Martha schweigt. Anna Neder von der Goltz

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Martha schweigt - Anna Neder von der Goltz страница 9

Martha schweigt - Anna Neder von der Goltz

Скачать книгу

den letzten Kriegstagen kam eine Frau auf den Hof gerannt und rief: „Bürgermeister, die Amerikaner kommen, sie sind schon bei den Weinbergen, schnell, Sie müssen was tun“, rief sie ganz außer Atem.

      Vater befahl Mutter ein Bettlaken zu holen und Ferdinand die Apfelpflückstange aus der Scheune, an die das weiße Laken gebunden wurde. Mit dieser weißen Friedensfahne in der Hand und seinem hinkenden Sohn an der Seite ging er den amerikanischen Soldaten auf den Weinbergwegen entgegen und überreichte ihnen den Rathausschlüssel.

      „Es fiel kein einziger Schuss, Opa rettete unser Dorf “, prahlte sein Neffe jeden Sonntag beim gemeinsamen Mittagessen, bei dem die ganze Familie zusammensaß, eine Tradition, die Mutter nach dem Krieg hatte wiederaufleben lassen.

      „Weißt du, dass Vater nicht mal in der Partei war?“, wandte sich sein Bruder Ferdinand jetzt an ihn.

      „Mutter hatte ihn ins Rathaus nach Ellersbach geschickt, damit er sich als Parteimitglied eintrage. Aber Vater“, so erzählte dieser weiter, „war damals auf halbem Weg umgekehrt und all die Hitlerjahre hindurch hatte niemand gemerkt, dass er gar nicht in der Partei gewesen ist. Vater ist ein Held!“

      Mutter klopfte bei diesen Worten sanft auf Vaters Schulter und setzte sich neben ihn. Er nahm ihre Hand und wollte mild und versöhnlich wirken, als er sagte:

      „Ja, manchmal sind es die Daheimgeblieben, die ihren Mann stehen und das Vaterland retten müssen.“

      Friedrich spürte, wie ihm der Sauerbraten aufstieß und einen bitteren Geschmack im Mund hinterließ.

      „Ich muss gehen, meine kranke Frau wartet zuhause.“ Er stand ruckartig auf und murmelte noch „Gesegnete Mahlzeit!“

      Mutter fing ihn an der Haustür ab und bat ihn zu warten, sie wolle für seine Frau noch etwas zum Einreiben mitschicken. Auch Gernot, der Jüngere der beiden Neffen, kam hinter ihm hergerannt:

      „Onkel Friedrich, wann gehen wir wieder auf Rebhuhnjagd?“

      „Bald“, antwortete Friedrich und tätschelte die Wange von Gernot. Er wurde jedes Mal schwach, wenn er die strahlend blauen Augen und den blonden Lockenkopf seines Neffen sah, die ihn immer wieder an seinen Bruder Schorsch erinnerten. Mutter hielt ihn am Arm fest, als sie ihm den Beutel mit dem Glas Gänseschmalz und einem Stoffsäckchen mit getrockneten Brennesselblättern in die Hand drückte.

      „Dein Vater hat das nicht so gemeint, er war doch selbst im Krieg.“

      „Ach was, für sein Drückebergertum müsste man ihn noch im Nachhinein erschießen“, entfuhr es Friedrich zornig, bevor er sich von ihr losriss.

      „Friedrich, versündige dich nicht, um Gottes Willen!“, stieß Mutter hervor und als sie ihn die Treppe hinunter und zum Hof hinausgehen sah, bekreuzigte sie sich.

      Friedrich war aufgewühlt von dem Geschwätz und quälte sich den ganzen Weg durch den Wald zurück nach Hause mit Gedanken über Sünde und Strafe. Wofür wurde er eigentlich bestraft, fragte er sich.

      Schorsch, seinen Bruder, den er so geliebt hatte, hatte er verloren, seine Frau war krank, seine Ehe blieb kinderlos und für seinen Einsatz im Krieg wurde er nun mit der Häme der Drückeberger überschüttet – war dies nicht alles Strafe? Aber wofür?

      Er verfluchte sich und die Welt und merkte, wie bei diesen Gedanken sein Kopf schwer wurde und er ließ ihn in beide Hände auf die Schreibtischplatte fallen. Als er wieder zu sich kam, seinen Kopf hob, sah er das Bild von Schorsch auf seinem Schreibtisch stehen und spürte, wie sehr er ihn noch immer vermisste, als draußen ein Ast vom Baum herunterkrachte.

      Es war Paul, er hatte ihn gebeten, die Obstbäume zu schneiden. Paul war jung, ein ehemaliger Schüler von ihm – auch er war im Krieg gewesen.

