Toter Kerl. Tim Herden

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Toter Kerl - Tim Herden

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auf zum Pfarrer. Damp stand auf, stopfte sein zerknittertes Uniformhemd in die Hose und versuchte mit den Fingern seinen strubbeligen Haaren so etwas wie eine Frisur zu geben. Dann stiefelte er aus dem Büro und stieg in seinen Streifenwagen, dessen Federn unter Damps Gewicht ächzten.

      Eigentlich kam ihm die Sache mit dem Pfarrer ganz recht. Während der Vorbereitungen für die Preisverleihung und den Empfang hatte Schneider Damp immer von oben herab behandelt und ihn leicht belächelt, weil er viele Ehrengäste nicht kannte. Und gestern nach dem ganzen Aufstand – kein Wort des Dankes.

      Zeit fürs Rückspiel. Der Pfarrer würde sich wundern. Wahrscheinlich hatte er besoffen nach der Feier sein Boot auf Grund gesetzt, war dann nach Hause getorkelt und schlief jetzt dort seinen Rausch aus. Damp würde ihn unsanft wecken.

      Er parkte den Streifenwagen auf dem Parkplatz für die Pferdekutschen neben der Inselkirche in Kloster. Dann ging er zum Pfarrhaus, das sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand. Bevor er klingelte, fiel sein Blick auf den Spruch an der Häuserwand. Neben einem gemalten Segelschiff stand dort: „Gottes sind Wogen und Wind, aber Segel und Steuer sind Euer …“ Damp musste grinsen. Wie passend! Da hatte wohl der Pfarrer sich etwas zu viel auf die himmlischen Kräfte verlassen und dadurch Schiffbruch erlitten. Nach dem Läuten wurde sofort die Tür aufgerissen. Damp schaute in das entgeisterte Gesicht von Birgit Thurow. Drei Tage die Woche arbeitete sie als Küsterin im Hiddenseer Pfarramt.

      Wie in Zeitlupe löste sich ihre Erstarrung. „Was wollen Sie hier?“

      „Kann ich Herrn Schneider sprechen?“, fragte Damp und verwendete ganz bewusst nicht die Bezeichnung Pfarrer, denn hier ging es nicht um die Amtsperson, sondern um den Bürger.

      Birgit Thurow schnäuzte sich. Wahrscheinlich hatte sie wieder Ärger mit ihrem Mann, dachte sich der Polizist. Manfred Thurow war Fischer, einer der letzten auf Hiddensee. Er galt als Eigenbrötler und seinen Frust über geringen Fang und niedrige Preise ließ er nicht selten an seiner Frau aus. Jedenfalls berichtete der Inselfunk regelmäßig über lauten Streit.

      Birgit Thurow war auf Hiddensee geboren, aber nach der Schule nach Rügen gezogen. Sie hatte dort als Restauratorin gearbeitet. Als ihre Eltern Pflege brauchten, war sie nach Vitte zurückgekommen. In dieser Zeit waren sie und Thurow ein Paar geworden. Er war ihr Nachbar, alleinstehend und wohnte in einem alten Fischerhaus. Nach dem Tod der Eltern hatten sie geheiratet und sie war zu ihm gezogen. Ihr Elternhaus in Vitte hatten sie zu einem Ferienhaus umbauen lassen, um mit der Vermietung das Familien­einkommen aufzubessern. Doch da die Zinsen für den Baukredit kaum von den Einnahmen gedeckt wurden, musste sie sich auf der Insel eine Arbeit suchen. So hatte sie im Pfarramt als Küsterin angefangen, drei Tage die Woche. Für sie war es ein Glücksfall, denn die alte denkmalgeschützte Kirche gab ihr Gelegenheit, ihr Fachwissen als Restauratorin einzubringen und zu nutzen.

      Birgit Thurow war eine der Wenigen auf der Insel, die Damp grüßten. Und so war ihm auch die Veränderung aufgefallen, die scheinbar ohne jeden äußeren Anlass mit Birgit Thurow passiert war. Bis vor einem Jahr galt sie eher als graue Maus. Frisur war ein Fremdwort für ihre Haare. Sie trug weite Pullover, formlose Jeans, Turnschuhe oder Gummistiefel, je nach Wetterlage. Doch in letzter Zeit hatten ihre langen braunen Haare die Bekanntschaft mit Lockenwicklern gemacht und wallten jetzt über ihre Schultern. Neben der transparenten weißen Bluse, durch die Damp jetzt einen Blick auf die Spitze ihres BHs werfen konnte, war für ein Pfarramt in jedem Fall die mangelnde Länge des eng geschnittenen grauen Rockes, der knapp über dem Knie endete, etwas gewagt. Ihre Füße steckten in hochhackigen Pumps, mit denen sie sicher nicht ohne größeres Unfallrisiko über die holprigen Straßen der Insel balancierte.

