Toter Kerl. Tim Herden
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„Wie haben Sie sich auf der Insel eingelebt?“, riss der Pfarrer Rieder aus seinen Gedanken.
„Geht so. Hier läuft das Leben anders als in Berlin. Ruhiger.“
„Sie sind auch erst ein paar Monate da.“
„Es werden jetzt fünf. Und der Sommer lässt nicht mal den Gedanken auf Langeweile aufkommen. Es ist immer noch schön, abends von meinem kleinen Dachfenster in Vitte den wandernden Lichtstrahl des Leuchtturms zu sehen.“
Der Pfarrer lachte auf. „Klingt wie eine Urlaubspostkarte. Die Winter können lang werden, und wenn man dann nicht fliehen kann …“ Dabei sah er zu einem Kirchenfenster, vor dem sich die Äste der riesigen Bäume vor der Kirche sanft im leichten Ostseewind wiegten. „Eigentlich bin ich hier nie richtig heimisch geworden.“
„Kamen Sie auch aus einer Großstadt?“
„Nein, aus einem kleinen Nest. Aber es ist nicht nur das“, antwortete Schneider nachdenklich. Dann wandte er sich wieder Rieder zu. „Die Hiddenseer sind einfach schwer zu knacken. Und wir sind nie richtig miteinander warm geworden. Was schlecht ist für einen Pfarrer. Verstehen Sie.“
„Ich weiß, was Sie meinen. Aber es ist auch noch nicht ausgemacht, dass ich mein ganzes Leben hier verbringen werde.“
„Das kann ich Ihnen auch kaum raten. Sie sind zu verschieden von dem Menschenschlag hier.“ Nach einer kurzen Pause fügte der Pfarrer hinzu: „Man kann schnell sehr einsam werden auf der Insel.“
Dann aber war Schneider mit Schwung aufgestanden, als hätte er sich dieses Eingeständnis nicht erlauben dürfen. „Aber es gibt kaum einen schöneren Platz auf dieser Erde.“
VIII
Soll ich Sie am ‚Strandcafé‘ absetzen?“ Rieder erschrak. Sie hatten den Ortseingang von Neuendorf erreicht. Das Polizeiauto fuhr gerade über den kleinen Deich am Ortseingang von Neuendorf.
„Ja, das wäre nett.“
Das „Strandcafé“ betrieb Rieders Freundin Charlotte Dobbert. Die junge Frau mit den blonden Haaren stand hinter dem Tresen und kommandierte von dort wie ein Feldmarschall ihre beiden Kellnerinnen durch das voll besetzte Lokal, versorgte sie ohne Unterlass mit Getränken und Speisen aus der Küche, rief ihnen zu, für welchen Tisch gerade die Bestellung bereitstand. Weder auf der Terrasse zum Meer noch im Gastraum war ein Platz frei. Rieder stellte sich an die Bar. Charlotte beugte sich kurz rüber und küsste ihn.
„Und habt ihr ihn gefunden“, fragte sie.
„Wen?“
Sie zog die Augenbrauen nach oben. „Na wen wohl? Den Pfarrer?“
„Hat sich das schon rumgesprochen?“
Sie schüttelte lachend den Kopf. „Wann begreifst du das endlich: Hiddensee ist ein Dorf. Außerdem muss es da oben am Enddorn einen ganz schönen Auflauf gegeben haben, nachdem die Feuerwehr angerückt ist.“
„Kann ich ein Bier haben?“, versuchte Rieder das Thema zu wechseln.
„Erst wenn ich Informationen bekomme.“ Und damit wanderte das nächste frisch gezapfte Bier an ihm vorbei auf ein wagenradgroßes Tablett für einen Tisch mit acht Personen.
Frauen konnten anstrengend sein, dachte Rieder, aber was soll’s. Er gab nach.
„Wir haben ihn nicht gefunden.“
Das nächste Bier landete bei ihm.
„Siehste, geht doch. Und stimmt das mit den Einschüssen?“
Rieder wunderte sich. „Sag mal, Damp war doch noch gar nicht hier. Woher weißt du das alles?“
„Quellen, mein Lieber. Was zu essen?“
Rieder nickte.
