Martha schweigt. Anna Neder von der Goltz

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Martha schweigt - Anna Neder von der Goltz

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beharrte ein Jüngerer, „das letzte Saatgut haben wir raus geschaufelt, als die Halle den Flüchtlingen zugewiesen wurde, wer weiß, was die da für Krankheiten aus dem Osten oder vom Russ’ mitgebracht haben?“

      „Die haben doch selbst nichts zu fressen gehabt, wie sollen die denn da was mit eingeschleppt haben!“, hörte man wieder eine Männerstimme einwenden.

      „Die hatten Geld!“, beharrte der Jüngere erneut, „neulich hat mir einer von denen einen Messingkerzenständer angeboten, für einen Laib Brot. Ich weiß nicht, was die dort oben noch auf ihrem Dachboden gebunkert hatten.“

      „Von einem Kerzenständer wirst du halt nicht satt, was soll denn des Geschwätz“, mischte sich die ältere Frau nun wieder ein.

      „Naja, wer weiß, ob die den net aus der Kirche geklaut haben?“, ereiferte sich der Jüngere weiter.

      „Spinnst du denn jetzt ganz und gar?“, fuhr ihn die Alte aufgebracht an.

      „Des sind doch Protestanten, die achten doch nicht die Heiligenbilder und des Kreuz in der Kirch, die haben keine Beichte und wissen auch gar net, was a Sünd ist“, triumphierte dieser jetzt laut über die Köpfe der Menge hinweg, wobei einzelne zustimmend nickten.

      Die alte Frau schüttelte wieder den Kopf, machte sich den Weg frei durch die Menge, zeigte mit dem Finger auf den Jüngeren und sagte:

      „Du warst schon immer ein dummer und gehässiger Bub!“ Dann drehte sie sich um und ging.

      „Und des Mutterkorn?“, rief er ihr laut hinterher, „was ist denn mit den Kindern, mit ihren tauben Fingern und Zehen und den roten aufgeplatzten Grinden in ihrem Gesicht?“

      „Heilige Maria Mutter Gottes“, brabbelte jemand hinter Martha vor sich hin. Und als Martha sich umdrehte, sah sie, dass die Frau sich bekreuzigte. „Sie haben uns das Antoniusfeuer mitgebracht und jetzt ist es ihnen vom Herrgott zurückgegeben worden, des Antoniusfeuer, das Mutterkorn …“

      Der Jüngere, der Sepp hieß, ließ nicht locker und verkündete weiter: „Dem Körner sein Kind kam neulich mit ’ner Behinderung auf die Welt. Zeit seines Lebens wird der net wieder gesund werden. – Des bringt uns diese Brut mit ins Dorf!“

      „Beruhig dich, Sepp“, sagte jetzt eine Frau hinter ihm, die ihn am Arm aus der Menge zog und mit sich nach Hause nahm. Es war seine Mutter, die ein wachsames Auge auf ihren Sohn warf, seitdem dieser vom Militärdienst wegen seiner dicken Brillengläser abgelehnt worden war und im Feld nicht seinen Mann hatte stehen können.

      Edwin, Annegret und Martha blickten sich irritiert an. Dann drehte Edwin sich wortlos um und ging nach Hause. Annegret packte Martha am Arm und zog sie mit hinauf zur hinteren Bergstraße, von wo aus sie einen weiten Blick über das verkohlte Lagerhaus hatten.

      „Der Paul ist wieder da, weißt du’s schon?“, sagte Annegret ganz aufgeregt.

      Martha, die ihren Blick noch immer nicht vom Ort des Geschehens abwenden konnte, seufzte tief: „Jetzt haben sie unsere Welt verbrannt.“

      „Sei nicht albern“, stieß Annegret sie in die Seite, „des waren doch nur Kindereien.“

      „Kommst du mit?“, fragte sie und fasste Martha an der Hand, „wir laufen die Kirchgasse hinunter an Pauls Hof vorbei, vielleicht sehn wir ihn ja.“

      Martha ließ ihre Hand los, ihr war nicht nach Rennen zumute und verwirrt fragte sie: „Wer ist denn dieser Paul?“

      „Dem Karl sein Bruder, kannst du dich denn nicht mehr erinnern, der war bei uns in der Schule?“

      Martha schüttelte den Kopf. Annegret war zwei Jahre älter als sie und es gab nur eine Dorfschulklasse, doch sie konnte sich nicht erinnern.