      Mit leicht zitternder Stimme antwortete sie dem Polizisten: „Pfarrer Schneider ist nicht da.“

      Der Anblick der attraktiven, wenngleich offensichtlich verstörten Frau verwirrte Damp. „Äh …“, stotterte er, „ist er in der Kirche?“

      „Nein! Ich sagte doch schon, er ist nicht da. Auch nicht in der Kirche. Auch nicht auf dem Friedhof.“ Sie putzte sich noch einmal die Nase, bevor sie nachfragte: „Geht es noch um die Feierlichkeiten? Ist da noch etwas zu regeln?“

      „Nein. Sein Boot ist auf Grund gelaufen. Am Enddorn.“

      „Um Gottes willen …“, stieß sie hervor.

      „Und außerdem muss das Boot da weg, liegt ja mitten im Natio­nalpark.“ Damp hatte nun auch seine Fassung zurückgewonnen und wurde wieder dienstlich. „Jedenfalls ist es verboten, in diesem Gebiet mit Motorschiffen zu ankern oder anzulegen. Herr Schneider muss mit einem empfindlichen Bußgeld rechnen. Es wäre gut, wenn er sich so schnell wie möglich bei mir melden würde. Die Nummer hat er ja. Wenn Sie ihm das ausrichten würden, sobald er nach Hause kommt?“

      Birgit Thurow nickte und schloss dann ohne ein weiteres Wort die Tür.

      IV

      Rieder stapfte um das Boot herum. Die Schleifspuren am Kiel zeigten, dass es mit einiger Geschwindigkeit auf die Steine gefahren sein musste. Er klopfte an die Schiffswand. Es klang nicht wie Holz.

      „Harzgetränkte Glasfaser“, meinte Thomas Förster vom Nationalpark. „Hoffentlich ist der Schiffsboden durch die Steine nicht aufgerissen worden. Dann säuft uns der Kahn ab, sobald wir ihn irgendwie auf See bekommen, und der ganze Diesel und noch mehr Öl plempern ins Wasser und versauen den Strand.“

      Etwas abseits stand Dr. Preil mit einigen anderen frühen Strandgängern und stieß heftige Tiraden gegen die Bootsbesitzer aus. Dafür erntete er zustimmendes Nicken von den zumeist älteren Zuhörern. Früher sei doch alles viel besser und ruhiger gewesen. Da hätte auch die Polizei dafür gesorgt, dass hier keiner einfach am Strand anlege.

      „Der nervt“, knurrte Rieder. Er hatte seine Hosen hochgekrempelt und wanderte im flachen Wasser um das gestrandete Schiff herum. „Ganz schön großes Schiff für einen Pfarrer“, bemerkte er.

      Förster zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hat er mit seinen Zeitungsartikeln nicht schlecht verdient. Warum soll er sich davon nicht ein Schiff kaufen. Der Kahn ist auch nicht mehr ganz taufrisch. Schätze frühe Sechzigerjahre.“

      Rieder hörte nicht so richtig zu. Etwas an der Schiffswand auf der Steuerbordseite funkelte im Widerschein der Sonne und Wellen. Der Polizist trat näher heran. Es sah aus wie ein Metallplättchen. Aber Rieder kannte aus seiner Berliner Polizeivergangenheit diese Dinge ziemlich genau. Es war ein Projektil, das dort in der Schiffswand steckte. Vielleicht einen halben Meter daneben entdeckte er ein zweites. Sie mussten aus einiger Entfernung abgefeuert worden sein, wenn sie diese Kunststoffwände nicht durchschlagen hatten.

      „Was ist?“, fragte Förster, der Rieder beobachtet hatte.

      „Zwei Einschüsse.“

      Rieder war noch einmal auf das Boot geklettert. Er durchstöberte die Kabine, die Kombüse, das Bad. Er schreckte zusammen, als erneut das nostalgische Telefonklingeln zu hören war. Unter einem Buch auf dem Tisch sah er das Leuchten des Displays. Zweiundzwanzig Anrufe. Der letzte war von Damp. Das sah er an der Nummer. Einer war von ihm selbst. Sechzehn Mal hatte sich die Mailbox gemeldet und vier Mal eine gewisse Birgit. Er wählte die Mailbox an. Nur eine Nachricht befand sich darauf. „Hier Birgit. Bist du schon losgegangen? Melde dich mal. Bis später.“

      Die Stimme kannte Rieder von den Vorbereitungen der Preisverleihung. Sie gehörte Birgit Thurow, der Küsterin. Wahrscheinlich hatte Schneider das Fest verlassen, ohne sich von ihr zu verabschieden. Der Anruf führte also auch nicht

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