„Einmal Dorschfilet in Senfsoße plus extra Bratkartoffeln zum Tresen“, rief Charlotte in die Küche.
Wenig später landete vor dem Polizisten ein Teller mit duftendem gebratenen Fisch, der in einer honiggelben Soße schwamm, dazu ein Berg Bratkartoffeln. Allein der Anblick löste Glücksgefühle in ihm aus. Vor weiteren Fragen von Charlotte blieb er verschont, denn kaum leerte sich ein Tisch, nahmen auch schon neue Gäste Platz. So würde es noch bis kurz nach neun gehen. Dann wären auf einen Schlag die Gäste verschwunden. Einige zog es noch zum Strand, um den Sonnenuntergang zu genießen, andere pilgerten nach Vitte zur Spätvorstellung im Zeltkino. Ansonsten war Hiddensee kein Pflaster für Nachtschwärmer. Die überwiegende Zahl der Gäste waren ältere Ehepaare oder Familien mit Kindern. Sie zogen sich am Abend meist in ihre Unterkünfte zurück. Stille senkte sich über die Insel.
Rieder hatte sich mit seinem Bier an einen der Tische auf der Terrasse gesetzt und die Augen geschlossen. Er lauschte dem Anschlagen der Wellen am nahen Strand. Als er sie wieder öffnete, saß Charlotte neben ihm und lächelte ihn an.
„Na, wo drückt der Schuh?“
„Na wo wohl? Der Pfarrer ist nicht irgendjemand. Bökemüller ist ziemlich nervös.“ Er machte eine kurze Pause, nahm einen Schluck. „Und ich auch. Wenn Schneider etwas passiert ist, gibt es einen Aufstand. Dann schicken die sicher Leute vom LKA.“
Charlottes Miene hatte sich verdüstert. „Du meinst, er ist tot?“
Rieder winkte mit der Hand, um ihren Ton zu dämpfen. „Nicht so laut.“ Dann zuckte er mit den Schultern. Nachdenklich fragte er mehr sich selbst: „Wo könnte er sonst sein?“
Mitten in der Nacht erwachte Rieder. Sofort drehten sich seine Gedanken um den verschwundenen Pfarrer. Charlotte hatte versucht, ihn abzulenken. Nachdem sie in ihre kleine Wohnung über dem Restaurant gegangen waren, hatte sie sich den Geruch von gebratenem Fett und kaltem Rauch in einer langen Dusche vom Körper gespült. Dann war sie nackt aus dem Bad getreten, einige Wassertropfen glänzten noch auf ihrer Haut. Rieder war eigentlich schon kurz vor dem Einschlafen gewesen, doch ihr Anblick hatte ihn erregt, er hatte sich aufgerichtet und seine Freundin an sich herangezogen … Als sie sich später aus ihrer Umarmung gelöst hatten, waren beide erschöpft in den Schlaf gesunken.
Doch nur wenige Stunden hatte dieser Zustand bei Rieder angehalten. Ein Blick auf den Wecker: kurz vor drei. Hatte er etwas am Schiff übersehen? Einen Hinweis? Was bedeutete der Brief? Rieder versuchte, Jens-Uwe Schneider wenigstens noch für ein paar Stunden aus seinem Gehirn zu vertreiben. Er griff nach seinem MP3-Player, stopfte sich die Kopfhörer in die Ohren und ließ sich von Bachs Chorälen umspülen. Er versank in der Musik und döste langsam wieder ein.
IX
Else Bars schnaufte. Der Rucksack mit den Farben, dem kleinen Wasserkanister und der darüber gebundenen Staffelei drückte auf ihren Rücken. Unter dem Arm trug sie eine bespannte Leinwand. Der Weg hinauf zum Swantiberg war beschwerlich. Immer wieder schlugen ihr die Äste der Ginsterbüsche ins Gesicht. Die feinen Netze der Spinnen, sorgsam gewebt in der Nacht, wenn keiner ihre Ruhe störte, verfingen sich in Elses Haaren. Sie schüttelte sich. Hin und wieder war das Summen von Fliegen und Hummeln zu hören. Vögel schreckten durch ihre Schritte aus dem Gestrüpp und flogen ihr ein Stück