      Durchs Fenster beobachtete er, wie Paul auf den Bäumen herumkletterte und die Äste für den nächsten Austrieb zurückschnitt. Mit seinen weit ausholenden, gestreckten Armen lockerte er die abgeschnittenen Zweige aus dem Geäst und warf sie auf die Erde. Friedrich konnte die Muskeln seiner Oberarme und seiner Schultern unter dem Hemd erkennen, wie diese sich zusammenzogen und gespannt weiteten, wenn wieder ein Ast Richtung Boden fiel. Der Schweiß rann ihm den Nacken hinunter und in seinen dunklen Locken verfing sich das eine oder andere trockene Blatt des Baumes. Friedrich spürte den Schmerz, eine Sehnsucht in der Brust, die ihn fast zerriss. – Wie gerne wäre er noch einmal jung gewesen.

      7 Liebesreigen

      Martha konnte es noch immer nicht glauben. Antonia, die junge Wirtshausbesitzerin war zu Besuch da gewesen. Sie hatte Bohnenkaffee mitgebracht, von dem die Mutter gleich welchen aufbrühte, und Seidenstrümpfe für Martha. Ob Martha am Wochenende beim Bedienen helfen könne, hatte sie gefragt. Die Mutter nickte und ließ sich auf den Stuhl sinken und Martha konnte ihr Glück kaum fassen.

      Antonia, auch Toni genannt, die nur fünfzehn Jahre älter war als sie, führte den Gasthof im Dorf. Martha hatte von den Tanzabenden mit modernem Swing und Schlagern gehört, die bei Antonia im Saal stattfanden. Antonia fuhr das erste Auto im Dorf und wenn sie montags am Ruhetag vom Einkaufen aus der Stadt zurückkam, warteten die Frauen aus der Metzgerei schon vor ihrem Haus gespannt darauf, was sie dieses Mal für sie mitgebracht hatte: Bett- und Tischwäsche, Kleider, Dessous, Nagellack, Lippenstift. Es hatte sich schon herumgesprochen, was danach hinter verschlossenen Fensterläden anprobiert wurde, wo nur lautes Gelächter zu vernehmen war und manchmal Zigarettenschwaden aus den Ritzen der Fensterläden hervordrangen. Die Modeschau der Frauen vom Dorf, mit selbstgemachtem Eierlikör in Schokokeksgläschen und Salzbrezeln und Goldfischli dazu. Martha hoffte, dass auch sie eines Tages in diese Runde aufgenommen werden würde, doch zuerst wünschte sie sich etwas anderes von Antonia. Sie wusste, dass deren jüngere Schwester Erna auf der höheren Schule war, der Lehrer hatte es zugelassen. Sie würde bestimmt das Geheimnis erfahren, wie sie es geschafft hatte und Antonia würde ihr sicherlich dabei helfen.

      Es passierte gleich am ersten Wochenende, an dem sie bediente. Sie hatte das Mittagsgeschirr zurück in die Großküche getragen, als schon die ersten Fußballer eintrudelten und nach ihrem Maß Bier verlangten.

      Paul war anders, er grölte nicht, sagte „bitteschön“ und überhaupt war Schreien nicht sein Ding.

      „Bitte ein Radler“, bestellte er und lächelte Martha mit seinen dunklen Augen unter seinem schwarzen Lockenschopf an.

      „Wer bist du denn?“, hatte er gefragt, „dich hab ich hier noch nie g’sehn.“

      „Und du?“, gab Martha keck zurück, „wer bist du?“

      „Komm, bring dem Paul ’ne Maß, 1:0 haben wir gewonnen, wegen ihm“, hörte sie einen Fußballer aus der Runde rufen.

      Hinter der Theke erzählte Antonia ihr dann, dass der Paul wieder vom Krieg zurück ist. Und als sie Paul das Radler brachte, beschwerte sich Anton, wo denn seine Maß bliebe.

      „Zuerst die, die sich benehmen können“, frotzelte Martha und schlug seinen Arm weg, mit dem Anton sie um die Hüfte packen wollte.

      „Oh, die hilft zu unserm Paul“, betonte Anton. „Aber Paul, schlag sie dir aus dem Kopf, du bist einer von uns und Martha will sowieso in die Stadt, Lehrerin werden“, sagte er jetzt mit gehobener Stimme und zog die Augenbrauen dabei hoch.

      „Wo bleibt denn die Maß?“ grölte Franz aus der Ecke, „die Sieger ham Durst.“

      Martha

Скачать книгу