesen war.

      Es war das erste Mal seit dem Selbstmord des Vaters, dass jemand anderes als der Pfarrer in ihr Haus gekommen war und irgendwie war Edwin froh darüber.

      3 Antoniusfeuer

      Sie haben unsere Welt verbrannt, dachte Martha, als sie in den frühen Morgenstunden, von Unruhe getrieben, die hintere Bergstraße hochlief, von wo aus sie die Flammen zum Himmel auflodern sah. Die Balken knirschten und bogen sich, bis sie barsten und der Dachstuhl in sich zusammenfiel. Laut und scheppernd krachte er durch die Decke des Lagerhauses und zerstörte alles, was unter ihm lag. Dunkler Rauch stieg in den Himmel und weiße Schwaden zogen übers Dorf hinweg. Die Feuerwehr versuchte vergeblich, mit ihrer Pumpe, die durch dicke Schläuche mit dem Dorfweiher verbunden war, die Wucht der Flammen einzudämmen, doch das Feuer verschlang alles.

      Seitlich von der Lagerhalle, auf einer Steinmauer zur Straße hin, saßen Menschen auf Säcken und Bündeln. Sie hielten Hanfnetze mit Zwiebeln, Brot und Kartoffeln fest in ihren Händen, doch noch fester hielten sie ihre Kinder, die sie zwischen ihren Leibern und Kleidern versteckten, um sie vor dem Anblick dieses Grauens zu schützen. Sie hatten Decken über die Schultern gelegt, und ihre Körbe, in denen sie das Notdürftige verstaut hatten, lagen verstreut auf ihrem Fluchtweg ins Freie. Sie drängten sich eng zusammen und in ihren Augen, die noch immer erschrocken ins Feuer starrten, spiegelte sich die rote Glut der Flammen.

      Früher wurde in der Halle Getreide gelagert, an den Wänden waren Säcke mit Saatgut und Torfballen aufgereiht, Kohlen und Briketts wurden dort an die Dorfbewohner verteilt, und auf der Holzrampe vor dem Lagerhaus stellten die Bauern ihre vollen Milchkannen ab, damit sie von der Molkerei abgeholt werden konnten. Einmal im Monat war auf dem Vorplatz Markt. Es trafen sich dort all jene, die etwas kaufen oder verkaufen wollten oder auch nur nach einem Rat suchten, wo man was bekommen könne.

      Als der Krieg begann, behielten die Bauern ihre Waren für sich. Von der Milch schöpften sie die Sahne ab und stampften Butter daraus. Die Milch, die nicht getrunken wurde, stellte man an den warmen Herd, um aus der geronnenen Milch, die sich oben am Tonkrug absetzte, Quark zu machen. Die Masse wurde in ein Tuch eingeschlagen und das restliche Wasser ausgedrückt. Die gelblich trübe Molke gab man den Alten und Kranken zu trinken, schnell hatte man ihre heilende und stärkende Wirkung erkannt. Kohlen und Briketts gab es immer weniger, je länger der Krieg dauerte, umso mehr war man auf das Sammeln von Holz im Wald angewiesen. Das Getreide wurde oft gleich zur Mühle gefahren, man hatte nicht mehr genug, um etwas zu verkaufen. Nur das Saatgut wurde noch lange oben auf dem Speicher des Lagerhauses ausgebreitet, wo es vom Gemeindearbeiter zum Frühjahr hin gebeizt wurde, doch auch diese Menge verringerte sich von Jahr zu Jahr.

      Als die ersten Flüchtlinge aus Schlesien kamen, verteilte sie der Bürgermeister auf die einzelnen Höfe. Nachdem einige sich beharrlich geweigert hatten sie aufzunehmen, ließ er Holzwände in der Lagerhalle einziehen, um somit einem Großteil der Zuflucht Suchenden Unterkunft zu gewähren. Es wurden Kanonenöfen und Herde aufgestellt und Säcke mit Stroh und alte Matratzen aus Hanf herbeigeschafft. Verstaubte Holzkisten, die früher mit Kartoffeln oder Hafer gefüllt gewesen waren, dienten als Möbel.

      Auf dem Speicher des Lagerhauses hatte sich all das angesammelt, was die Flüchtlinge an Kostbarkeiten auf ihren Leiterwagen mit sich geschleppt hatten, in der Hoffnung, diese gegen etwas Essbares eintauschen zu können.