      „Naja, du warst ja damals noch ein Kind, als die zum Krieg eingezogen wurden“, kommentierte sie Marthas Erinnerungslücke.

      Martha schaute sie mit großen Augen an. Annegret packte sie an beiden Armen und schüttelte sie.

      „Heute Abend auf dem Dorfplatz treffen wir uns an der Waagbank neben dem Backhaus. Kommst du?“, fragte Annegret.

      Martha zuckte mit den Schultern.

      „Die Liesl hat gesagt, die jungen Burschen kommen auch“, versuchte sie die Freundin zu begeistern.

      Martha löste sich aus dem Haltegriff Annegrets, die sich noch einmal umdrehte, bevor sie die Bergstraße mit großen Sprüngen hinunterrannte und ihr zurief: „Also, bis heute Abend!“

      Martha lief gern die hintere Bergstraße entlang. Von dort aus konnte sie in die Gärten und Höfe der Häuschen blicken, die am Hang zur Dorfstraße hin gebaut worden waren. Sie sah die Kaninchenställe und die freilaufenden Hühner hinten im Hof, die nach den restlichen Körnern pickten, die Frauen, die Wäsche an die Leine hängten – es war immer jemand zuhause. Am Scheunentor hingen Kaninchenfelle, die auf Holzgestellen zum Trocknen aufgezogen worden waren. Sie musste an ihren Vater denken, der immer Tränen in den Augen hatte, wenn er wieder einen Hasen mit einem Nackenschlag getötet oder einem Huhn mit dem Beil den Kopf abgehackt hatte. Sie vermisste ihn sehr. Mit Mutter allein war alles so dunkel und trostlos im Haus.

      Doch als sie wieder an die verbrannte Welt des Lagerhausspeichers dachte, wich ihre Traurigkeit einer Wut, einem Entsetzen darüber, was sich Menschen antun können. Gleichzeitig spürte sie eine beängstigende Unruhe in sich aufkommen, eine Ahnung, ein Gedanke, dass vielleicht noch Schlimmeres passieren könnte.

      4 Heimkehr

      Auf dem Feldweg unterhalb der Weinberge lief ein Mann auf das Dorf zu. Die Stiefel an seinen Füßen schienen zu schwer für seinen schmalen Körper zu sein und doch setzte er entschlossen jeden Schritt vor den anderen, so als ob er sein Ziel kannte.

      Nichts als heim, dachte Paul, heim zur Mutter, heim ins Dorf. Mutter hatte ihm über die Feldpost geschrieben, dass sein Bruder Karl gefallen war und sein Vater als vermisst galt, doch er wollte nur nach Hause, einfach nach Hause.

      Er wischte sich mit der staubigen Hand über die Stirn und hoffte, dass niemand fragen würde. Das Gewehr drückte schwer auf seinen Schultern, ebenso das Gewicht seines leeren Rucksackes, an dessen Riemen ein Kaffeebecher baumelte. Das Gewehr hatte ihm auf der langen Strecke durch Wald und Wiesen geholfen zu überleben, jetzt würde er es nicht mehr brauchen.

      An den Weinstöcken am Wegesrand konnte er schon die ersten Triebe an den Reben erkennen und musste an all die Jahre denken, wie sie als Kinder bei der Weinlese am Abend mit nackten Füßen die Trauben in der Kelter festgestampft hatten und danach den ersten Most kosteten, der über eine äußere Rinne in einen Eimer gelaufen war. Die Arbeit dauerte oft bis spät in die Nacht, doch jedes Mal war es ein Freudenfest.

      In seinem Innern erklang die Musik von damals und beschwor Bilder von lachenden Mädchengesichtern herauf. Er versuchte sich vorzustellen, wie Annegret und Liesl wohl jetzt aussehen mochten und musste dabei schmunzeln, als plötzlich zwei Gestalten auf dem Feldweg vor ihm auftauchten und seine Erinnerungen vertrieben.

      Er warf sich ins nächste Gebüsch und hielt den Atem an. Er wollte nicht gefunden werden, noch nicht. Einer der beiden Gestalten hielt eine Fahne in den Händen, die im Wind flatterte. Als sie näherkamen, spürte Paul, wie er zu keuchen anfing. Er hatte so viele Male im Krieg den Atem anhalten müssen, so dass sich sein Mund seit einiger Zeit wie von selbst öffnete,

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