Martha schweigt. Anna Neder von der Goltz

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Martha schweigt - Anna Neder von der Goltz страница 7

Martha schweigt - Anna Neder von der Goltz

Скачать книгу

gesagt, „die jungen Leut sollen daheim im Dorf bleiben, dort wo sie gebraucht werden“. Der Vater war weitsichtiger, er wusste, dass der Hof nicht für beide Söhne reichen würde und deshalb hatte er Paul in der Fabrik eine Schlosserlehre machen lassen, bevor der Krieg begann. Die Mutter und sie alle hatten gedacht, dass Vater nicht mehr an die Front muss, wegen seiner Lungenkrankheit aus dem letzten Krieg. Die Nachricht hatte alle schockiert.

      Am Abend des Tages, an dem der Einberufungsbefehl für Vater gekommen war und sie noch ein letztes Mal zusammen die Tiere im Stall striegelten, da sah Paul, dass sein Vater weinte, während er ruhig und gleichmäßig über das Fell der Tierrücken strich.

      „Warum musst du denn in den Krieg?“, traute Paul sich nun zu fragen.

      Jetzt war ein leichtes schmerzhaftes Lächeln auf dem Gesicht des Vaters im flackernden Schein der Petroleumlampe zu sehen.

      „Weil ich einen Charakterfehler habe“, gab er zur Antwort zurück und Paul musste schlucken.

      Bei den Weinbergen seines Heimatortes angelangt, lief er den Hang hinunter. Frauen, die in den angrenzenden Gemüsegärten ihre Beete jäteten, kamen ihm entgegengelaufen, als sie ihn erblickten.

      „Paul, um Gottes Willen, Paul, bist du’s?“– „Heilige Maria Mutter Gottes, die ersten kommen schon heim.“ – „Gott sei Dank!“

      Und dann kamen die Fragen: „Weißt du was vom Erwin?“ – „War der Josef bei dir in der Kompanie?“ – „Hast du was vom Hans gehört?“

      Paul musste sie alle enttäuschen, als er sagte, dass viele in Gefangenschaft geraten seien.

      „Na ja, um Gottes Willen, es wird scho’ alles gut gehen.“ – „Deine Mutter wird sich freuen, Paul, jetzt muss sie nicht mehr die ganze Arbeit allein machen.“

      Paul lief das Dorf Richtung Kirchgasse, wo sein Elternhaus stand, hoch. Der Gedanke, dass er nicht Bauer sein wollte, sondern wieder zurück in die Fabrik gehen wollte, ließ ihn nicht mehr los. Er wollte zu seinem Meister zurück. Der Lehrer mochte ihn nicht, aber sein Meister, der wusste, was in ihm steckte, wusste, dass er tüchtig war.

      5 Maikäfer flieg!

      Sie fanden den kleinen Rico in den späten Abendstunden am Bachufer, durchgefroren und wimmernd saß er dort, die Arme um die Beine geschlungen, den Kopf auf die Knie gelegt. Neben ihm seine Kleider zusammengefaltet auf einem Haufen, daneben eine leere Zigarrenkiste, in der das gewesen war, womit sie ihn angelockt hatten. Er hielt diesen Schatz noch immer fest in seiner Hand, einen Maikäfer, den er so festgedrückt hatte, dass der jetzt tot war.

      Martha musste wieder an ihn denken, jetzt wo die Leute vor ihr auf dem Dorfplatz in ihrem Tun stehen geblieben waren, weil ein Jeep mit zwei amerikanischen Soldaten vor der Waagbank gehalten hatte. Sie kamen öfters in der letzten Zeit, immer samstags, wenn die Frauen auf dem Weg ins Backhaus waren oder die Männer ein Schwein über den Dorfplatz zur Waage zogen, doch heute war zum ersten Mal ein dunkler GI dabei.

      Der Bäcker Körner zog wie jeden Samstag seinen Leiterwagen mit Körben voller Brotlaibe und Brötchen beladen über die Straße auf das Gasthaus zu. Auch bei ihm gab es Amerikaner, weiße und schwarze: Gebäckteilchen mit weißer Zuckerglasur und welche mit schwarzer Schokolade überzogen. Die Kinder liebten diese runden Kuchenstücke viel mehr als den Hefekuchen ihrer Mütter und Großmütter, den diese, auf riesigen Blechen in die Hüfte gestemmt, vom Backhaus nach Hause trugen.

      So wie sie auch die olivfarbenen Döschen liebten, die ihnen die amerikanischen Soldaten zusteckten, wenn sie sich in ihre Nähe wagten.

