Martha schweigt. Anna Neder von der Goltz

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Martha schweigt - Anna Neder von der Goltz

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einen Blick zu und in dem Moment ging die Wirtshaustür auf und Edwin betrat die Gaststube. Er setzte sich zu den Fußballern und bestellte einen Apfelsaft.

      „Danke Martha, schön dich zu sehen“, begrüßte er sie, als sie das Glas vor ihm abstellte.

      Edwin war kein Fußballer, doch alle im Dorf hielten sich mit Kommentaren zurück. Zu mächtig wog der Vorwurf, dass das Gerede im Dorf seinen Vater in den Selbstmord getrieben habe. Edwin saß aufrecht in der Bank, den Kopf erhoben, fragte freundlich, wer das Siegertor geschossen hatte und prostete mit seinem Apfelsaft den anderen zu. So sehr Martha Edwins stoische Ruhe und Stolz bewunderte, so sehr suchte sie doch wieder nach den unruhigen und lachenden Augen von Paul. Er rauchte Zuban, die in der roten Packung. Das würde Martha sich merken.

      Am späten Nachmittag gingen die Fußballer nach Hause, die meisten jungen Männer mussten das Vieh füttern. Manche kamen am Abend zum Schafkopf wieder.

      Edwin, der seinen Apfelsaft an der Theke zahlte, fragte Martha, ob sie nicht mit ihm zum Kirchweihfest gehen wolle, als in dem Moment Paul mit erhobener Hand grüßend an der Theke vorbei zur Wirtshausstube hinausging. Martha wurde rot und stotterte irgendwas, von wegen, dass sie noch nicht wisse, ob ihre Mutter sie weggehen lassen würde, und anderes Zeug.

      Noch während sie die Nachmittagstische abräumte, überlegte Martha schon, dass sie ihre hellen Sommerschuhe mit weißer Creme einschmieren wolle, die Seidenstrümpfe von Antonia anziehen und ihr Sommerkleid mit einem breiten Gürtel mit großer Schnalle zieren würde. Am liebsten hätte sie sich die Haare abgeschnitten und einen Bubikopf getragen, doch das Gerede im Dorf würde das Herz der Mutter nur noch schwerer werden lassen. Mit ihrer Schwester, die im Nachbardorf verheiratet war, würde sie tanzen üben in der Stube, das bräuchte die Mutter ja nicht zu wissen.

      „Pack ihr noch Mohrrüben aus der Sandkiste mit ein, ein Glas Gurken und ein Einmachglas mit Birnenschnitz“, sagte die Mutter, als Martha ihren Rucksack für ihre Schwester Lene packte.

      „Is’ ja schon gut, Mutter, aber das reicht jetzt. Ich schlepp mich ja zu Tode mit dem Rucksack übern Berg.“

      Dass Martha unten in den Rucksack ihr Kleid, die Schuhe und die Lockenschere gepackt hatte, davon ahnte die Mutter nichts. Lene würde sich freuen, sie hatte ein Kleid von Mutter für sie umgenäht, auf Taille und mit Gürtel, vielleicht würde sie ja mit zum Kirchweihtanz kommen, wenn ihr Mann es zulässt.

      Martha eilte mit diesen Gedanken unten zum Dorf hinaus, an den Gärten vorbei, zu den Weinbergen hoch, wo ein Waldweg sie in den Nachbarort führte.

      *

      Martha liebte diesen Weg, sie war ihn schon so oft als kleines Mädchen gegangen, zuerst mit ihrem Vater und dann allein. Wie jetzt im Mai zog sie, wenn sie drüben auf der anderen Seite unten am Bach angekommen war, ihre Wollstrümpfe aus und lief barfuß über das weiche, noch vom Schneewasser getränkte Moos am Waldesrand und kletterte über die sonnenerwärmten Steine der Bachbrücke. Mai bedeutete für sie luftiger Rock, weißes Blütenmeer an Bäumen und Sträuchern, dicke Maiglöckchensträuße, die sie als Kinder pflückten für die Marienaltäre, die in jedem katholischen Elternhaus in der Maienzeit zu finden waren.

      Ihr Geruch ist giftig und dennoch hatten viele Frauen, so wie auch ihre Mutter, den Maialtar in ihrem Schlafzimmer hergerichtet. Die Muttergottesfigur hatte ein blaues Gewand und ein liebliches Gesicht und die Decke des Hausaltars war mit weißen Spitzen umhäkelt. Davor stand ein Schemel mit Kissen, damit es beim Knien und Beten für die Mutter nicht zu hart war. Die Blumenpracht faszinierte Martha, aber die Muttergottesfigur fand sie langweilig.

