Toter Kerl. Tim Herden

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Toter Kerl - Tim Herden

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Inselberges mit seiner doppelten Kuppe war es noch ein Stück.

      Von Juni bis September war das Elses täglicher Lebensrhythmus. Kaum war die Sonne über dem Bodden blutrot aufgetaucht und hatte ihr Licht durch das kleine Dachfenster ihrer Ferienwohnung geworfen, stand sie auf. Früher war das kleine Holzhäuschen auf dem brögeschen Grundstück, rechter Hand, kurz vor Grieben, der Hühnerstall gewesen. Und schon damals, in den Achtzigerjahren, hatte Else Bars in dem kleinen Abstellraum unter dem Dach im Sommer ihren Urlaub auf Hiddensee verbracht. Die Hühner waren längst geschlachtet und Bröges hatten das Häuschen umgebaut. Unten gab es einen Raum mit kleiner Kochnische und ein paar alten Möbeln aus dem Haupthaus. Oben unterm Dach war die kleine Schlafkammer. Aufs Klo musste sie weiter zu Bröges ins Haus. Zum Waschen blieb ihr das kleine Abwaschbecken. Eine Dusche brauchte Else sowieso nicht. Dafür gab es die Ostsee. Und fünfzehn Euro pro Tag waren ein unschlagbarer Preis für Hiddenseer Verhältnisse. Doch auch die mussten erst mal verdient werden. Und für Essen und Trinken brauchte Else auch noch etwas Geld. Außerdem musste sie für den Winter ein kleines finanzielles Polster anlegen, um die kalte Jahreszeit auf den Kanaren zu verbringen. Sie hasste die Kälte in Deutschland.

      So zog sie jeden Morgen los, um die Insel mit Kreide, Pastell- oder Ölfarben ins Bild zu setzen. Nachmittags baute sie einen Campingtisch in Kloster auf, neben dem Supermarkt auf der Straße zum Hafen, und versuchte ihre Bilder zu verkaufen. Der Standort war günstig, denn hier kamen alle Reisegruppen auf dem Weg zum Schiff vorbei und mancher wollte eine besondere Erinnerung an die Insel mitnehmen. Von den Inseleindrücken froh gestimmt, wurde dabei oft auch nicht lange über den Preis diskutiert. Und dann drängte auch die Zeit, das Schiff zu erreichen.

      Else hatte festgestellt: Leuchtturm ging immer. Der Signalturm oberhalb des Dornbuschs war bei den Inselgästen als Motiv besonders gefragt. Else hatte sich aber einen kleinen Vorteil verschafft. Die anderen Inselmaler setzten den Leuchtturm immer mit dem Windflüchter daneben in Szene, einer Kiefer, deren Spitze vom dauernden Ostseewind fast rechtwinklig umgebogen war und wie ein Finger zum Turm zeigte. Else dagegen nahm den steilen Pfad zum Swantiberg auf sich. Von dort gesehen fügte sich der weiße Turm mit der roten Spitze harmonisch in die sanften grünen Hügel des Inselhochlandes ein. Und dieser ungewöhnliche Blick zog bei den Touristen. Heute hatte sie sich ein neues Motiv überlegt.

      Else atmete noch einmal kräftig durch. Dann stand sie auf und erklomm den kleinen sandigen Pfad hinauf zur Spitze des Swantiberges. Unten in der Tiefe rauschte die Ostsee. Der Wind pfiff hier oben auch stärker. Aber das schreckte Else nicht ab. Ein paar Sandkörner auf einem Bild sah sie weniger als Verschmutzung, vielmehr als authentisches Souvenir. Der Käufer nahm dann wirklich ein Stück von der Insel mit nach Hause. Heute Morgen wollte sie aber etwas bergab in Richtung Enddorn. Dort stieg sie über den Holzzaun, der die Touristen davon abhalten sollte, die Kante des Steilufers zu betreten. Else hielt das nicht auf. Sie wollte den Leuchtturm malen mit der schroffen Steilküste im Vordergrund. Dazu musste sie fast bis an die Abbruchkante, um Leuchtturm und Steilküste auf ein Bild zu bekommen. Dort baute sie ihr kleines Freiluftatelier auf. Beim Blick in die Tiefe wurde ihr etwas schwindelig. Außerdem plagten sie heftige Kopfschmerzen. Else hatte gestern den neuen Elsässer Rotwein im „Wieseneck“ entdeckt. Aber irgendetwas stimmte auch bei nüchterner Betrachtung nicht an dem Bild. Es war dieser rote Farbfleck auf dem Felsvorsprung, gut zehn Meter unter der Felskante. Sie holte ihr altes Fernglas aus dem Rucksack und schaute in die Tiefe. Ein Schrecken durchfuhr ihre Glieder. Sie stieß einen Schrei aus. Nur mit Mühe konnte sie das Gleichgewicht halten. Der rote Fleck entpuppte sich als Jacke und gehörte zu einem leblosen Körper, der rücklings über den Felsvorsprung lag. Aus dem Ärmel der Jacke ragte eine Hand heraus und zeigte in den Himmel.