      „Hello, how gaard’s?“, trauten sich die Mutigen unter ihnen den Soldaten zuzurufen, und die Schüchternen zählten im Hintergrund, „One, two, three, …“, um auch ihr Können zur Geltung zu bringen, in der Hoffnung, dass sie etwas von der Beute abbekommen würden.

      „Hello, good morning kids!“, rief der schwarze der beiden Soldaten ihnen zu und warf ihnen aus dem offenen Jeep Kaugummipäckchen entgegen.

      „Catch it!“, rief er lachend und seine weißen Zähne leuchteten weit über den Rand der Windschutzscheibe hinweg.

      Es blieben noch mehr Leute stehen und die Mütter der beschenkten Kinder eilten herbei, nahmen diesen die Döschen aus der Hand, legten sie auf der Waagbank ab und warfen dem Soldaten einen misstrauischen Blick zu. Die Kinder, die vom Jeep weggezerrt worden waren, murrten nicht allzu sehr, denn sie wussten, dass sie später, wenn die Soldaten fort waren, ihre Beute holen konnten und ihre Mütter neugierig von den Keksen und der Erdnussbutter probieren würden. Für den Moment waren sie froh, dass ihnen wenigstens die Kaugummis geblieben waren.

      Martha war vor der Metzgerei stehen geblieben, Annegret, mit einem Stoffbeutel in der Hand, trat zu ihr, und Liesl, ein Kopf größer als sie, gesellte sich zu den beiden. Liesl war die älteste von den dreien und trug auch werktags keine Schürze. Sie hatte ein leichtes Sommerkleid an, das ihre weiblichen Formen betonte, und über die Schultern ein farbenfrohes Baumwolltuch gelegt. Am Arm hing ein großer Weidenkorb, mit dem sie wie immer viel einkaufen würde.

      Der weiße GI kam vom Dorfplatz über die Straße zum Gasthaus gelaufen, wo er wie immer eine Brotzeit für beide holen würde. Als er an Liesl vorbei ging, grüßte diese keck:

      „Hello, Sir!“

      Er warf ihr einen freundlichen Blick zu:

      „Good morning, nice girl!“

      Im gleichen Moment traf der Bäcker Körner mit seinem Handkarren vor den Stufen der Metzgerei ein und hielt an. Er ließ dem Soldaten den Vortritt, und als die Tür zur Metzgerei mit einem Klingeln zugefallen war, wandte er sich an die Umstehenden und sagte deutlich und laut mit einem Fingerzeig in Richtung des schwarzen Soldaten:

      „Da ham se uns ein Gesocks ins Dorf geschickt.“

      „Es hätt ja net auch noch ein Schwarzer sein müssen“, unterstützte ihn eine der Frauen. „Wer weiß, wie dreckig die sind.“

      Annegret und Martha blickten sich an und hörten, wie die Frau weiter hetzte. „Na, schau dir doch die Handflächen von denen an. Es is scho’ komisch, dass die dort ganz hell sind.“

      Annegret und Martha schluckten, sie wussten, dass die Hautfarbe kein Dreck war. Damals hatten sie Rico, den kleinen dunkelhäutigen Jungen vom Wanderzirkus, weggelockt. Sie wollten herausfinden, ob diese Behauptung stimmte. Liesl hatte einen Eimer mitgebracht, Martha eine Wurzelbürste und Annegret Scheuerpulver. Sie schrubbten ihn, bis er schrie. Liesl, die stärkere von ihnen, hielt ihn fest, Annegret stäubte das Ata Pulver auf seinen kleinen schwarzen Körper und Martha schrubbte ihn mit der Wurzelbürste ab, bis sie ins Schwitzen kam. Liesl tauchte ihn immer wieder in das Wasser des Baches, doch es war nichts zu machen, die Haut blieb schwarz, nur in der Hand war sie hell geblieben und mittlerweile schrumpelig geworden von dem vielen Wasser. Die andere Hand, die Rico zur Faust gemacht hatte, ließ sich nicht öffnen. Sie hörten erst auf, als sie Rufe einer Frau vernahmen, die auf die Steinbrücke gelaufen kam und immer wieder den Namen Rico rief. Sie rannten davon. Erst nach Stunden hatte die Mutter ihren kleinen Jungen wiedergefunden.

      Martha und Annegret schauten zu Liesl hoch, suchten ihren Blick, doch diese hielt den Kopf erhoben und schaute von der Treppe der Metzgerei aus weit über die Menge der Umherstehenden hinweg. Als der weiße Soldat aus der Metzgerei kam, grüßte er Liesl erneut mit „Goodbye, Lady“ und warf ihr einen freundlichen Blick zu.

      Als er über die Straße ging und in seinen Jeep einstieg,

Скачать книгу