      Ihre Mutter vertraute ihr kürzlich an, dass sie im hohlen Körper dieser Marienfigur immer ihr Bargeld versteckte – für den Fall, dass mal was mit ihr passieren würde, denn sie und Martha waren seit der Heirat ihrer Schwester allein. Martha musste lachen, drückte die Hand ihrer Mutter und flüsterte ihr zu:

      „Weißt du was, Mama, da leg ich mein verdientes Geld vom Wirtshaus dazu, vielleicht findet ja ein Wunder statt wie bei der Brotvermehrung am See Genezareth. Die Mutter schüttelte den Kopf und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, was nur selten vorkam. Auch aus diesem Grund hatte es Lene schon früh von zuhause fortgezogen.

      *

      Lene breitete die Arme aus, als sie Martha zum Tor hereinkommen sah. Schon auf der Steintreppe vor dem Haus flüsterte sie ihr ins Ohr:

      „Mein Mann ist heute Abend beim Weinbauverein.“

      Martha schmunzelte und nickte. Lene nahm ihr den schweren Rucksack ab und während Lene die Kühe melkte und den Stall fertig machte, brachte Martha ihre Nichte und ihren Neffen ins Bett. Dann wurde noch Lore vom benachbarten Wirtshaus geholt, die ihren Plattenspieler im Koffer und ihre Schellackplatten mitbrachte. Dann konnte es losgehen.

      Der Esstisch wurde zur Seite geschoben, Lene zog ihre Hochzeitsschuhe an und freute sich über das genähte Kleid von ihrer Schwester. Lore zog ein weißes Sommerkleid mit groß bedruckten blauen Blumen und enger Taille an und Martha holte ihre gefärbten Schuhe und ihr Baumwollkleid mit Taillenrock und UBoot- Ausschnitt aus dem Rucksack.

      Die Walzermelodien erklangen und sie summten dazu, während sie sich Arm in Arm durch die Stube drehten. Bei den Swingplatten versuchten sie durch Fersenkicken, Auf- und Abwippen in den Knien, wobei sie den Hintern leicht nach hinten und den Oberkörper nach oben schoben, mit Schritten nach rechts, links, vor und zurück, in Schwung zu kommen. Sie drehten sich im Kreis, bis ihre Röcke hochflogen und ihnen schwindelig wurde und sie sich lachend auf das Kanapee in der Stube plumpsen ließen.

      An diesem Abend legten Martha und Lene sich zu den Kindern ins Bett und Martha erzählte von Paul und ihrem Wunsch Lehrerin zu werden.

      Am nächsten Morgen packte ihr Lene die Hochzeitsschuhe in den Rucksack.

      „Für die Kirchweih“, sagte sie.

      „Aber willst du denn nicht mitkommen?“, fragte Martha.

      „Nein, ich war doch schon“, schüttelte Lene den Kopf. Und als Martha sie erstaunt anschaute, fuhr sie fort, „gestern Abend, weißt du es denn nicht mehr?“

      Es ist so schön eine Schwester zu haben, dachte Martha und als sie oben am Berg ankam und über die Weinberge ins Tal und über das Dorf blickte und die Sonne aufgehen sah, hatte sie das Gefühl, dass die ganze Welt ihr gehörte.

      Mutter dachte, dass sie beim Bedienen im Festzelt aushelfen müsse. Sie wusste nicht, dass Antonia ihr freigegeben hatte. Annegret und Liesl, ihre Schulfreundinnen, winkten schon von Weitem, als sie an der Festwiese ankam. Ihr Tisch stand vorne neben dem selbstgezimmerten Tanzboden, dessen Geländer mit bunten Girlanden geschmückt war, daneben die Trachtenkapelle. Martha setzte sich zu ihnen.

      Annegret befühlte den Stoff von Marthas Sommerkleid und nickte anerkennend, und Liesl, die den breiten Gürtel an ihrer Taille bewunderte, sagte etwas spöttisch: „Na, aber oben rum fehlt dir noch was.“ Martha wurde verlegen, weil sie mit dem prallen Busen ihrer älteren Klassenkameradin nicht mithalten konnte.

      Die gegenseitige Begutachtung wurde unterbrochen von den jungen Dorfburschen, die durch die Bankreihen gingen, mit Maßkrügen und Hüten schwenkend auf sie zukamen und sich zu ihnen setzten.

      Paul war auch dabei und Marthas Herz begann schneller zu klopfen. Er tanzte von Anfang an mit ihr. Sie ließen keinen Tanz aus. Sie genoss sein schönes Lachen, seinen freundlichen Blick und wie er jedes Mal seinen Kopf mit seinen schwarzen Locken beim Drehen nach hinten in den Nacken warf. Er hielt sie zugleich behutsam und fest an den

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