      In Körben, Truhen und Koffern waren Bilder oder auch nur wertvolle Bilderrahmen verstaut, zusammen mit vielen Stoffbahnen aus Baumwolle, Seide und Leinen. Spindeln mit aufgerollten Spitzenborten und Satinbänder lagen dazwischen und Federstolas hingen aus den aufklaffenden Gepäckstücken heraus, an denen die Schlösser aufgesprungen oder gewaltsam geöffnet worden waren. Schwere Kerzenständer aus Messing, in rotem Filz oder wertvollen Pelzkragen eingewickelt, lagen zwischen dicken Büchern mit bunten Drucken und ledernem, goldbesetztem Einband, eng zusammen in hölzernen Kisten geschichtet.

      Für Martha, die in dem kleinen katholischen Dorf nur Das Neue Testament und Die heiligen Legenden gekannt hatte, öffneten diese reich bebilderten und mit farbenprächtigen Zierschriften illustrierten Bücher ein Fenster zu einer neuen Welt, jenseits von Dorf, Wald, Wiesen und Feldern, größer, weiter und bunter, eine Welt, die es dort draußen irgendwo geben musste und in Martha das Fernweh weckte.

      Martha lief hinunter zu Annegret und Edwin, die sie in der gaffenden Menschenmenge entdeckt hatte. Viele aus dem Ort waren zusammengelaufen und versammelten sich auf der Straße vor dem Lagerhaus. Martha hatte sich oft heimlich mit Annegret und Edwin dort getroffen. Hinten an der Rückwand des Lagerhauses stand immer eine Leiter angelehnt, mit der sie hoch in den Speicher geklettert waren und für Stunden die Dorfwelt vergessen konnten.

      Sie und Annegret wickelten sich in bunte Seidenstoffe ein, warfen sich Federstolas oder Pelzchen über die Schultern, legten sich Satinbänder um den Bauch, hängten sich lange Perlenketten und Amulette um den Hals, probierten Hüte mit Blumengestecken oder kleinen Netzschleiern aus, spielten Prinzessin, Königin und feine Dame aus der Stadt zugleich. Das höchste der Gefühle war eine Zigarettenspitze; diese galant in den Mund gesteckt, posierten sie kichernd vor einem goldumrandeten zerbrochenen Spiegel.

      Sie setzten Edwin einen Turban auf und warfen ihm ein Tuch mit goldbedruckten Ornamenten über die Schultern und ernannten ihn zum Sultan, zum König des Morgenlandes und Herrscher des Orients. Edwin war genervt von ihrem Gegacker und schälte sich aus der Verkleidung heraus. Meist saß er in der Ecke, blätterte durch die fremden Bücher und konnte seine Augen nicht abwenden von den Bildern eigenartiger Tiere, seltsamer Pflanzen und Menschen aller Hautfarben aus den unterschiedlichen Regionen der Welt.

      Martha und Annegret beugten sich manchmal neugierig über seine Schulter, wenn er wieder in die Bildkarten versunken war und die Darstellungen der einzelnen Kontinente Asien, Afrika, Amerika und der Antarktis genau studierte. Die Art der Bekleidung, die Bemalung von Gesichtern oder Körpern, Kopfschmuck, Arm- und Halsreifen, Bronze- oder Tongefäße für Rituale, Waffen für den Kampf oder auch Schriftzeichen und Musikinstrumente sahen sie zum ersten Mal. Auch die Zeichnungen von nackten Menschen, jeder Strich eine Muskelfaser, von außen und von innen, ließen sie lange nicht mehr los.

      Martha glaubte sich zu erinnern, dass Edwin das eine oder andere Buch mit nach Hause genommen hatte. Annegret ließ ein Amulett mitgehen und sie eine Brosche. Niemals hätten sie die Schmuckstücke tragen können, ohne dass ihr Geheimnis entdeckt worden wäre. Martha hatte ihres in den Kopfkeil des Bettes eingenäht und so wurde sie abends, bevor sie einschlief, jedes Mal an ihr schuldhaftes Vergehen erinnert und bekam ein schlechtes Gewissen.

      Martha, die mittlerweile in der Traube der Menschen stand, die sich neugierig vor dem Brandort eingefunden hatte, hörte jemanden laut „Brandstiftung!“ rufen. Viele Köpfe drehten sich in die Richtung des Rufenden.

      „Nein, wer sagt denn so was?“, empörte sich eine ältere Frau, die sich die Hand vor den Mund hielt und fortwährend mit dem Kopf schüttelte: „Die haben doch niemanden etwas weggenommen.“

      „Naja, die eine Gör von denen hat neulich die Äpfel vom Bernbauer sein Garten aufgeklaubt“, kam es aus der Runde.

      „Also, ich bitt’ euch, des sind doch Kinder, die haben Hunger“, entgegnete die Alte ihnen.

      „Ja und wir, sollen wir nichts essen, jetzt wo sie unser Getreide mit

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