      X

      HK Rieder? Hören Sie mich?“ Der Polizist schaute verschlafen auf das Display seines Mobiltelefons. „Hier ist die Einsatzzentrale Bergen.“

      „Ja, hier ist Hauptkommissar Rieder, was gibt’s?“

      „Abgestürzte Person am Steilufer am Swantiberg auf Hiddensee. Könnten Sie bitte übernehmen?“

      Rieder schüttelte sich. „Wo in Gottes Namen ist der Swantiberg?“

      „Lieber Kollege, das ist Ihr Revier, nicht unseres. Es wäre eigentlich ganz nett, wenn Sie wüssten, wo was auf Hiddensee ist. Vielleicht kann Ihnen ja der Kollege Damp weiterhelfen.“

      „Ja, sicher. Super Tipp“, gab Rieder sarkastisch zurück. „Sonst noch was?“

      „Eine Frau Else Bars hat den Fund gemeldet. Wir haben auch schon die freiwillige Feuerwehr und den Inselarzt informiert. Sie sind zur Fundstelle unterwegs. Ende.“

      „Ende.“

      „Was ist los?“, meldete sich Charlotte Dobbert von der anderen Seite des Bettes. Ihre langen Haare hatten sich wie ein Schleier über das Kopfkissen gelegt.

      „Jemand ist am Steilufer abgestürzt.“

      Sie richtete sich auf und fragte entsetzt: „Der Pfarrer?“

      Rieder zuckte mit den Schultern, arbeitete sich aus dem Bett und schlüpfte in seine Sachen. Für eine Dusche blieb keine Zeit. Gerade darauf hatte er sich gefreut, weil sein kleines Häuschen in Vitte nicht den Luxus eines Badezimmers bot. Er setzte sich noch einmal auf die Bettkante und wählte die Nummer von Damp. Der war schon beim Frühstück, worum ihn Rieder beneidete. Denn das würde wohl wie die Dusche auch ausfallen. Damp versprach, sofort zum „Strandcafé“ zu kommen, um ihn abzuholen.

      Keine drei Minuten später saß Rieder neben Damp im Wagen und mit Blaulicht und Sirene ging es in den Inselnorden. Auf dem Wiesenweg in Vitte rannten Männer in braunen Uniformen in Richtung Hafen. Dort stand das Fahrzeug der freiwilligen Feuerwehr schon vor seiner Garage und wartete auf die Reste der Rettungsmannschaft. Der rote Lkw aus DDR-Zeiten tuckerte schon. Der Auspuff über dem Fahrerhaus blies blaue Rauchwolken her­aus. Hinter Vitte, auf der Straße nach Kloster, gab Damp richtig Gas und holte noch den Jeep vom Inselarzt ein. In Kloster schloss sich ihnen der Krankenwagen an. Der kleine Konvoi durchfuhr in hohem Tempo Grieben.

      Touristen und Insulaner, die so früh schon unterwegs waren, sprangen zur Seite und blickten verdutzt den Fahrzeugen hinterher. Rieder konnte im Seitenspiegel erkennen, dass einige mit Fahrrädern oder zu Fuß die Verfolgung aufnahmen. Hinter Grieben bogen die Autos links ab in den Honiggrund. Der Weg führte zu den alten Leuchtturmwärterhäuschen. Die Stoßdämpfer mussten Schwerstarbeit leisten bei der rasanten Fahrt über die alten Betonplatten. Sie kamen zu einer kleinen Lichtung kurz vor dem Steil­ufer. Dort wartete eine grauhaarige Frau in einer gelben Regenjacke und winkte ihnen hektisch zu. Damp bremste scharf. Die Polizisten, der Arzt und der Sanitäter sprangen aus ihren Fahrzeugen.

      Die Frau stürmte den Männern voran den schmalen Pfad zum Swantiberg hinauf, führte sie im Laufschritt um dessen Kuppe her­um zu den Kreidefelsen. Dort deutete sie in Richtung Abgrund.

      Rieder konnte zunächst nichts erkennen. „Wo soll da was sein?“, fragte er Else Bars ungeduldig. Die Frau riss sich ihr Fernglas von der Brust und reichte es Rieder. Er schaute hindurch. Da entdeckte auch er den leblosen Körper in der roten Jacke auf dem Felsvorsprung.

      Inzwischen kam Feuerwehrkommandant Barnhöft mit seinen Männern am Unglücksort an. Einige hatten Seile über den Schultern.

      Rieder fragte Barnhöft: „Kommen Sie da ran?“

      Lutz Barnhöft nahm die blaue Schirmmütze vom Kopf, wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und schüttelte den Kopf. „Zu gefährlich. Wenn wir hier an der Abbruchkante einen Mann abseilen, besteht die Gefahr, dass wir alle in der Tiefe landen. Die Kreidefelsen

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